Cayin CS-6LA und CS-845M – Leuchtendes Dreigestirn
Cayin, Röhren-Träume und Traum-Röhren
Fotografie: Ingo Schulz
Mit einigem Interesse verfolge ich die Entwicklung bei Cayin schon seit vielen Jahren, womit mehr als zehn, aber weniger als zwanzig gemeint sind. Vorher hieß Cayin übrigens Spark. Ein Rechtsstreit um den Namen in Deutschland zwang die Firma Zhuhai Spark Electronic Equipment Co. zur Umbenennung. Es war Thomas Deyerling, der Cayin hierzulande nach wie vor vertreibt und mit Lyric Audio auch als Hersteller in Erscheinung tritt, der mit seiner neu gegründeten Cayin Audio Distribution 1998 den entscheidenden Impuls gab. Bald war Deyerling so erfolgreich, dass sich „Cayin“ statt „Spark“ auch international als Handelsname durchsetzte. Die Verstärker der Chinesen waren schon früher hübsch anzusehen und unterschieden sich in der Verarbeitungsqualität ganz erheblich von den damals auf den Markt drängenden und gerne als „China-Böller“ verspotteten, sehr preiswerten Röhrengeräten aus Fernost. Aber mir selbst so einen schwierig einzuschätzenden Boliden ins Haus zu holen, davor hatte ich mich dann doch mit Begründungen zwischen Vorurteil und zögerlicher Vorsicht immer gescheut.
In den vergangenen Jahren jedoch hat sich viel getan, und dass chinesische Produkte unbedingt ernstzunehmen sind, dessen können Sie sich vergewissern, wenn Sie einmal einen Blick hinter Ihre in den letzten zehn Jahren erworbenen Komponenten riskieren. Große Teile des modernen High-End-Audios werden entweder komplett oder in Teilen im Land der Mitte gefertigt. Insbesondere Cayin – so mein nur allgemein informierter Eindruck – hat sich prächtig entwickelt und wurde seiner Vorreiterrolle immer vollauf gerecht. Cayins guter Ruf gründet sich vor allem auf die hervorragenden und im Vergleich günstigen Röhren-Vollverstärker wie beispielsweise den MT-12 N. An empfindlichen Lautsprechern ist die Erfüllung audiophiler Träume damit nur 800 Euro weit entfernt.
Das könnte wiederum gerade so reichen, um das Trio aus CS-6LA nebst zwei CS-845M-Monos mit einem neuen Röhrensatz zu versorgen. Die Kombination aus Röhren-Vorverstärker und Class-A-Endstufen mit riesigen Senderöhren vom Typ 845 ist von gänzlich anderem Kaliber als die niedlichen, preisgünstigen Integrierten. Die Konstruktion mit 300B-Röhren und 845-Leistungsröhren deutet auf ernsthaftes High End hin, und ich scheue mich nicht zuzugeben, dass ich beim Anblick der sehr hell emittierenden Glaskolben feuchte Hände bekomme. Noch einmal kurz zur Preispolitik von Cayin: Unter 20 000 Euro für das Trio müsste man als Kunde im Grunde Gewissensbisse bekommen, aber Cayin will lediglich 10 000 dafür. Eine Kaufempfehlung käme da einer Aufforderung zum Diebstahl gleich. Mal sehen, ob es nicht doch einen Haken gibt.
Die Vorstufe, die wie die Endstufen über eine massive Alufront mit praktischem „Griff“ verfügt, beschäftigt vier russische 12AU7 EH, wir kennen diese prototypische Kleinsignalröhre unter dem Kürzel ECC82 in der Linearverstärkung, und – nicht wirklich ungewöhnlich, aber in der Preisklasse doch hervorzuheben – zwei NOS-Gleichrichterröhren 22DE4 von RCA. Cayin schreibt dieser Kombination besonderen musikalischen Fluss zu. Unter den beiden anthrazit-metallic lackierten Kaminen am Heck verbergen sich ein üppiger Ringkerntrafo und Siebdrosseln zur Glättung der Netzfrequenz. Dahinter stehen vier Hochpegeleingänge sowie zwei Paar Ausgänge zur Verfügung. Wer möchte, kann mit vier 845M-Endstufen Bi-Amping betreiben. Die aufgeräumte Front gibt keine Rätsel auf. Quellenwahl links, Pegel rechts, dazwischen Power – alles ordentlich bis zur Anzeige der gewählten Lautstärke LED-beleuchtet. Eine sehr klassische Röhrenvorstufe, die schon haptisch die geforderten 2500 Euro wie ein Schnäppchen wirken lässt, mit stattlichem Gewicht von gut zwölf Kilo und vorbildlicher Ausgangsimpedanz von lediglich drei Kiloohm. Unter dem Blechkleid setzt sich dieser hervorragende Eindruck übrigens mit hochwertigen MultiCap-Kondensatoren und Carbonfilm-Widerständen von Takman fort. Das hochwertige Motorpoti hatte ich danach schon erwartet, nutze aber die Information, um die stabile Metallfernbedienung zu erwähnen, die nicht nur laut und leise kann, sondern auch die Eingänge freischaltet.
