Aavik SD-880
Michael Børresen hat es wieder getan: Statt auf bewährte Konzepte zurückzugreifen, hat er bei seinem neuen Netzwerkplayer Aavik SD-880 einen völlig neuen technologischen Ansatz gefunden, den außer ihm wahrscheinlich niemand vollends versteht – und der schlichtweg sensationell gut funktioniert.
In aller Kürze:
Der Aavik SD-880 kombiniert extreme Feinauflösung mit einem herrlich offenen, natürlich fließenden Klangbild.
Manchmal können Menschen jahrhundertelang auf der falschen Fährte sein, obwohl die Antwort direkt vor ihrer Nase liegt. Die Existenz von Atomen etwa haben die Griechen bereits in der Antike postuliert; und dennoch wurde Masse bis ins 19. Jahrhundert überwiegend als zahlloses Kontinuum aufgefasst. Es sollte bis ins frühe 20. Jahrhundert dauern, bis das Atom endgültig Anerkennung als Grundbaustein der Materie finden würde.
Heute stemmt sich Michael Børresen auf recht ähnliche Weise gegen den Mainstream, wenn auch in umgekehrter Richtung. Seit Jahrtausenden ist uns intuitiv klar, dass Musik von ihrem Fluss lebt, von der kontinuierlichen Variation des Schalldrucks und der Wellenform. Dennoch versuchen wir uns der musikalischen Wahrheit in der digitalen Wiedergabe zu nähern, indem wir eine Sekunde in bis zu 768 000 kurze Zeitpunkte zerhacken. Børresen lehnt die Gültigkeit dieses Ansatzes freilich nicht ab – schließlich ist er objektiv und mathematisch vollkommen richtig: Das kritische Klischee des „stufenförmigen Signals“ ist ein Missverständnis, das nur auftreten kann, wenn man mit dem Nyqvist-Theorem nicht vertraut ist. Im Idealfall sollte es im Rahmen der vorgegebenen Bandbreite stets nur eine mögliche Wellenform geben, die alle Punkte auf der Zeitachse verbindet.
Dennoch ist Børresen der Auffassung, dass obsessives Beharren auf größtmöglicher Genauigkeit der Momentaufnahme nicht unbedingt sachdienlich ist, weil man dadurch gewissermaßen vor lauter Bäumen den Wald aus den Augen verliert. Musikalität steckt ihm zufolge weniger im mit ultimativer Präzision erfassten Augenblick, sondern vielmehr im möglichst exakten Nachzeichnen der kontinuierlichen Veränderung des Signals, die – wie wir doch eigentlich seit Jahrtausenden verstehen – den wahren Kern der Musik ausmacht. Und gerade bei der Reproduktion der Veränderung des Signals über die Zeit ergibt sich bei gängigen Wandlerkonzepten zum einen das Problem, dass Nyqvist nur dann vollkommen recht behält, solange man einen Tiefpass mit unendlicher Flankensteilheit einsetzen kann – den es bekanntlich nicht geben kann. Je flacher die Filterflanke, desto weniger eindeutig wird die Auflösung der Wellenform und desto mehr Verzerrungen können sich dementsprechend ins Signal schleichen. Und von den durch die Filterung verursachten Phasenfehlern haben wir an dieser Stelle noch gar nicht angefangen …
Kilohertz-Geklacker
… Tun wir jetzt auch nicht, denn Børresen sieht vor allem ein ganz anderes Problem: Die Verarbeitung von 768 000 Spannungswerten pro Sekunde bringt in derselben Zeitspanne unweigerlich ebenso viele Schaltvorgänge mit sich, und die verursachen hochfrequentes Schaltrauschen – das man natürlich wiederum filtern kann, aber eben mit allen dazugehörigen negativen Implikationen. Genau in diesen Schaltvorgängen sieht er den Grund für den berüchtigten „Digitalklang“ und sagt ihnen deshalb mit seinem „Non-Switching Continuum Processing DAC“ den Kampf an. Das Herz – und damit das Geheimnis – des Wandlers sitzt wohlgehütet in einem silbrig glänzenden Mu-Metall-Kästchen (magnetisch geschirmt), das das Musiksignal an die beiden analogen Ausgangsboards nebenan weitergibt. Die Magie, die hier passiert, übersteigt in ihren Details zwar zugegebenermaßen den Verständnishorizont des Autors dieser Zeilen, beruht im Grunde aber auf einem sehr einfachen Prinzip: Das PCM-Signal wird auf einer extrem hohen Taktfrequenz von 22 Megahertz abgetastet und soll sich dadurch – einem DSD-Datenstrom nicht ganz unähnlich – annähernd wie ein kontinuierliches Signal verhalten. Die enorm hohe Taktfrequenz, die im Übrigen DSD512 entspricht, erlaubt zudem eine gewisse Eleganz, weil jeder einzelne Datenpunkt aus 32 Samples summiert wird: Da Rauschen zufällig ist, mittelt sich dieses im Schnitt selbst aus der Gleichung heraus. Im Grunde ähnelt das Verfahren also entfernt dem bekannten DSD-Wandlungsprozess – doch wo dieser prinzipbedingt starkes Schaltrauschen verursacht und durch Noise Shaping in Bereiche weit oberhalb der menschlichen Hörschwelle verschiebt, umgeht der Aavik-Ansatz dieses Problem nicht nur, sondern sorgt zusätzlich für eben beschriebene „Selbstauslöschung“ von übrigen Rauschanteilen und Quantisierungsungenauigkeiten. Was bleibt, ist ein kontinuierlicher Bitstrom, der nicht dekodiert, sondern in der Ausgangsstufe nur noch zu modulierter Spannung glattgebügelt werden muss.
