All Blues Musiquarium NYC
Am 4. Dezember 2024 durfte ich ein außergewöhnliches Audio- und Musikereignis erleben.
Eine Kooperation zwischen FIDELITY und dem Copper Magazine
Der Originalartikel erschien im Copper Magazine, Ausgabe 214.
Acoustic Sounds/Analogue Productions hat eine Reihe von lange vernachlässigten Stücken des Miles Davis Quintet auf einem neuen Album mit dem Titel Birth of the Blue wiederveröffentlicht. Es enthält eine Reihe von Liedern, die die Band vor der Aufnahme des legendären Kind of Blue eingespielt hat, des berühmtesten Jazzalbums aller Zeiten. Ich überlasse es Rudy Radelic, sich an anderer Stelle im Copper Magazine eingehender mit dem Album zu befassen. Hier möchte ich mich mehr auf die Erfahrung des Ereignisses konzentrieren. Und was für ein Erlebnis das war!
Kurz zur Hausordnung: Das klassische Quintett dieser Ära bestand aus Miles Davis an der Trompete, Bill Evans am Klavier, John Coltrane und Cannonball Adderley am Saxophon, Paul Chambers am Bass und Jimmy Cobb am Schlagzeug. Die sechs Titel auf Birth of the Blue wurden 1958 im 30th Street Studio von Columbia Records aufgenommen und sind bisher nur auf halbgaren Kompilationen erschienen. Wie in den Liner Notes zu lesen ist, wurden diese herausragenden Darbietungen mit einer Gesamtlänge von nur 32 Minuten als zu kurz für ein ganzes Album angesehen, und als dann Kind of Blue herauskam, wurden sie von diesem überragenden Meisterwerk schlicht überschattet.
Ich wollte schon lange einmal zu einem Jazz-Kissa im japanischen Stil gehen. Als ich die Einladung zu einer Acoustic Sounds-Veranstaltung erhielt, auf der Birth of the Blue im All Blues Musiquarium NYC in Downtown Manhattan gespielt werden sollte, wollte ich das auf keinen Fall verpassen. Das Album würde gespielt werden, und der Gründer von Acoustic Sounds, Chad Kassem, würde zusammen mit dem Autor Ashley Kahn (der die Liner Notes geschrieben hat) und dem Historiker Steve Berkowitz über die Entstehung von Birth of the Blue sprechen.
Waren an der Eingangstür zum All Blues ein paar im Fenster platzierte Alben noch der einzige Hinweis darauf, dass ich am richtigen Ort bin, verfliegen alle meine Zweifel in dem Augenblick, in dem ich durch die Tür trete – in die Wand hinter der Bar ist ein Paar riesiger JBL-Studiomonitore eingelassen, begleitet von mehreren alten McIntosh-Geräten und Reihen von LPs. Das All Blues ist in zwei Hälften unterteilt: den Barbereich und den durch einen Vorhang abgetrennten Hörraum.
Die Atmosphäre verrät mir ebenso wie das Auftreten des Personals, dass es sich hier um einen Ort handelt, an dem Jazzkenner ernsthaft hören können. Auf der Website des All Blues heißt es: „Wir sind bestrebt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Musik und Zuhören rechtmäßig zusammengehören. Da wir uns bemühen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Musik im Mittelpunkt steht, laden wir unsere Gäste ein, die Musik sprechen zu lassen. Erlauben Sie der Musik, das Gespräch zu führen. Hören Sie zu, genießen Sie die Musik und tauchen Sie ein in das überragende Klangerlebnis, das wir für Sie geschaffen haben.“ (Auch wenn die Atmosphäre im Barbereich etwas lockerer ist, wird respektvolles Verhalten erwartet).
