Phonar Veritas p10 Next – Flaggschiff unter neutraler Fahne
In bewegten Zeiten ist unbedingte Neutralität nicht die schlechteste Strategie. Die Phonar Veritas p10 Next hält sich daran, obwohl sie weder Eidgenossin noch Norwegerin ist.
Fotografie: Ingo Schulz
Zugegeben: Die erste halbe Hörstunde hatte es die schlanke, hochgewachsene Schöne aus Tarp bei mir schwer. Weil meine Ohren sich bedenklich schnell auf das konditioniert hatten, was derzeit bei mir daheim spielt: eine Vintage-Kette aus der Tiefe der 1990er Jahre, die seinerzeit schon nicht zu den ehrlichsten Kombinationen zählte. Dafür machen die Oldies mit ihrem leichten Loudness-Charakter und ihrem Faible für tiefe Frequenzen ganz viel Spaß – sofern man keine Tonstudio-Linearität von ihnen erwartet.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich das Gehör erst wieder daran gewöhnen muss, wenn ein Lautsprecher und die ihn ansteuernde Elektronik die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zum höchsten Gut erheben. Die Phonar Veritas p10 Next will keine Blenderin sein, will nicht mit kurzlebigen Effekten punkten, sondern, wie Phonar-Chef Kai Henningsen betont, mit einem besonders guten Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen. Für gut 6500 Euro Paarpreis soll das Flaggschiff der Norddeutschen sich mit den zum Teil deutlich kostspieligeren Schlachtkreuzern der Konkurrenz anlegen können, ohne dass die Niederlage gegen Angelsachsen, Franzosen, Italiener oder gar Gegner aus dem eigenen Land von vornherein programmiert ist.
Das klingt jetzt martialisch, ist es aber natürlich nicht: Wer die Phonar Veritas p10 Next an einen einigermaßen leistungsstarken und vor allem gut auflösenden Verstärker anschließt, erlebt kein blutiges Massaker, es fließen bestenfalls Ströme von Glückshormonen. Kann es diese schlanke, aber stattliche Säule doch mit ihren beiden 21er-Bässen, den 13er-Mitteltönern und dem 25-Millimeter-Kalottenhochtöner in Sachen Volumen und Durchschlagskraft durchaus mit Schallwandlern aufnehmen, die ein paar tausend Euro mehr pro Paar kosten.
Lommersum ist ein Phänomen
Da Entwickler Gerd Lommersum die fünf Chassis pro Box in D’Appolito-Anordnung in die schmale Schallwand pflanzt und den Lautsprecherkorpus bewusst nach hinten geneigt konzipiert hat, haben Laufzeitdifferenzen bei der Phonar Veritas p10 Next keine Chance. Auch ohne die Verwendung von Koaxtreibern kommt Lommersum dem Ideal einer Punktschallquelle vergleichsweise nahe – was für scharf umrissene, plastisch durchgezeichnete Räume sorgt. Dabei verzichtet man bei Phonar bewusst auf ungewöhnliche Exotenchassis. Nachdem Gerd Lommersum in Deutschland auch für den Vertrieb von ScanSpeak verantwortlich ist, bediente er sich für den Hochtöner im Regal des renommierten Herstellers hochwertiger Treiber und kombinierte ihn mit bewährten Konus-Chassis von Peerless. „Lommersum ist ein Phänomen, denn er kann den Klang eines Lautsprechers anhand von rosa Rauschen beurteilen“, schwärmt Kai Henningsen von den Fähigkeiten seines langjährigen Geschäftspartners, den er als das „Master Mind“ von Phonar bezeichnet.
Wer die Phonar Veritas p10 Next ausgiebig gehört hat, könnte durchaus zum Fan werden, denn dieser Schallwandler folgt jener Definition von Vollkommenheit, die einst der Autor des Kleinen Prinzen, Antoine de Saint-Exupéry, so formuliert hat: „Perfektion entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann. Am Ende ihrer Entwicklung ist die Maschine nicht mehr wahrnehmbar.“ Ein eigentlich auf die Fliegerei bezogener Aphorismus, der gleichwohl auch auf highendige Wiedergabegeräte anwendbar ist. Tendiert ein wirklich guter Lautsprecher doch tatsächlich dazu, sich unsichtbar zu machen, im besten Fall sogar die Hörraumwände zu entstofflichen. Ein Kunststück, das auch die Phonar Veritas p10 Next fertigbringt, nachdem sie eingespielt ist.
