Auf ein Messekäffchen mit dem Entwickler der Wharfedale Linton 85th Anniversary
Peter Comeau blickt auf eine jahrzehntelange audiophile Entwicklungserfahrung zurück. Er gilt als Ikone britischer Lautsprecherphilosophie und hat für Firmen wie Heybrook, Mission, Quad oder Wharfedale gearbeitet. Zuletzt war er maßgeblich an der Neuauflage der legendären Wharfedale Linton beteiligt. Auf der Münchner HighEnd hatte unser Redakteur Roland Schmenner die Gelegenheit, Peter Comeau zu einem ausführlichen Gespräch zu treffen.
Den Test der Wharfedale Linton 85th Anniversary finden Sie hier …
FIDELITY: Mr. Comeau, erzählen Sie uns doch ein wenig von Ihrer audiophilen Vergangenheit. Wie kamen Sie gerade darauf, Lautsprecher zu entwickeln?
COMEAU: Als Jugendlicher wollte ich unbedingt anders hören als meine Eltern mit ihrer B&O-Anlage. Ich hatte mir ein feines System aus Goldring, Lenco und Cambridge Audio zusammengestellt, aber es gab keine Lautsprecher, die mich überzeugten So besorgte ich mir Chassis von Wharfedale und baute dazu mein eigenes Gehäuse und entwickelte eine eigene Frequenzweiche. Als nicht nur ich, sondern auch meine Freunde begeistert von dem Ergebnis waren, bemerkte ich, dass der eingeschlagene Weg nicht ganz falsch war.
FIDELITY: Also war es vor allem Learning by Doing?
COMEAU: Auf jeden Fall. Damals natürlich noch eher unbedarft. Aber so hat sich mein Arbeitsprozess herausgeschält, der sich bis heute nur wenig geändert hat. Es ist eine permanente Abfolge Messen und Hören.
FIDELITY: Messen und Hören ist für Sie also kein Widerspruch? Man hat in audiophilen Kreisen mitunter den Eindruck, als gäbe es eine Trennung in die Mess- und in die Hörfraktion.
COMEAU: Nein, ein Gerät durchläuft einen fortdauernden Entwicklungsprozess von Verifizieren und Falsifizieren. Messen und Hören ergänzen einander. Und seit etlichen Jahren kommt noch die Vorabentwicklung mit Hilfe von Softwaretools hinzu. Aber auch diese Entwicklungssoftware wird von einem ins nächste Entwicklungsstadium modifiziert.
FIDELITY: Also hat sich Ihre Entwicklertätigkeit mit dem Einzug digitaler Tools nicht grundlegend geändert?
COMEAU: Nein, nicht im Hinblick auf den grundsätzlichen Zugang. Was sich allerdings geändert hat, ist die Geschwindigkeit des Entwicklungsprozesses, der sich durch die Digitalisierung sehr beschleunigt hat.
FIDELITY: Von welcher Benchmark gehen Sie aus, wenn Sie mit dem Sounddesign eines Lautsprechers beauftragt sind? Ihr persönlicher Geschmack, ein imaginierter Hörertyp oder ein eher abstraktes Ideal?
COMEAU: Ausgangspunkt ist immer mein persönliches Klangideal, meine Vorstellung, wie ein Lautsprecher am besten den Kern, den Geist der Musik übertragen kann. Zum Glück teilen viele Hörer dieses Ideal. In meiner Jugend war ich ja auch an viele Recording Sessions in Aufnahmestudios beteiligt, dort habe ich einerseits das Ideal des analytischen und unverfälschten Klangs erfahren, mir war aber auch klar, dass dieser dann noch zum Genussfähigen transformiert werden muss. So hat sich mein ganz spezifisches Ideal herausgebildet.
Man lernt, was Hörer erwarten
FIDELITY: Sie arbeiten ja für ganz unterschiedliche Firmen. Erfahren Sie da nie werkseitige Vorgaben?
COMEAU: Nein, man vertraut mir dort. Ich weiß aber natürlich auch, was Hörer, die eine lange Verbindung zu einer Marke haben, von dieser erwarten. Durch meine langjährige Bekanntschaft mit Peter Walker weiß ich natürlich, was etwa ein Quad-Hörer erwartet und was nicht. Dennoch geht es auch um Weiterentwicklung, also stets um die Frage, wie aus Tradition Fortschritt erwachsen kann, ohne dass ein spezifischer Markenkern verloren geht. Zu allererst muss man das spezifische Firmenethos verstehen, wenn man dies verstanden hat, kann man sich auf den Weg machen.