Die Kunst der Einfachheit
Die Wandlungslogik illustriert recht schön eine Designphilosophie, die sich wie ein roter Faden durch den Streaming-DAC wie auch durch die Modellpalette der Dänen insgesamt zieht: Hier wird gerne mal eine Menge Aufwand und Einfallsreichtum eingesetzt, um die Signalverarbeitung so simpel und auf so kurzen Wegen wie möglich zu realisieren. So erklärt sich beispielsweise auch, warum der SD-880 ein kompletter Netzwerkplayer ist und nicht etwa ein reiner Streaming-Transporter. Der Datenstrom soll auf dem kürzestmöglichen Wege alle notwendigen Verarbeitungsschritte durchlaufen. Eine dedizierte Streaming-Bridge müsste ihre Daten über ein Kabel an den DAC weiterreichen, die demnach nicht nur zwei Buchsen zu passieren hätte, sondern eben auch ein Kabel, das durch seine Induktivität – zumal bei den hohen HiRes-Frequenzen – tatsächlich Jitter verursachen kann. Ebenso wenig hält Børresen von externen Clocks – aus genau demselben Grund: „Digitalsignale haben außerhalb des Gehäuses kein einfaches Leben“, fasst er seine Haltung zusammen; in einem Tonstudio, in dem ein Dutzend Geräte im Gleichtakt laufen muss, kann ein zentraler Taktgeber sinnvoll sein – im HiFi dagegen sieht der stets quer zur Faser denkende Däne keinen Nutzen. Ein weiteres Stück Studiotechnik, das Børresen zufolge im HiFi nichts verloren hat, sind XLR-Verbindungen: Das Problem, das diese lösen, tritt in der heimischen Kette im Grunde gar nicht auf, und die Realisierung einer symmetrischen Schaltung geht bekanntermaßen mit einem Bauteilaufwand einher, der keine weiteren Vorteile mit sich bringt. Jegliche Ein- und Ausgänge – ob analog oder digital – sind daher jeweils nur in koaxialer Ausführung in RCA und BNC vorhanden.
All die Simplifizierungsbemühungen dürfen freilich keinesfalls mit Sparzwang verwechselt werden –schon das mächtige Gehäuse räumt hier alle Missverständnisse aus, bevor sie entstehen können. Beim Blick ins Innere sind wir denn auch nur milde überrascht, als wir feststellen, dass sich die Technologie auch bequem in einem wesentlich kompakteren Formfaktor hätte breitmachen können – dann hätte der Streamer aber optisch nicht mehr zu seinen Seriengeschwistern gepasst. Wenn ich beim Musikhören die aus Fleming E. Rasmussens Feder stammende Gehäuseskulptur betrachte, kann ich diese Designentscheidung nur gutheißen.
Fesselnd vom ersten Takt an
Apropos Musikhören: Wenn eine Komponente etwas außerordentlich gut kann, merke ich es häufig daran, dass ich an einer scheinbar belanglosen Passage einer Aufnahme hängenbleibe und eine kleine, eigene Hörsession damit zubringe, diese wieder und wieder über den Testprobanden und einige Gegenspieler zu hören. So geschehen im Intro zu „Shadows In The Rain“ vom Coveralbum The Sting Project von Jens Thomas und Christof Lauer in Zusammenarbeit mit der norwegischen Vokalakrobatin Sidsel Endresen. Im Einstieg plingelt Thomas auf seinem Klavier einige kurze Tonfolgen herunter, während Lauer spielerisch mit seinem Altsaxofon experimentiert, das in diesem Stück nach eigentümlicher Wide-panned-Manier eingefangen ist: Ein Sammelsurium an Anblas- und Klappengeräuschen, kleinen, explosiven Luftdekompressionen und allerlei mehr breitet sich auf der gesamten linken Bühnenhälfte aus. Der SD-880 fesselt meine Aufmerksamkeit bereits bei diesem völlig unmusikalischen Vorgeplänkel, indem er es mit einer faszinierenden Kombination aus stupender Trennschärfe, fein ziselierten Texturen und einer leichten, federnden Griffigkeit auf die Bühne wirft. Dieses Maß an Feinauflösung kriegt kein anderer Player in unserem Hörraum so hin. Im Direktvergleich gehört er eher zu den etwas schlanker abgestimmten Quellgeräten, lässt mit seiner straff federnden Bassqualität jedoch zu keinem Zeitpunkt Körperhaftigkeit missen: Sidsel Endresens Stimme wird im weiteren Verlauf des Stückes ebenso wie Thomas’ nach und nach an Energie gewinnendes Klavierspiel mit allem gebotenen Volumen auf der Bühne platziert.
