Harman Kardon Citation Tower – Ok, Google!
Die erste Kontaktaufnahme mit einer Stereoanlage namens Citation Tower, die anders ist als alle anderen vorher. Und die sogar sprechen kann.
Fotografie: Ingo Schulz, Hersteller
Gute zwanzig Jahre sind es jetzt, in denen ich für unterschiedliche Zeitschriften über Musik und HiFi geschrieben habe. Nein, das muss präzisiert werden: bei Musik war es ausschließlich Klassik. Und in Sachen High Fidelity handelte es sich mit nur einer Ausnahme, in der ein tragbarer HiRes-Player besprochen wurde, samt und sonders um klassische Stereoanlagen. Freilich garniert mit audiophilen Streamingplayern oder anderen Neuerungen, sofern sie bestmöglichen Zweikanalklang liefern können. Das Thema Lifestyle beanspruchte eher keinen Platz – allein schon mit den mitunter sehr auffälligen Kabeln, die wir ohne zu zögern in unsere Anlagen integrieren, dokumentieren wir nachdrücklich, dass wir den allgemein geltenden Schönheitsidealen einer Stereoanlage (= Unsichtbarkeit) definitiv nicht huldigen. Und während sich ein normaler Mensch angesichts eines vollen Racks ob der Hässlichkeit dieser Installation verzweifelt um deren Entsorgung bemüht, denken wir allen Ernstes über eine zusätzliche Stellfläche nach, da ja das Plattenspielernetzteil noch nicht ideal aufgestellt ist. Ja, wir sind anders. Gut so!
Und jetzt dies: zwei Lautsprecher. Fertig. Die ganze Anlage – nur diese zwei schlanken Säulen, die ihre Chassis obendrein unter wahlweise grauem oder schwarzem Gewebe verstecken. Das ist für einen altgedienten Audiophilen erst einmal harter Stoff, der Rest der Familie zeigt sich indes begeistert. Die Gattin freut sich – obgleich sie durchaus Kummer gewöhnt ist – erfreut ob des dezenten Auftritts. Die Teenie-Tochter ist endgültig begeistert, als die Lautsprecher anfangen zu sprechen und uns mitteilen, dass sie sich über Zugang zum häuslichen WLAN-Netz freuen würden.
Ewas über einen Meter hoch und mit etwas Abstand auf einem runden und durchaus schweren Sockel thronend, sehen die Citation Tower recht „leicht“ aus, verkneifen sich den martialischen Charme üblicher High-End-Lautsprecher. In der Bedienungsanleitung wird empfohlen, die Lautsprecher in der Nähe von Steckdosen zu platzieren, von der Verwendung von Verlängerungskabeln wird ausdrücklich abgeraten. Außerdem sollte der Abstand zum WLAN-Router mehr als fünf Meter betragen. Zu Rück- und Seitenwänden soll man einen Abstand von mindestens 51 Zentimetern einhalten. Wie man jetzt genau auf 51 Zentimeter kam, entzieht sich meiner Kenntnis, ich werde es jedoch einhalten. Allerdings verhält es sich mit diesen Tipps wie so oft: Es wird ein kleinster gemeinsamer Nenner beschrieben und es passt in den meisten Fällen schon recht gut, das ganze Potenzial eines Lautsprechers wird man so aber nicht ausschöpfen, da man nicht auf die individuellen Bedürfnisse des Raumes eingeht. Genau das wird hier aber noch passieren, wenn es darum geht, herauszufinden, wie weit man mit diesem Lautsprecher kommen kann.
Gut verborgen unter dem – bei unserem Textmodell grauen – Akustikstoff sitzen in der Citation Tower ganze vier Chassis. Ein zwanzig Zentimeter durchmessender Subwoofer ist im Sockel untergebracht, strahlt nach unten ab und streut über einen kegelförmigen Diffusor gleichmäßig in alle Richtungen. Da er höher als 100 Hertz spielt, ist dieser Trick durchaus sinnvoll, will man den Bass leichter an den Raum anbinden, gleichzeitig aber die Front des Lautsprechers schmal halten. Im Innern sitzt übrigens noch ein ziemlich extravagant geformtes Bassreflexrohr, das den Tieftöner unterstützt und das in seiner Formgebung Seltenheitswert besitzt. Ich hoffe, die Redaktion bekommt noch ein Bild davon vom Hersteller.