Bald werde ich in den Hörbereich geführt. Die Beleuchtung ist gedämpft, es gibt vielleicht an die 30 Plätze. Aufgrund eines Planungsfehlers meinerseits betrete ich leise den Raum, während die Musik bereits läuft…
…und traue meinen Augen nicht, als ich an der Stirnwand eine seltene JBL Paragon sehe. Das hatte ich bis dato nur auf Bildern gesehen. Die Paragon, die 1957 auf den Markt kam und eines der markantesten Objekte des Audiodesigns überhaupt ist, wird von einem Paar imposanter JBL Hartsfield-Lautsprecher flankiert, die mit ihren goldfarbenen horizontalen „akustischen Linsen“-Lamellen für ihre Kompressions-Hochtöner unverkennbar sind. Bei der Elektronik handelt es sich um alte McIntosh- und Marantz-Röhrengeräte, darunter eine Mac MC275-Endstufe und ein legendärer Marantz 7C-Vorverstärker. In der DJ-Kabine sehe ich zwei alte EMT-Plattenspieler.
Ich denke mir: Dieser Ort ist hardcore. Ein Ort ganz nach meinem Geschmack. Ein Heiligtum für Jazz, Vintage-Geräte und Sound. Eine liebevolle Nachbildung einer Ära, einer Atmosphäre und eines Klangs aus der Zeit, als die Musik zum ersten Mal erschaffen wurde, übertragen in die heutige Zeit.
Sowohl die JBL Paragon als auch die Hartsfield-Lautsprecher spielen gleichzeitig und widersetzen sich damit den konventionellen „Regeln“ für die Lautsprecheraufstellung. Unerheblich. Der Klang ist fesselnd, gibt jedem Musiker eine solche Präsenz und vermittelt so überzegenden Eindruck einer gemeinsam spielenden Band, dass man die Augen schließen kann und wirklich das Gefühl bekommt, sie spielen hier für mich.
Vergessen Sie all die audiophilen Standards wie Ortbarkeit, Bühnenabbildung, bla, bla, bla, bla, bla. Das System spielt mit einer Griffigkeit, einem Gefühl von dynamischer Leichtigkeit und Kraft und einer Liquidität des Tons und der Textur auf, die sich einfach richtig anfühlt. Es kümmert mich keinen Deut, dass die Abbildung nicht laserscharf ist oder dass die Röhren dem Klang eine gewisse Wärme verliehen haben könnten. Warum in aller Welt sollte ich nicht ein System hören wollen, das warm und einladend klingt? Ich bleibe bis zur letzten Veranstaltung des Abends, um noch so lange wie möglich ich der Musik zu baden. Ich bekomme die Gelegenheit, zwischen verschiedenen Hörplätzen im Raum zu wechseln, um die Klangpräsentation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Am Ende setze ich mich genau in die Mitte, ganz nah, mit geschlossenen Augen und wippendem Kopf. Einige Plätze im Saal sind optimal, aber selbst direkt vor dem linken Lautsprecher habe ich das Gefühl, mit Miles’ Trompete und Evans’ Klavier im Raum zu sein.
Was ich hier erlebe, lässt mich meine gesamte Sichtweise auf modernes und altes Equipment überdenken. Dieses System vermittelt ein geradezu gespenstisches Gefühl von Echtheit. Ich werde kaum der erste Autor sein, der das anregt, aber vielleicht sind Attribute wie tonale Ausgewogenheit, dynamische Durchschlagskraft und harmonische Textur viel wichtiger als Dinge, auf die wir Audiophilen uns allzu sehr fixieren: Feinauflösung, „Transparenz“ oder punktgenaue Abbildung. Realistisch betrachtet hat sich die Audiotechnik seither verbessert… aber es ist erstaunlich, wie viel die Entwickler, Firmen und Tontechniker der alten Ära richtig gemacht haben.
Nach dieser erhabenen Erfahrung All Blues Musiquarium NYC war mir beim Gedanken, die Birth of the Blue LP auf meinem Heimsystem zu hören, tatsächlich mehr als nur ein wenig Bang – groß war die Befürchtung, enttäuscht zu werden. Als ich mir schließlich einen Ruck gebe, verfliegen meine Sorgen. Es ist eine wundervoll klingende Platte mit außergewöhnlicher Musik, und sie klingt hervorragend auf meiner Anlage.
Und dennoch…
Ich kann es kaum erwarten, wieder ins All Blues zu gehen. Diese Ära des Jazz auf dieser liebevoll zusammengestellten Vintage-Anlage in dieser Atmosphäre der Liebe und Hingabe an die Musik zu hören… das ist einfach magisch.
All Blues Musiquarium NYC
Unser herzlicher Dank geht an das Copper Magazine