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Sex Pistols, Die Toten Hosen

Albumdoppel: Sex Pistols – Die Toten Hosen

Pistols, Punk & Parodie

Albumdoppel: Sex Pistols – Die Toten Hosen

Pistols, Punk & Parodie

Diese Plattenhülle sorgte für reichlich Aufregung – und das ganz ohne ein Foto oder eine Zeichnung. Als der Grafiker Jamie Reid das Schriftcover entwarf, eine Mischung aus Buchstabencollage und Werbeplakat, stand da anfangs noch: “God save Sex Pistols”. Das allein hätte wahrscheinlich schon für einen kleinen Skandal gesorgt. Dann aber kam die Band mit diesem Spruch an: “Never mind the bollocks”. Diese „bollocks“ waren nicht etwa eine Konkurrenzband, sondern ein Slangausdruck für „Quatsch“ oder „Blödsinn“. Frei übersetzt also: „Vergiss den Quatsch!“ Allerdings bedeutet das Wort „bollocks“ auch „Hoden“ (vulgo: Eier) und ist im Englischen nicht unbedingt salonfähig. Und in der Kombination mit „bollocks“ wurde auch ziemlich eindeutig klar, was mit „Sexpistolen“ gemeint war. Im England von 1977 gab dieses Albumcover jedenfalls Anlass genug, dass die Polizei zur Tat schritt. Die Plattenhändler in London wurden aufgefordert, das Album (und Werbeplakate dafür) zu entfernen oder zumindest das Wort „bollocks“ zu überkleben. Ein Ladenbetreiber wurde sogar verhaftet und angeklagt. Das alles auf der Basis eines Gesetzes von 1899.

Sex Pistols - Never Mind The Bollocks
The Sex Pistols: Never Mind The Bollocks – Here’s The Sex Pistols (Virgin 25593)

Der Skandal war natürlich einkalkuliert – und er hatte eine Vorgeschichte. Die Sex Pistols waren bereits als Provokateure aufgefallen, hatten wüst-obszöne Interviews gegeben, beschäftigten die Zensurbehörden, flogen bei zwei Plattenfirmen raus. Es gab Auftrittsverbote und Boykottversuche, auch in den Hitlisten und Plattenläden. In ihren Songs nannten sich die Pistols Antichristen und Anarchisten („Anarchy In The U.K.“), rechneten mit einer früheren Plattenfirma ab („E.M.I.“), beleidigten die Queen und beschimpften England als „faschistisches Regime“ („God Save The Queen“). Sänger Johnny Rotten (ein Künstlername: der scheußliche, gemeine Johnny) schien plötzlich im Vereinigten Königreich der Staatsfeind Nummer eins zu sein. „Wir sind die einzige ehrliche Band seit 2 000 Millionen Jahren“, polterte er. Bei seinen Provokationen war er nicht wählerisch. Der Song „Bodies“ zum Beispiel behandelt eine Abtreibung und kann nur als frauenfeindlich verstanden werden.

Never Mind The Bollocks ist die Mutter aller Punk-Alben. Auch die Musik war als Provokation gemeint: schnell, laut, grob, schmucklos, dilettantisch, mit Sprechgesang, ohne ausgefeilte Harmonien, ohne Soli. Bands wie The Kinks und The Who hatten bereits in den Sechzigern in diesem straßenräudigen Primitivsound gespielt, getarnt als Arbeiter-Rock. In den Siebzigern war der Punk Ausdruck einer neuen Form jugendlichen Protests. Das Sex-Pistols-Album galt als „Fanfarenstoß einer Generation“. Diese Band sollte mit ihren Songs, ihren Frisuren, ihrer Mode, ihrem defätistischen Habitus („No Future!“) eine ganze Ära prägen – dabei machte sie nur dieses eine, dieses einzige Studioalbum. Verglichen mit den sanften Normverweigerern der Hippiezeit wirkte der Protest der Alltagspunks (die schrillen Igelfrisuren, die Sicherheitsnadeln im Gesicht, das ungehobelte Auftreten) schockierend aggressiv, brutal und obszön. Und die Musik des Punk war das Ende des progressiven Rock – jedenfalls sahen das die Musikmanager so. Das Sex-Pistols-Album wurde Nummer eins im Königreich, bekam Gold in Schweden, Italien, Belgien, den Niederlanden und sogar Platin in den USA. Der Rolling Stone nannte die Platte noch zehn Jahre später das beste Album seit Sgt. Pepper.

Die Toten Hosen - Never Mind The Hosen
Die Toten Hosen: Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen (Rosenkopf Rot 69)

Zur selben Zeit (1987) war es, als die Toten Hosen ihr schlaues Cover-Imitat präsentierten. Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen – das verrät schon im Titel, wie ironisch und selbstironisch die Band aus Düsseldorf zu Werke geht. Der britische Punk-Rock hatte – ganz unbritisch – keinen Humor, er war nur Wut und Protest. Die Campino-Band dagegen liebt die komische Brechung, das Spiel mit verschiedenen Ebenen, die Nähe zu Kabarett und Kneipe. Dabei lagen ihre Wurzeln durchaus in der Punk-Bewegung. Auch die Toten Hosen waren Autodidakten und starteten sehr unprofessionell. Auch sie hatten ihre kleinen Skandale (Stichwort: Heino-Parodie-Affäre) und kleinen Gerichtsverfahren. Auch sie wechselten im Streit von EMI zu Virgin. Lustigerweise hatten sie ihren ersten großen Erfolg, als sie scheinbar von sich selbst Abschied nahmen und sich mit diesem Album „Die Roten Rosen“ nannten. Die Wahl ihrer Pseudonyme machte sicherlich Spaß. Nach Sid Vicious (1957–1979), dem legendären Pistols-Sideman, nannte sich Bassist Andreas Meurer kurzweg „Vid Sicious“.

Der fiktive Bandname „Die Roten Rosen“ trieft vor Ironie. Natürlich denkt man da an bewährten deutschen Kitsch, und genau das ist die Idee: Die Toten Hosen liefern hier durchweg Punk-Versionen alter Schlager aus den 1960er und 1970er Jahren. Die punkrockige Verfremdung ist an sich schon ein guter Witz, aber die Sache hat durchaus auch Tiefsinn. Wenn die Band den bösen Anti-Gammler-Song „Wir“ (1966) von Freddy Quinn erst parodiert und dann verrockt, sind nicht nur die Punks mitgemeint – auch die Perspektiven von „wir“ und „ihr“ springen immer wieder um. Großer kleiner Geniestreich.

The Sex Pistols: Never Mind The Bollocks – Here’s The Sex Pistols (Virgin 25593)

Die Toten Hosen: Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen (Rosenkopf Rot 69)

 

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