Seine Durchsetzungsfähigkeit in den unteren Registern darf der SD-880 als Nächstes mit Mussorgskis Nacht auf dem kahlen Berge unter Beweis stellen – und der bisher gewonnene Eindruck verfestigt sich: Der ein oder andere zum Vergleich angeschlossene Zuspieler langt im Bass etwas kräftiger zu, hat der Kontrolle und der Durchhörbarkeit des Aavik aber nichts entgegenzusetzen. Der Däne behält jederzeit mit Lässigkeit die volle Autorität über die machtvolle Dynamik und hält die Bühne im Ganzen wie auch die einzelnen Instrumentengruppen vorbildlich intakt – selbst in den explosivsten Momenten verschwimmt hier absolut nichts.
Der SD-880 kommt im Übrigen auch vorzüglich mit weniger audiophiler Kost klar: „Love No Genkei“ vom gleichnamigen Album der japanischen Rockband Ajico ist eines dieser beinahe-gut produzierten Stücke, in deren Sounddesign eine Menge Interessantes vor sich geht, die im Ganzen aber etwas flach und hölzern klingen. Was dem Stück allerdings nicht abgeht, ist Drive, und auch hier eilt die straffe Bassperformance des dänischen Wunderwandlers zur Rettung, treibt den Rhythmus vehement vor sich her, sortiert fein säuberlich das Klanggewusel und bleibt dabei jederzeit richtig schön organisch und geschmeidig. Suche ich nach einer Phrase, die meinen Höreindruck vom Aavik SD-880 im Kern zusammenfasst, komme ich auf „organische Durchhörbarkeit“: Der Netzwerkplayer zeichnet beeindruckend fein, wirkt dabei aber nie hart oder spröde, sondern hält die Musik stets in einem absolut natürlich wirkenden Fluss. Ob das nun wirklich konkret auf das besondere Wandlerprinzip zurückzuführen ist, kann ich freilich nicht sagen. So spannend es ist, um diesen technologischen Ansatz zu wissen – am Ende zählt doch nur das musikalische Ergebnis. Und das ist schlichtweg Weltklasse.
Info
Netzwerkplayer Aavik SD-880
Konzept: Netzwerkplayer auf Basis eines „Non-Switching Continuum Processing DAC“
Eingänge: Ethernet RJ45, 2 x BNC (S/PDIF), 2 x Toslink, 1 x USB (asynchrony, UAC 2)
Unterstützte Sampleraten: S/PDIF: bis zu 32 bit/784 kHz; Toslink: bis zu 32 bit/192 kHz; USB: bis zu 32 bit/384 kHz; DSD 64 bis 256 nativ
Ausgänge digital: 1 x BNC (S/PDIF)
Ausgänge analog: 1 Paar RCA (4,5 Vrms; 50 Ω)
Streaming-Standards: DLNA 1.5; UPnP AV1.0
Besonderheiten: Teslaspulen und Ditherschaltungen zur Rauschunterdrückung, Darkz-Gerätefüße im Lieferumfang enthalten
Maße (B/H/T): 51/16/58 cm
Gewicht: 33 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: um 67 000 €
Kontakt
Audio Group Denmark
Rebslagervej 4
9000 Aalborg
Dänemark
info@audiogroupdenmark.com
Mitspieler
CD-Player: Accuphase DP-570, Audio Note CD 3.1x, Esoteric K-05XD
Netzwerkplayer/Streamer: Lumin P1, Linn Klimax DSM, Auralic Aries G2.2
D/A-Wandler: Benchmark DAC 3B
Vorverstärker: Accuphase C-2300, Electrocompaniet EC 4.8 Mk II
Endverstärker: Accuphase P-7500, Burmester 216, Electrocompaniet AW 800
Lautsprecher: PS Audio Aspen FR10, Nubert nuZeo 15, Manger c1, Wilson Audio Sasha DAW
Kabel: WestminsterLab, AudioQuest, Atlas Cables
Racks: Finite Elemente, Creaktiv