FIDELITY: So wie auch bei der Linton? Ich höre sie, ebenso wie die Elysian 2, etwas analytischer und heller abgestimmt, als ich traditionelle Wharfedale-Lautsprecher in Erinnerung habe. Dennoch haben sie für mich ein typisch britisches Sounddesign.
COMEAU: Ja, auch wenn das 85jährige Firmenjubiläum im Hintergrund der Entwicklung stand und wir uns auf einen Lautsprecher der 1960er Jahre berufen bzw. diesen wieder zum Leben erwecken wollten, so was auch klar, dass wir keinen Retro-Klon entwickeln wollten. Jede Zeit hat ihre Bedürfnisse. Allein die Digitalisierung durch die CD hat seit den 1980er Jahren ja auch unser Lautsprecherdesign beeinflusst. Im Bereich der Dynamik, aber vor allem auch im Bereich der Frequenzenden hat die CD Vorteile- als auch gravierende Nachteile gegenüber der analogen Musikreproduktion gebracht. Hier musste man als Lautsprecherentwickler natürlich auch darauf reagieren. Und im Zeitalter einer extrem realistischen Musikwiedergabe via DSD oder MQA sieht dies wieder anders aus. Die Verbindung von Tradition und Zukunftsfähigkeit ist immer eine Herausforderung und ich denke, bei der Linton ist uns dies gelungen. Gestern kam ein Messebesucher in die Vorführung, hörte bestimmt eine volle Stunde der Linton-Vorführung zu und meinte dann, dass er nun seit 35 Jahren erstmals Lust bekommen hätte, sich neue Lautsprecher zuzulegen. Da habe ich mit meinem Wharfedale-Team offensichtlich den Punkt von Tradition und Innovation gut getroffen, zumindest bei diesem Hörer.
Aktivtechnik behindert den audiophilen Spieltrieb
FIDELITY: Bleiben wir noch ein wenig beim Aspekt der Zukunftsfähigkeit. Es ist ja durchaus ein Trend zu aktiven Lautsprechern zu beobachten. Zumindest im unteren und mittleren Preissegment. Ein Streamer mit Wandler und integrierter Vorstufe und schon ist mit einem Paar aktiver Lautsprecher eine kleine und aufgeräumte Anlage zusammengestellt.
COMEAU: Ich bin da momentan noch skeptisch, ob die wirklich Audiophilen auf diesen Zug aufspringen werden. Es geht doch auch um den permanenten Innovationstrieb: Wie klingt es, wenn ich den Verstärker austausche, wie, wenn ich die Kabel ändere etc.. Diese Leidenschaft macht doch immer noch in weiten Teilen die audiophile Hörerschaft aus. In meinen Augen wird es noch mindestens eine Generation dauern, bis sich dies geändert hat, wenn überhaupt.
FIDELITY: Reizt es Sie überhaupt, aktive Lautsprecher zu entwickeln?
COMEAU: Man muss wissen, dass es eine komplett andere Herangehensweise ist, die letztlich zu verschiedenen Soundsignaturen führt. Um es kurz auf den Punkt zu bringen: Bei aktiven Systemen steckt ein Großteil der Arbeit in der DSP-Entwicklung, im Gestalten der Filtersysteme, es ist primär ein technisch-elektronischer und auch digitaler Prozess. Bei passiven Systemen steht dagegen die mechanische Abstimmung in ihrer ganzen Variabilität im Vordergrund. Mal unabhängig von meiner Vorliebe als Entwickler, es werden immer zwei Hörergruppen mit unterschiedlichen Präferenzen bleiben.
FIDELITY: Lassen Sie uns zum Schluss noch ein wenig über Musik sprechen. Haben Sie persönliche Referenzmusik, die Sie bei der Entwicklung Ihrer Lautsprecher einsetzen? Also quasi spezielle Testscheiben?
COMEAU: Spezielle Testscheiben nicht. Ich konzentriere mich jedoch in der Anfangszeit einer jeden neuen Entwicklung auf etwa 20 Stücke, die ich einfach sehr gut kenne. Die zeichnen sich jetzt nicht durch spezielle audiophile Fähigkeiten aus, es ist lediglich Musik, die ich mag und die ich so gut kenne, dass ich dadurch perfekt in die ersten Abstimmungsprozesse hineinhören kann. Danach kommt aber das eigentlich Entscheidende: Dann höre ich zur letzten Abstimmung meist aktuelle Chartmusik, angesagte Mainstreammusik, denn ein Lautsprecher braucht keine spezielle Ausrichtung, sondern sollte möglichst umfassend sein. Nur dann ist es ein guter Lautsprecher.
FIDELITY: Mr. Comeau, wir danken für das Gespräch.
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