Apertura Enigma Mk II – Anspruchsvolle Schönheit
Sie trägt einen italienischen Namen, obwohl sie eine echte Französin ist. Sie verweigert sich allzu forschen Avancen und hält nichts von Konventionen. Dass sie mit ihrer Rätselhaftigkeit kokettiert, sei der ungewöhnlichen Dame verziehen. Denn wenn man sich an ihre Regeln hält, kann man mit der Apertura Enigma Mk II glücklich werden.
In aller Kürze
Die Apertura Enigma Mk II ist ein Schallwandler, der mit natürlichen Farben, großer Spielfreude und unmittelbarer Präsenz besticht. Die Sonne steigt allerdings nur bei präziser Aufstellung und sorgsamer Verstärkerwahl in den Klang-Zenit.
Die Apertura Enigma Mk II ist der klingende Gegenentwurf zum Lautsprecher-Mainstream aus der Großserienfertigung. Kein per Computerprogramm schnell zusammengeklickter Schallwandler der Sorte „Viel bringt viel“, sondern ein Manufakturprodukt, in dem eine Menge Gehirnschmalz und noch mehr Stunden intensiven Hörens, Experimentierens, Verwerfens und neu Versuchens stecken. Der Entwickler Christian Yvon, seit Jahrzehnten im Geschäft (von ihm stammen ein paar bemerkenswerte Konzepte der Lautsprecher-Labels Sonus Faber und Goldmund), hat in sein amtierendes Boxen-Flaggschiff Herzblut und Erfahrung investiert – und eine tönende Skulptur geschaffen, die alles andere als jedermanns Liebling sein will.
Wer sich in das 76 Kilo schwere Meisterwerk Enigma verliebt und es für sich erobert, bekommt etwas überaus Eigenständiges, Besonderes. Das „Rätsel“ (so die deutsche Übersetzung von „Enigma“) kann vieles, manches davon extrem gut, soll aber keine Eier legende Wollmilchsau sein – mit einem Maybach transportiert man in der Regel ja auch keine Zementsäcke, selbst wenn er es kann.
Die feinsinnige, farbstarke, elegante und bisweilen sogar fragil wirkende Apertura Enigma Mk II „spricht“ bei Bedarf ohne Frage auch Rock, kann so punktgenau wie die besten Studiomonitore agieren und hat einen sehr klaren, trockenen, weit hinunter reichenden Bassbereich. Mit ihren in D’Appolito-Anordnung relativ weit oben im Gehäuse platzierten 22-Zentimeter-Tiefmitteltönern, die einen 14,5 mal 1,5 Zentimeter großen Bändchenhochtöner einrahmen, macht sie auch basslastige Groove-Orgien mit. Der Spaßfaktor bei handgemachtem Blues und Rock ist fraglos hoch, wenngleich die Französin nichts mit den übertrieben „bassigen“ Loudness-Konstruktionen der späten 1980er gemein hat – dazu ist sie zu neutral, zu ehrlich abgestimmt.
Zu ganz großer Form läuft das klingende Kunstwerk auf, wenn es darum geht, die großen und auch die nicht so großen Säle, in denen renommierte Orchester Edelsteine der sinfonischen Literatur aufführen, Sopranistinnen mit Hingabe und Emotion Kunstlied-Preziosen interpretieren oder inspirierte Jazzer fein schattierte blaue Noten in den Club perlen lassen, in die heimischen vier Wände zu holen. Die Stärken dieses vor allem in dunklem Holzfurnier wundervoll schräg aussehenden, weil parallele Gehäusekanten konsequent vermeidenden Schallwandlers liegen in der überaus großzügigen und dabei sehr präzisen Abbildung von Räumen, die nicht nur in Breite und Tiefe verblüffend dreidimensional aufgebaut werden, sondern deren Höhe ebenfalls nachvollziehbar wird. So schlüssig, stimmig und vor allem homogen kennt man das eher von Kompaktböxchen mit koaxialer oder zumindest dicht beieinander liegender Chassis-Anordnung, die bei der Abbildung ihre auf das Punktschallquellen-Prinzip abhebenden Talente ausspielen können.
