Album-Doppel: Sonny Rollins und Joe Jackson
Mann, ist der cool. Sonny Rollins aus New York, erst 26 Jahre alt und schon die unangefochtene Nummer eins.
Er ist der Begründer und Anführer einer ganzen Schule neuer TenorSaxofonisten. Man sieht nur Kopf, Hand und Horn, nachtblau eingefärbt, heraustretend aus dem schwarzen Nichts. Ein modernes Ikonenbild, eine Jazzplastik. Rollins hatte keine Kritiker damals außer einem – sich selbst. Auch das könnte in dem Foto stecken: seine Selbstzweifel, etwas Unbestimmtes, Unfertiges. Die Figur als Torso, der noch wächst. Zu schnell war Rollins damals ins Geschäft gerutscht, in den Jazz-Alltag, in die Routine. Er wollte noch ganz andere Dinge angehen, er hatte höhere Ziele gehabt. Nun fehlt ihm die Zeit dafür, das sagt sein Blick. Später wird er immer wieder mal eine Auszeit nehmen, um sich zu hinterfragen, um hinzuzulernen, um einen großen Schritt über den Fluss zu tun, statt vieler kleiner Trippelschritte im Hamsterrad des Jazzbusiness. Aber dieses Foto war wohl nur ein Schnappschuss, eine Momentaufnahme aus dem Tonstudio, anno 1957. Wie ernsthaft Francis Wolff damals geknipst hat, erfuhr man erst viel später. Seitdem reißt die Serie der Blue-Note-Fotobücher gar nicht mehr ab.
Schmucklos spielt Rollins hier, mit selbstverständlicher Sachlichkeit bläst er sein TenorSaxofon, laut, bestimmt, eigenwillig, ein bisschen krächzend, forsch intonierend. Auf zwei Stücken ist der Pianist Thelonious Monk mit dabei, sein Mentor, von dem er gelernt hat, in der Improvisation dem Gang der Melodie zu folgen und weniger dem Bau der Akkorde. Rollins tut das aber nicht so streng wie Monk. Er ist impulsiver, sprunghafter, macht Pausen. Genau das gibt seinem Spiel das Überraschungsmoment, das Provokante und das Genialische. Und dann ist da dieses eine Stück, Monks „Misterioso“, ein komischer Blues, dessen Thema wie die Intervall-Etüde eines Klavierschülers klingt. Drei grandios verzwirbelte Chorusse bläst Rollins. Dann stottert sich Monk auf bizarr inspirierte Weise durch sein Solo – und räumt danach verblüffenderweise den Klavierstuhl. Dort nimmt aber Horace Silver Platz, damals der „funky“ Trend-Pianist des Hardbop, und spielt eine ganze andere Art von Blues. Das Stück mit den zwei Pianisten ersetzt eine kleine Jazz-Diskothek.
Die Fünfziger waren die Stil-Matrize der Achtziger. Erst kamen die Teds wieder, die Petticoats und die Lackschuhe, dann folgten bunte Neonröhren, blecherne Reklameschilder, Dampfradios und Nierentische, schließlich das komplette Rock’n’Roll-Revival inklusive Teenager-Romantik und Saxofon. Sogar die Schwarzweiß-Fotos des Fünfzigerjahre-Jazz erzielten in den Achtzigern plötzlich Höchstpreise. Sie erschienen auf Posters, T-Shirts, Postkarten, Teetassen und Schlafanzügen. Joe Jackson, das britische Bleichgesicht aus Staffordshire, träumte damals ebenfalls von der Coolness des Jazz. Er machte mit Jumpin’ Jive eine lustige Jump- und R&B-Platte und verwurstete Jazz im Soundtrack zu „Tucker“. Und seine Jazzaffinität schwelte im Stillen sogar weiter. 2012 wagte er sich tatsächlich an Duke Ellington heran.
Auf Body and Soul (1984) sind die Jazzbezüge subtiler. Der Titel, klar: „Body and Soul“ heißt eine der berühmtesten Balladen des Jazz. Und das Cover natürlich: Jackson in der Rollins-Pose, eingefärbt in einem kalten, nicht zu poppigen Orange, den Blick ein wenig sehnsüchtig nach oben gerichtet. Auch die Album-Rückseite ist ganz im Blue-Note-Stil gehalten: mit kleinen Schwarzweiß-Fotos, Musikerauflistung, den beiden Säulen der fett gedruckten Stücktitel, dem Technik-Block und den altertümlichen Liner notes in drei Spalten. Im Albumtext dann der bemühte Bezug zum Jazz: „Bebop“ wird erwähnt, das Stück „Harlem Nocturne“, alles extrem hoch gegriffen. Jackson hat nur ein akustisches, unangestrengtes Pop-Album gemacht, das den Charme eines historischen Jazz-Albums haben sollte. Es ist fast ein neues Genre. Er holte sich dafür zwei Bläser in die Band und ein bisschen Latin-Feeling. Er suchte sich in New York einen Raum mit natürlichem Hall und sinnierte lange über die Digitaltechnik. Das AltSaxofon auf dem Cover spielt er tatsächlich, wenn auch wohl nur in den Ensemble-Bläserstellen. Er ist ein guter Konzeptionist. Das Flair wiegt hier viel.
Apropos Flair: Nicht nur die Saxofone auf den Covers sind echt, auch die Zigaretten. Was in den Fünfzigern und Achtzigern noch cool war, wäre heute auf einem Albumcover schon politisch unkorrekt. Doch auch in diesem Punkt ist Jackson Jazz-Romantiker geblieben: Auf die Zigarette lässt er nichts kommen. Seine Ablehnung der Anti-Raucher-Kampagnen verbreitet er seit einiger Zeit im Internet: „Ich bin heute überzeugt davon, dass die Gefahren des Rauchens – und besonders des ‚passiven‘ Rauchens – weit übertrieben werden. Die Gründe dafür haben mehr mit Politik, Macht und Profit zu tun als mit objektiver Wissenschaft. Ich glaube, dass die Anti-Raucher-Bewegung viel zu viel Geld und Einfluss besitzt und dass ihre Unehrlichkeit und ihre einschüchternde Taktik auch jene beunruhigen sollten, die Tabakkonsum ablehnen.“
Sonny Rollins: Vol. 2 (Blue Note 81558)
Joe Jackson: Body And Soul (A&M 395 000-1)