Keine Verfärbungen, keine Überbetonung
Nicht das einzige Feld, auf dem sich dieser Lautsprecher zurückhält, sich hinter die Musik zurücknimmt, das von der Quelle gelieferte Material für sich sprechen lässt, ohne etwas hinzuzufügen oder etwas fortzulassen. Die in einem sauber mehrschichtig schwarz oder weiß lackierten Mehrkammer-Gehäuse aus MDF eingebauten Treiber spielen dank punktgenauer Weichenabstimmung als homogenes Ensemble zusammen, entsprechend linear fällt der Frequenzgang aus.
Und da wäre sie dann, die unerschütterliche Neutralität dieser Box. Keine Verfärbungen, keine Überbetonung, keine „Schmutzeleien“, um etwas unpassend einen Ausdruck des scheidenden bayerischen Ministerpräsidenten zu bemühen. Stattdessen studiogleiche Geradlinigkeit, die im ersten flüchtigen Eindruck langweilig erscheinen mag, aber ausschlaggebend dafür ist, dass mit der Phonar Veritas p10 Next stressfreies Langzeithören möglich wird.
Die Phonar Veritas p10 Next im Hörraum
Was im FIDELITY-Hörraum ein ganz wichtiges Kriterium darstellt, denn die knapp anderthalb Meter hohe Standbox durchläuft hier nicht nur diverse Testdurchgänge mit Musikmaterial, wie es unterschiedlicher und vielfältiger nicht sein könnte – sie wird in der Folge nicht zuletzt aufgrund ihrer Neutralität auch als fideles „Messinstrument“ eingesetzt, um diverse Elektronikkomponenten unvoreingenommen beurteilen zu können. Hilfreich war in diesem Zusammenhang, dass Gerd Lommersum eine Menge Detailaufwand betrieben hat, um die Phonar Veritas p10 Next möglichst resonanz- und störgeräuscharm zu realisieren. Auch die wunderbaren „Nextgen“-Lautsprecherklemmen von WBT, die hier nicht etwa auf einer gesonderten Montageplatte aufgeschraubt, sondern direkt in die durchgebohrte Rückwand eingesetzt sind, gehören dazu.
Um Lautsprechern auf die Membranen zu fühlen, verwende ich in letzter Zeit gerne und oft Zubin Mehtas Version von Gustav Holsts Zyklus Die Planeten, die der Dirigent 1971 mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra für die US-amerikanische Decca eingespielt hat. Diese in ihrem Klangfarbenreichtum, ihrem weit gespannten Raum und ihrer dreidimensionalen Abbildung des Orchesters vorbildliche Produktion gehört in der vor mehreren Jahren veröffentlichten XRCD-Fassung seit langem (nicht nur) zu meinen Hörtestreferenzen. Vor kurzem haben sich die Mischpult-Magier von Analogue Productions die Masterbänder noch einmal vorgenommen und Die Planeten als SACD wiederveröffentlicht. Mit dem Ergebnis, dass die Durchhörbarkeit noch einmal gesteigert wurde, Instrumentengruppen besser voneinander unterscheidbar sind und die schiere Präsenz dieser mitreißenden Scheibe entscheidend zugelegt hat. Einen guten SACD-Spieler vorausgesetzt, saugen einen diese Planeten unaufhaltsam in ihr System, bis man mit ihnen um eine Sonne kreist, die wundersamer Weise in einem selbst lokalisiert zu sein scheint.
Faszination ohne Abstriche
Die Phonar Veritas p10 Next transportiert das Faszinosum ohne Abstriche – gerade weil sie es nicht kommentiert, keine Position zu diesem orchestralen Feuerwerk der vertonten Sternbilder bezieht, sondern es einfach eins zu eins weiterreicht, auf dass der Hörer sich ein unverzerrtes, objektives Bild dieser emotionalen Explosion machen möge.