Oben im Turm umrahmen zwei Mitteltöner eine Hochtonkalotte. Nein, um D’Appolito-Anordnung handelt es sich nicht, dazu sind schon die Abstände zwischen den Chassis zu groß. Außerdem beherbergt jeder Lautsprecher zwei jeweils 200 Watt starke Endstufen und alle weitere nötige Elektronik, WLAN- und Bluetooth-Empfänger, Wandler und sämtliche Bedienelemente.
Der Aufbau geht denkbar einfach vonstatten: beide Lautsprecher aufstellen, den mit dem Display nach rechts (!), Netzkabel einstecken, fertig. Tatsächlich aber fängt die Arbeit jetzt erst an, muss doch das Set zunächst eingerichtet und konfiguriert werden. In meinem Falle per iPhone und der Google Home App, die kostenlos erhältlich ist. Sind die Lautsprecher eingeschaltet, kann man auf dieser App die verfügbaren Geräte suchen, eines aus der Liste der gefundenen anwählen und dann in den nächsten Schritten konfigurieren. Dieser Ablauf ist sogar für einen diesbezüglich recht unwilligen Menschen wie mich leicht zu durchschauen und schnell zu erledigen. Nur das Kennwort des Routers ist einzugeben, und schon kann man damit loslegen, die Lautsprecher nach den eigenen Wünschen zu konfigurieren.
Damit ist jetzt nicht ein Equalizer gemeint, sondern die Einbindung der Citation-Lautsprecher in das häusliche Umfeld und tägliche Leben. Denn mit ihnen hat Harman Kardon eine Gerätegattung geschaffen, die es vorher in dieser Form nicht gab. Die kleinen smarten Produkte, die diverse Assistenten bemühen (Siri, Alexa etc.), gibt es schon länger, allerdings handelte es sich bis jetzt immer um kleine, in einem Regal abzustellende Böxchen, die ganz nebenbei auch mit Musik berieseln können, hauptsächlich aber andere Smart-Home-Produkte steuern und per Sprachbefehl durchs Internet pflügen. Auf die Idee, diesen Funktionsumfang in ein hochwertiges Lautsprecherpaar zu implementieren, kam bisher noch niemand. Harman versucht also, hier eine Brücke zwischen den (Anwender-)Welten zu schlagen.
Schnell sind die Lautsprecher mit meinem bevorzugten Streamingdienst Qobuz verbunden, Spotify ignoriere ich wegen der Beschränkung auf MP3 völlig.
Die Leichtigkeit, mit der man über einen solchen Dienst durch die Welt der Musik surfen kann, ist schon beachtlich, und ich freue mich immer wieder, wie schnell sich mein Horizont erweitert, wie viel für mich neue Musik ich an nur einem Nachmittag kennenlerne, wenn ich einfach ergebnisoffen den Empfehlungen und Querverweisen folge. Das erlebe ich über meine große Anlage mit Streamingplayer immer wieder, ebenso über die kleine Streamingbox in einem der Kinderzimmer, hier jedoch mit ungleich weniger Aufwand. Die Kombination der Leichtigkeit einer typischen Smart-Lösung mit durchaus ernsthafter Klangqualität ist mir allerdings neu.
Bei mir gewinnen die Lautsprecher übrigens deutlich, wenn ich sie näher als die genannten 51 Zentimeter an die Rückwand stelle, weil Stimmen nun über einen glaubhafteren Brustkorb verfügen. Die Mitten und unteren Mitten werden etwas gefüttert, Musik wirkt so geschmeidiger. Der zwangsläufig entstehenden Bassüberhöhung konnte ich an der rechten Box über das berührungsempfindliche Display entgegenwirken. Eine leichte Reduktion (in diesem Falle −2) reichte aus, um den Frequenzgang für einen normalen Wohnraum erstaunlich glatt zu bekommen. Nach ein paar Messungen standen die Lautsprecher nur noch 20 Zentimeter vor der Rückwand, mit wie schon genannt reduziertem Basspegel.
In dieser Position bauen die Citations einen sehr breiten Raum auf, Schallereignisse werden übersichtlich mit leicht distanzierter Draufsicht angeordnet, ein penetrantes Zuspringen auf den Hörer verkneifen sich diese Lautsprecher. Der Bass kommt ziemlich knackig und gleichzeitig durchaus füllig, jede Musik wird auf ein wunderbar solides und sauber geformtes Fundament gesetzt. Die Muffigkeit vieler solcher Streamingboxen ist diesen Harmans auch fremd, nach oben hinaus befleißigen sie sich keiner falschen Zurückhaltung, sondern stellen Obertöne, ein Verklingen im Raum oder auch die vielen metallenen Klangfarben eines Schlagzeugs (Becken, Rimshots und so fort) locker auf die Bühne.
