King Crimson, 1969 – In The Court Of The Crimson King
Zum Progrock gehören Tempowechsel, Klassik- und Jazzanklänge, umfangreiche Instrumentalteile und überraschende Instrumente. Weil das alles zusammen kaum in einen Drei-Minuten-Song passt, gibt es den Longtrack.
Manchmal sind es gerade die kleinsten Einfälle, die Geschichte schreiben. Zum Beispiel die schlichte Mellotron-Figur dieses Stücks, die sein Haupt- und Leitmotiv ist – drei Takte mit der Tonfolge fis-g-e, e-fis-dis, dazu ein Fülltakt mit Schlagzeugbreak. Genau zwanzig Mal erklingt das Motiv im Lauf der 9:22 Minuten und kreiert die feierlich-melancholisch-bombastische Grundstimmung dieser Ballade. Das Mellotron war 1969 noch etwas Neues, man assoziierte es mit den Moody Blues. King Crimson allerdings trennten sich gleich wieder vom Moody-Blues-Produzenten, sie suchten ihren eigenen Sound, aber machten das Mellotron zum Erkennungszeichen ihrer langsamen Stücke. Die Titelnummer der Nachfolgeplatte In The Wake Of Poseidon wurde fast eine Kopie.
Im Januar 1969 formierte sich die Band, im März begann sie „In The Court Of The Crimson King“ einzuüben, im Juli nahm sie das Stück auf, zuletzt das Mellotron und den Gesang. Dabei war der Text als Erstes fertig gewesen, geschrieben von Peter Sinfield, dem „stummen“ fünften Mitglied von King Crimson. Die Musik dafür lieferte Ian McDonald, der Allrounder der Band, zuständig für Keyboards, Blasinstrumente, Vibrafon und Chorgesang. Auf der Plattenhülle fehlt übrigens das erste Wort des Stücktitels, dafür hängt noch eine Menge mehr dran: „The Court Of The Crimson King including The Return Of The Fire Witch and The Dance Of The Puppets“. Ein bisschen großspurig-arrogant klingt das schon, und genau so hat man diese neue Band damals auch empfunden. Viele ahnten allerdings, dass sie die Zukunft der Rockmusik war. Die Debütplatte gilt als erstes Progalbum der Geschichte und als eines der wichtigsten.
Das Titelstück (und Namensstück der Band) stieg als Single-Auskopplung sogar in die amerikanischen Billboard-Charts ein. Es wurde zigfach gecovert, u. a. von Asia, Saxon, Steve Hackett, Gary Moore, diversen King-Crimson-Musikern und sogar vom Jazztrompeter Doc Severinsen (1970). Dank dem mysteriös-düsteren Mellotron-Motiv schaffte es der Titel auch in etliche Filme, TV-Serien und Videospiele.
Daneben passiert gar nicht so viel in dem Stück. Greg Lake singt vier Strophen, auch das eine bescheidene Melodie, die jedes Mal etwas anders begleitet wird, aber immer originell: akustische Gitarre mit Jazzrock-Drums! Dezent kommentiert die Musik nebenbei den Text, die Schlüsselworte dafür sind „piper“, „choir“, „bells“, „strings“. Damit es nicht eintönig wird, hat McDonald noch drei (sehr kurze) „Episoden“ eingestreut: einen Mellotron-Ausflug ab 2:20, eine wunderbare Kammerjazz-Miniatur mit Flöte ab 4:15 („Fire Witch“), eine witzige Tischorgel-Etüde ab 7:18 („Puppets“). Es gibt außerdem einen Scheinschluss bei 7 Minuten und ein großes Finale, in dem das Mellotron-Motiv siebenmal hintereinander erklingt – mit psychedelischer Steigerung in die Kakophonie.
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