Jan Sieveking, mit seiner Bremer Firma Sieveking Sound für den Apertura-Deutschlandvertrieb zuständig, erklärt die Hintergründe: „Die Zwei-Platinen-Weiche, unter anderem bestückt mit großen Jantzen-Kondensatoren und Vishay-Widerständen, wird auf die Treiber des Zweiwege-Systems individuell abgestimmt. Diese Chassis werden vorab auf Gleichheit gematcht, ehe man sie in den Lautsprechern verbaut“, weiß Sieveking. So sei es gelungen, einen absolut phasenkohärenten Lautsprecher zu schaffen.
Die Apertura Enigma Mk II gefällt mit einer Vielzahl kluger Detaillösungen, über die mit Blick auf das große Ganze nachgedacht wurde. So kommen die Tiefmitteltöner (zwei pro Lautsprecher) von SEAS aus Norwegen, besitzen eine spezielle „Isostatic-Matrix“-Membran und – der Tieftonpotenz halber – eine Langhub-Schwingspule. Um die Treiberkühlung zu verbessern, ist zudem ein Phaseplug aus Kupfer verbaut. Die hochwertigen Zuliefer-Komponenten werden bei Apertura in bestimmten Parametern optimiert, bis sie mit Serienprodukten nur noch sehr wenig gemein haben. Das geht, weil sie in vergleichsweise hohen Stückzahlen abgenommen werden.
Eines der Ziele, die Christian Yvon bei der Entwicklung verfolgte, war ein hoher Wirkungsgrad. Deshalb empfiehlt Jan Sieveking, die Enigma mit kräftigen Röhren- oder schnellen Transistorverstärkern. zu „verheiraten“. Tatsächlich verstand sich die Französin im FIDELITY-Hörraum besser mit dem vergleichsweise preiswerten Trigon Exxceed als mit Vertretern der Digitalverstärker-Fraktion. Kommt es bei der Apertura Enigma Mk II doch nicht so sehr auf Leistung an, sondern auf Farbenreichtum und schnelle Impulsantwort des Amps, um die Fähigkeiten des Lautsprechers völlig auszuschöpfen.
Mit dem Bändchen aus chinesischer Fertigung, das auf Apertura-Order mit einem anderen als dem serienmäßigen Übertrager ausgestattet wird, gelingt es, einen sehr fein zeichnenden, niemals spitzen oder harten Hochtonbereich zu realisieren. Daneben ist ein rund ein Zentimeter dicker, halbkreisförmiger Filz-Absorber in die Front eingelassen, der die Frequenz-Abrisskante des Bändchens entschärft.
Sopranstimmen bekommen so Strahlkraft, Bässe und Baritone profunde Macht und Durchschlagsvermögen. Der Apertura Enigma Mk II sind gerade bei Stimmen Verfärbungen völlig fremd. Wer das Glück hat, manche Sängerpersönlichkeiten schon live erlebt zu haben, stellt mit Vergnügen fest, dass dieser Lautsprecher es schafft, sie nicht nur wiedererkennbar vor den Hörer zu stellen, sondern auch ihre Eigenheiten zu bewahren. Die individuelle Art, wie etwa Starbariton Christian Gerhaher Kunstlieder von Gustav Mahler mit Behutsamkeit und Deutungsintelligenz umsetzt, lässt sich über die Apertura Enigma Mk II unmittelbar nachvollziehen.
„Christian Yvon hebt bei der Abstimmung seiner Lautsprecher auf Emotion ab“, betont Jan Sieveking. Bei Apertura entstehen keine Messwert-Rekordhalter, sondern persönliche Statements, bei denen der Höreindruck oberster Maßstab ist. „Eine Handabstimmung in dieser Konsequenz wird man bei Lautsprechern aus Massenproduktion nicht finden“, so Sieveking.