Insgesamt lässt sich der Klang als angenehm „unkompliziert“ beschreiben – es ist alles da, doch nichts drängt sich auf. Und genau das ist für einen solchen Lautsprecher eine ziemlich gelungene Abstimmung, sollen die Towers doch nicht nur den engagierten Musikliebhaber, sondern die ganze Familie beglücken. Ihr Platz ist nicht der düstere Hörkeller, sondern ein offenes und von allen genutztes Wohnzimmer. Und auch wenn ich mit meiner großen Anlage „besser“ hören kann, gebührt den Citations eine Medaille von besonderem Wert: Mit keinem anderen Gerät haben wir mit der ganzen Familie bisher so viel Musik gehört. Geht es nicht genau darum?
Auch sonst fügen sich die Lautsprecher in das tägliche Leben ein, kümmern sich auch um profane Dinge und lassen den Gedanken an einen High-End-Altar gar nicht erst zu. „Ok, Google, Timer bitte auf zwölf Minuten stellen“, rufe ich den Boxen zu, während ich in der Küche beschäftigt bin, und schon wird gewarnt, wenn die Nudeln aus dem Wasser müssen. Ein „Bitte täglich um sieben, vierzehn und neunzehn Uhr erinnern“ genügt, und wir müssen nicht mehr selbst an die richtigen Zeiten für die Medikamentengabe an unsere gerade grippende Tochter denken.
Auch die Rollläden fahren auf Zuruf in die gewünschte Position, wenn die Abendsonne am Esstisch blendet. Selbstverständlich könnte man das „bitte“ auch weglassen, immerhin rede ich mit einem Schaltkreis. So ganz kann ich allerdings doch nicht aus meiner Haut.
Die Frage, die mir bei diesen vielen Funktionen, die das Leben zweifellos in vielen Punkten erleichtern können, auf dem Magen liegt, ist die des Schutzes meiner Privatsphäre. Die Lautsprecher sind dauernd online, um meine Anfragen beantworten zu können, um sie überhaupt zu hören, haben sie ein Mikrofon. Diese Kombination aus einem ständig aktivierten Mikro und einer stehenden Internetverbindung fühlt sich für mich nicht ideal an. Das ist allerdings ein Punkt, den jeder für sich selbst entscheiden muss, andere gehen damit sicherlich weitaus entspannter als ich um.
Einen kleinen Versuch habe ich allerdings gewagt, nämlich die beigepackten Netzkabel durch eine audiophile Version ersetzt. Einen Unterschied konnte ich jedoch nicht feststellen. Also konnte der Versuch mit anderen Füßen unter den Füßen getrost wegfallen. Stattdessen in die Erfahrungswelten ganz „normaler“ Musikliebhaber eintauchen und über Qobuz noch etwas Musik hören. Einfach so, ohne sich dabei um die Technik zu kümmern. Durch vorgeschlagene Playlists klicken, die Neuheiten einiger Labels checken – das mit der Musik kann mitunter sehr einfach sein.
Wir meinen
Die Citation Tower bringen leicht und gut enorm viel Musik ins Haus, ein Brückenschlag zwischen HiFi und Smart Home.
Info
Smart-Home-Lautsprechersystem Harman Kardon Citation Tower
Funktionsprinzip: per Sprache steuerbares Multiroom-Lautsprecherkomplettsystem mit Streamingfunktion
Bestückung: 1 x 25-mm-Hochtöner, 2 x 4″-Tieftöner, 1 x 8″-Subwoofer pro
Lautsprecher
Ausgangsleistung: 2 x 200 W RMS
Stromversorgung: 100–240 V – 50/60 Hz
Energieverbrauch im Ruhezustand: <2 W
Bluetooth®-Version: 4.2
Frequenzbereich für die Bluetooth-Übertragung: 2402–2480 MHz
WLAN-Netzwerk: 802.11 a/b/g/n/ac (2,4 GHz/5 GHz)
WLAN-Übertragungsfrequenzbereich: 2412–2472 MHz
5G-WLAN-Übertragungsfrequenzbereich: 5,15–5,35 GHz, 5,470–5,725 GHz,
5,725–5,825 GHz
Unterstützte Audioformate: HE-AAC, LC-AAC, MP3, Vorbis, WAV (LPCM),
FLAC, Opus
Maße (B/H/T): 35/116/35 cm
Gewicht: 19 kg
Paarpreis: 2499 €