Was mit Klassik bestens funktioniert, taugt auch als Rezept für Popscheiben, sogar für solche aus der Frühzeit des Mediums CD. Beim längst fälligen Ausräumen eines seit dem Umzug in einer Ecke der Abstellkammer verstaubenden Kartons fiel mir das dritte Soloalbum des einstigen Genesis-Schlagzeugers und -Sängers Phil Collins in die Hände. No Jacket Required (WEA) kaufte ich 1985 oder 1986 – und obwohl das Album längst in einer remasterten Ausgabe zu haben ist, mag ich den Charme und Klang des Originals nicht missen. Ja, das ist fetziger Glamour-Pop, wie man ihn Mitte der Achtziger mochte, und ja, das ist alles nicht besonders audiophil.
Die Phonar Veritas p10 Next teilt mir das mit, aber, Sie haben es erraten, verzichtet darauf, ihren Senf dazuzugeben oder gar meine Musikauswahl infrage zu stellen. Also lausche ich Collins’ noch unverbraucht volltönendem Tenor und seinen krachend auf Show gebürsteten Schlagzeug-Intros, verliere mich in jenem Synthesizer-Geblubber, das immer ein wenig an den Soundtrack zur Krimiserie Miami Vice erinnert (in der unter anderem der Song „Long Long Way To Go“ eine zentrale Rolle in einer wichtigen Folge spielte) und beame mich lustvoll zurück in eine Zeit, in der auch ich es Sonny Crockett nachmachte und zu pastellfarbenen Sakkos stylische Designerslipper ohne Socken trug, wenigstens im Sommer.
Party-Feeling
Die Phonar Veritas p10 Next absolviert ihre Zweckentfremdung als Zeitmaschine mit einem lässigen Achselzucken, obwohl ich mit heftigen Pegeln bei Krachern wie „Sussudio“ dafür sorge, dass der Chefredakteur mit einem stummen Kopfschütteln die Hörraumtür schließt. Spätestens wenn ich in Vorbereitung auf die diesjährigen Rother Bluestage heißen Funk und Soul mit dem Saxofonisten Maceo Parker auflege, kehrt CB zurück und lauscht ebenso fasziniert wie ich diesen wunderbar stechenden Bläsersätzen und den extrem virtuosen Soli des Blaskannen-Hexers, der vor kurzem erst seinen 75. Geburtstag feierte. Über die Lautsprecher macht sich zu diesem Punkt keiner von uns beiden Gedanken, weil sie sich – wieder einmal – gefühlt aus dem Geschehen ausgeklinkt haben.
Um nach reichlich Party-Feeling wieder ein bisschen herunterzukommen, schiebe ich die 2017 erschienene Solo-CD Ballads From The Basement des fränkischen Jazzpianisten Dieter Köhnlein (HOFA 284154) in den Player. So und nicht anders muss ein Steinway-D-Flügel klingen, wenn er mal gestreichelt, mal mit Vehemenz traktiert wird. Sogar die Größe entspricht fast zentimetergenau der Realität. Beeindruckend.
Wir meinen
Unspektakulär, unauffällig, perfektionistisch: Die Veritas p10 Next erlaubt mit Abhörmonitor-gleicher Ehrlichkeit und tonaler Korrektheit stressfreies Langzeithören.
Phonar Veritas p10 Next
Funktionsprinzip: 3-Wege-Bassreflex | Wirkungsgrad: 87 dB/Wm | Nennimpedanz: 4 Ω | Bestückung: 2 x 21-cm-Basstreiber, 2 x 13-cm-Mitteltöner, 1 x 2,5-cm-Hochtöner | Besonderheiten: D’Appolito-Anordnung der Chassis, definierte Gehäuseneigung zum Ausgleich von Laufzeitunterschieden, Innenverkabelung mit WireWorld | Ausführungen: Pianolack schwarz oder weiß | Maße (B/H/T): 25,5/140/37 cm | Gewicht: 4 kg | Garantiezeit: 5 Jahre | Paarpreis: 6500 €
Phonar Akustik
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