Album-Doppel: Yes! und Yes!
Die britische Band Yes gehörte zu den Monstergroups der klassischen Progrock-Ära.
Kritiker mokierten sich gerne über ihren Perfektionismus und gigantischen Aufwand, über Pathos, Theatralik, Größenwahn, über „Stromlinien-Komplexität“ und „orchestralen Kunstrock“. Die Alben von Yes jedoch erreichten in den 1970er Jahren Top-Positionen in den Charts, kletterten in Großbritannien und den Niederlanden sogar auf Platz 1. Es gab Gold- und Platin-Auszeichnungen auch in Frankreich, Kanada und den USA. Erst gegen Ende des Jahrzehnts erlebte der Progrock seine Apokalypse. Disco-Pop, Punk, Heavy Metal definierten den neuen Zeitgeist. Die Prog-Bands – oder ihre Plattenfirmen – drängten auf eine musikalische Umorientierung und stilistische Anpassung. Der Band Genesis gelang der Wechsel ins Pop-Lager auf elegante Weise. Für die meisten anderen Progrock-Formationen wurde der Versuch der Neuerfindung zum Fiasko.
Auch Yes bemühten sich ab 1976, ihren Stil zu reformieren, schufen damit jedoch viele Konflikte innerhalb der Band. 1980 kam es zum Abbruch eines Studioprojekts, zur Umbesetzung der Band und bald danach zu ihrer Auflösung. Nur zwei der Yes-Musiker arbeiteten weiterhin zusammen: der Bassist Chris Squire und der Schlagzeuger Alan White. Nach einer Weile verbündeten sich die beiden mit dem südafrikanischen Gitarristen Trevor Rabin, der bereits reichlich Songmaterial in petto hatte. Ihr gemeinsames Bandprojekt sollte „Cinema“ heißen. Zur Vervollständigung der Formation gewann man Tony Kaye, einen Ex-Keyboarder von Yes (bis 1971), und Jon Anderson, die langjährige „Stimme“ von Yes. Am Ende hieß die Band natürlich wieder – Yes. Sie klang aber nicht so – bis auf den Sänger. Trevor Rabin meinte über seine Songs: „Wenn ich gewusst hätte, dass es ein Yes-Album wird, hätte ich ganz anders komponiert.“
Ein eher ungeplanter Neuanfang also, im Jahr 1983. Mit der strukturellen Entschlacktheit, dem knallenden Beat und dem synthetischen Sound der Zeit. Das Cover – sparsam, abstrakt, geometrisch, farblich sehr reduziert, aber mit modischem Pink darin – signalisiert den kühlen, technischen Geist der Achtziger. Das stilisierte „Y“, das die Farben umschließt, entstand übrigens aus einem „C“, denn der erste Cover-Entwurf war noch für das „Cinema“-Projekt. Sogar das langjährige Yes-Logo, das einst der legendäre Roger Dean schuf, hat man durch ein neues ersetzt, das an einem Apple-Computer designt wurde. Abstrakt und reduziert auch der Albumtitel: 90125. Das ist einfach die Katalognummer der Platte beim Label – die deutsche Band Spliff hatte diese Idee schon ein Jahr zuvor (85555). Da die definitive Bestellnummer lange Zeit nicht feststand, wurde der Titel des Yes-Albums im Vorfeld übrigens mehrfach geändert („80102“, „90104“). 1983 ahnte wohl niemand, wie bedeutungslos Katalognummern einst werden würden – während Rockplatten doch für die Ewigkeit sind.
Das zeitgeistige Kalkül ging auf. 90125 wurde das erfolgreichste Yes-Album überhaupt – Platin in Deutschland, doppeltes Platin in Kanada, dreifaches Platin in den USA; der erste Track darauf, „Owner Of A Lonely Heart“, wurde auch der größte Single-Hit der Band – zwei Wochen lang auf Nummer 1 in den USA. Der fünfte Track, „Cinema“ (der Stückname verewigt das ursprüngliche Projekt), erhielt gar einen Grammy als bester Rock-Instrumental – na ja, es gab nicht viele Instrumentals damals.
Aufgrund des großen Erfolgs und weil das nächste Album auf sich warten ließ, schob man Anfang 1985 das Mini-Album 9012 Live – The Solos dazwischen. Das Kürzel „9012“ ist einfach von „90125“ abgeleitet. Wenn man will, kann man das Fehlen der „5“ allenfalls so verstehen: Das Quintett tritt hier zugunsten der Solisten zurück. (Allerdings hieß die Bandtournee auch schon „9012 Live“.) Das Coverdesign ist ebenfalls ein Ableger des Vorgängers, vermutlich ohne Rückfrage beim Original-Grafiker. Der Umriss der Kontinente soll wohl auf die globale Tournee verweisen, bei der diese Aufnahmen entstanden sind. Die meisten Konzerte fanden in den USA, in Kanada und Deutschland statt. Die Mitschnitte fürs Album stammen aus Edmonton und Dortmund.
Seit den frühen 1970er Jahren hatten Yes in ihren Konzerten Solisten-Features eingebaut. Jedes Mitglied durfte da seine technischen Fähigkeiten demonstrieren, die anderen konnten ein bisschen Luft schöpfen. Das war bei der „9012“-Tournee nicht anders. Auf dem Livealbum sind nun die Solo-Glanzstückchen ausnahmsweise die Hauptsache. Beide Plattenseiten werden zwar von der ganzen Band mit einem Stück aus 90125 eingeleitet, aber dann kommen jeweils die Features. Jon Anderson singt seinen wunderschönen Friedenssong „Soon“ aus dem Album Relayer. Chris Squire liefert eine erstaunliche E-Bass-Version des Kirchenlieds „Amazing Grace“. Tony Kaye fantasiert in „Si“ (= Yes) großspurig auf seinen Synthesizern und zitiert Bachs Toccata-Motiv. Schlagzeuger Alan White duettiert mit Chris Squire über einige Motive aus älteren Yes-Songs („Whitefish“). Und Gitarrist Trevor Rabin widmet seinem Hund Solly virtuose Flamenco-Fusion-Läufe auf der Halbakustischen. (Übrigens hat Rabin das Coverdesign von 90125 rund 20 Jahre später noch einmal zitiert. Sein Album 90124 enthält u. a. Demo-Versionen aus der „Cinema“-Phase.)