Albumdoppel: Beach Boys versus Mojo
Es gibt nicht nur Coverversionen von Songs. „Gecovert“ werden auch Plattenhüllen. Das gecoverte Cover: Ist es witzige Anspielung, respektvolle Verehrung, Parodie – oder hat es einen tieferen Sinn?
Als es losging mit den Beach Boys (1961), roch die Welt noch nach den Fünfzigerjahren. Rock’n’Roll und Doo-Wop-Gesang waren es vor allem, die die Wilson Brothers inspirierten. Brian, der Älteste, nahm die Sache in die Hand und übte mit seinen jüngeren Brüdern zu Hause das mehrstimmige Singen. Ihr Cousin Mike und ihr bester Freund Al durften auch mitmachen, und der Vater der Wilson-Familie, ein Freizeitkomponist, wurde der Bandmanager. Als die Surfrock-Mode aufkam, hatten die Beach Boys ihren ersten Hit: „Surfin’ U.S.A.“ (1963). In der ganzen Welt verbreiteten ihre Songs damals das Image vom sonnigen, glücklichen, entspannten kalifornischen Strandleben. Ein harmloser Teenager-Traum mit Bubblegums und Petticoats.
Dann kam, was man in den USA die „British Invasion“ nannte. Bands aus dem Vereinigten Königreich eroberten ab 1964 die amerikanische Popwelt – die Beatles, Stones, Kinks, Animals, Yardbirds … Und so plötzlich, wie diese Beatmusik hereinbrach, so rasant entwickelte sie sich weiter. Schon 1965 veröffentlichten die Beatles ein Album, das wie ein geschlossenes Werk wirkte und nicht mehr wie eine Sammlung von Singles: Rubber Soul.
Brian Wilson, Chef der Beach Boys und selbsternanntes Musikgenie, war beeindruckt. Er wollte das überholte Image seiner Band aufpolieren – und zwar mit einer deutlichen Antwort auf Rubber Soul. Was er plante, war nichts weniger als das „größte Rockalbum aller Zeiten“. Dafür holte er sich einen Hilfstexter (Tony Asher) und entwickelte in Marihuana-umnebelten Arbeitssitzungen über ein Dutzend harmonisch neuartiger Songs mit ungewohnten Klangfarben. Er bestellte auch eine kleine Armada von Hilfsmusikern, darunter ein Streichorchester und eine Reihe von Westcoast-Jazzern wie Barney Kessel und Paul Horn. Inspiriert von der Produktionsphilosophie von Phil Spector, machte er das Tonstudio zum „Musikinstrument“.
Das Album Pet Sounds – bereits das elfte der Beach Boys – brach keine Verkaufsrekorde, aber es korrigierte in der Tat das Image der Band. Plötzlich galten die Beach Boys als progressives Rock-Ensemble. (Nun ja, was man damals so „Rock“ nannte – treffender wäre „Kammer-Pop“.)
Erwartungsgemäß kam die Platte besonders im Vereinigten Königreich gut an. Paul McCartney nannte „God Only Knows“ (den Opener der B-Seite) seinen absoluten Lieblingssong. Er verriet auch, dass das Beatles-Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band wiederum als Antwort auf Pet Sounds entstanden sei. Die erste Single-Auskopplung, Sloop John B (das Schlussstück der A-Seite), kam sogar in Deutschland auf Platz eins. Kaum ein Pop-Album wurde jemals ausführlicher und dauerhafter analysiert als Pet Sounds. Bis heute gilt es als eine der wichtigsten und revolutionärsten Platten der Pop-Geschichte. Selbst die Times nannte es noch 1993 „das beste Album aller Zeiten“.
Für die Beach Boys revolutionär war auch die Neuorientierung der Songtexte – weg vom kalifornischen Strandidyll, hin zu den aktuellen Jugendtrends von 1966: Spiritualität, Drogen, freie Liebe. Diese Platte, so meinte die Band, sei nicht mehr zum Tanzen gedacht, sondern zum Liebemachen. Das gibt dem Albumtitel seinen smarten Doppelsinn: „petting“ (rumfummeln) vs. „pets“ (Streicheltiere). Bei der Fotosession im Zoo von San Diego soll der Albumtitel allerdings noch gar nicht festgestanden haben – die Platte sollte vielmehr noch „Our Freaky Friends“ heißen. Das und die Fotosession waren wohl eine giftige Anspielung auf die „tierische“ UK-Konkurrenz der „Beatles“ (beetles), „Animals“ und „Yardbirds“. Umgekehrt bezog sich der Albumtitel Pet Sounds ursprünglich vielleicht nur auf das Hundebellen in „Caroline, No“ oder die Initialen von Phil Spector. Zum Titelstück machte man dann einen Instrumental zwischen Surf und Kriminalmusik; der hieß anfangs „Run, James, Run“ – mit Bezug auf die britischen James-Bond-Filme. Wie sich das alles dann zusammenfügte, ist nicht mehr so recht zu klären. Fest steht aber: Die Band erhielt nach der Fotosession Besuchsverbot im Zoo von San Diego.
Auch für die britische Musikzeitschrift Mojo war „Pet Sounds“ 1995 das größte Album aller Zeiten. Etliche Jahre später initiierte diese Zeitschrift die Tribut-CD Pet Sounds Revisited.
Alle 13 Stücke des Originalalbums werden darauf von jeweils einer Lieblingsband der Redaktion gecovert: „Jeder Künstler hatte freie Hand bei der Interpretation, und alle haben auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgegriffen.“ Die meisten Formationen (wie Saint Etienne, Magnetic North) kommen aus dem britischen Indie-Pop- und Alternative-Folk-Bereich – mit psychedelischen Einsprengseln und mancher charmanten Frauenstimme. Auch an die US-Rockband The Flaming Lips gab man einen Track („God Only Knows“) – und einen der zwei Instrumentals an den Jazzpianisten Neil Cowley („Let’s Go Away For Awhile“). Pet Sounds Revisited ist ein ebenso respekt- wie fantasievoller Kollektiv-Tribut an „das größte Album aller Zeiten“.
Fürs Cover wurde ein Foto aus der originalen Fotosession von 1966 verwendet: Brian Wilson, Masterbrain, im Dialog mit einem Zoobewohner. Es ist bei weitem nicht die erste optische Hommage an Pet Sounds auf einem Albumcover. Dabei meinte Beach-Boys-Mitglied Bruce Johnston (der bei der Fotosession noch nicht dabei war), Pet Sounds habe „das schlechteste Cover in der Geschichte des Plattengeschäfts“. Noch so ein Superlativ.
The Beach Boys: Pet Sounds (Capitol, 1966)
Various Artists: Pet Sounds Revisited (MOJO, 2012)
The Beach Boys – Pet Sounds auf jpc.de
Pet Sounds Revisited auf discogs.com