Und auch nicht dieses besondere, für Christian Yvon fast eine Art Unterschrift darstellende Konstruktionsdetail: Die Enigma steht nämlich nicht, wie der erste Augenschein vermuten lässt, auf den vier Auslegerfüßen des sehr stabilen Untergestells. Ihr enormes Gewicht ruht auf einem überaus massiven „Zentralspike“, wie ihn Jan Sieveking nennt. Harte Ankopplung ist die Devise. Unerwünschte Resonanzen und Vibrationen sollen, möglichst schnell und ohne Klangbeeinträchtigungen zu hinterlassen, definiert abgeleitet werden. Dazu dient der genau im Schwerpunkt angeordnete Spike. Das Prozedere: Der Schallwandler wird mit den Auslegerfüßen zunächst korrekt aufgestellt, wobei sorgsam auf die richtige Einwinkelung zum Hörplatz zu achten ist – ihr Sweetspot ist klein. Steht die Apertura Enigma Mk II richtig, wird sie auf den Zentralspike abgelassen, bis das Gewicht ausschließlich auf diesem lastet. Die Füße dienen nur noch der Balance. Ein Prinzip, das Christian Yvon schon bei Designs für Sonus Faber und Goldmund umgesetzt hat.
Neben der Einwinkelung spielt auch der Hörabstand eine Rolle. „Die Apertura Enigma Mk II ist kein Nahfeldmonitor“, sagt Jan Sieveking augenzwinkernd und gibt einen Hörabstand von mindestens 3,5 Metern an, den es für das klangliche Optimum einzuhalten gelte. Dafür dürfen die Lautsprecher relativ eng – bis zu zwei Meter – nebeneinanderstehen, und vor allem ist ein Abstand von nur 30 Zentimetern zur rückwärtigen Wand kein Problem, was die Apertura Enigma Mk II auch für kleinere Räume tauglich macht. Ein Bassreflexrohr in Kombination mit einer Resonanzkammer von Acoustic Line, nach unten abstrahlend, erhöht fühlbar die Tieftonpotenz. Der Entwurf des Schallschachtes war schwierig, weil die Apertura Enigma Mk II pro Stück über 13 einzeln bedämpfte Schallkammern verfügt – die Rechenkünste Christian Yvons waren gefragt. Das Gehäuse besteht aus neun Schichten verleimten Holzes mit 28 Millimetern schierer Gehäusedicke. Noch stabiler sind Boden und Deckplatte mit 44 beziehungsweise 47 Millimetern.
Wie das jenseits der schon erwähnten Super-Räumlichkeit tönt? Groß, autoritativ, energiegeladen und präsent. Jan Sieveking warnt, dass die Französin kein Schallwandler für die Berieselung nebenher ist: „Entweder hört man damit Musik, oder man schaltet die Anlage ab.“ Dafür taugt sie umso besser dazu, einen wahren Musik-Sog zu entfesseln. Mahlers Achte Sinfonie unter Eliahu Inbal mit dem RSO (hr-Sinfonieorchester) Frankfurt als One-Point-Recording? Mit der Apertura Enigma Mk II eine rauschartige Erfahrung. Billie Eilishs brandneues Album Happier Than Ever? Eine tief ins Herz gehende Lektion in elektronischer Melancholie. Wer diesen Schallwandler daheim hat, braucht für das Herzklopfen und den Adrenalinschub keine Blockbuster mehr. Vergesst Lautsprecher von der Stange!
Info
Lautsprecher Apertura Enigma Mk II
Konzept: 2-Wege-Standlautsprecher, Bassreflex/Transmission-Line
Bestückung: 2 x 22-cm-Tiefmitteltöner, 145-x-15 mm-Hochtonbändchen
Frequenzgang (±3 dB): 30 bis 30 000 Hz
Nennimpedanz: 4 Ω
Empfindlichkeit (2,83 V/1 m): 95 dB
Besonderheiten: Single-Wiring-Anschlüsse für blanke Kabelenden, Gabelschuhe oder Bananas; zentraler Standspike; 200 bis 300 Stunden Einspielzeit empfohlen
Ausführung: verschiedene Holzarten
Gewicht: 76 kg
Maße (B/T/H): 40/135/44 cm (mit Bodenplatte und Spikes)
Paarpreis: um 22 000 €
Kontakt
Sieveking Sound
Plantage 20
28215 Bremen
Telefon +49 421 6848930