Die eigentlichen Stars des Trios sind aber ohne Zweifel die 845-Monoblöcke. Ihre Fronten korrespondieren gestalterisch mit jener der Vorstufe, obwohl sie paargleich und leider nicht spiegelsymmetrisch sind, sonst hätte man die pyramidale Form des Alu-Podestes für die Power-Knöpfe perfekt fortführen können. Sie leisten 28 Watt pro Einheit, selbstverständlich in Class A, und verfügen über einen mächtigen Ausgangsübertrager mit EI-Kern, der geeignet scheint, diese beachtliche Leistung auch weiterreichen zu können. In der Spannungsversorgung fährt Cayin zweigleisig: ein Ringkerntrafo von ebenfalls stattlichen Ausmaßen versorgt die Audioschaltung und ein Hochspannungs-EI-Trafo mit mehrlagigen Wicklungen beliefert die Leistungsröhren. Das Gewicht der auf der diesjährigen HIGH END zusammen mit der Vorstufe präsentierten Boliden von fast 33 Kilo kommt also nicht nur vom makellosen Chassis in Alu silbern und anthrazit. Bei Cayin werden die Verstärker in einem aufwendigen Verfahren von Hand lackiert, um eine besonders einheitliche Farbgebung zu erreichen.
Vom manuellen Ruhestromabgleich sollte sich niemand abschrecken lassen: Über zwei Potis und einen Wahlschalter in Verbindung mit dem frontseitigen Anzeigeinstrument stellt die Prozedur eine leicht zu überwindende Hürde dar. Und diese althergebrachte Methode hat den großen Vorteil, dass man danach zu Recht stolz auf sich sein darf. Kurze Zeit nach der Aktivierung leuchten die prächtigen Senderöhren hell wie Glühlampen, die ebenfalls bemüht illuminierenden 300B verblassen daneben regelrecht. Aus den Lautsprechern dringt im Leerlauf auf kurze Distanz nur ein minimales Säuseln, unabhängig davon, ob die Monos in gefilterten Dosen eines Gordian-Netzfilters stecken, oder, wie sonst üblich, direkt in einer Sun-Leiste. Da habe ich schon Transistor-Kollegen kennengelernt, die stärker rauschten. Ein wenig Aufwärmzeit brauchen die 845M, so wie alle Röhrengeräte, aber nach rund 20 Minuten können sie ihr volles Potenzial ausschöpfen. Jenes wiederum ist dann erstaunlich viel höher, als ich es auf Basis des Preisschildes für möglich gehalten hätte.
Mit diesem Verstärker-Trio hat Cayin ein unerwartet ehrgeiziges Projekt auf die Beine gestellt, das mitnichten nur aus schönem (Röhren-)Schein besteht, sondern klanglich vollauf zu überzeugen weiß. Und – was mir ganz besonders gefällt – CS-6LA und CS-845M klingen auch noch eigenständig und nicht etwa gesichtslos. Wer sich auf dieses, sagen wir unabhängig vom derzeitigen Stand der Technik operierende Dreigestirn einlässt, sollte seine Hörvorlieben nicht unbedingt im Bereich der professionellen Neutralität haben. Diese Monos sind Single-ended-Röhrenverstärker, und sie schämen sich dessen kein bisschen. Man kann die Wiedergabe im Bass nicht mit einer Schraubzwinge vergleichen, aber sie ähnelt auch nicht einem Abschleppseil aus Gummi. Der Tiefton ist markant und ausführlich – ein gekonnt gezupfter Kontrabass kann sogar die Seele des Hörers in Schwingung versetzen –, aber nicht ohne die nötige Definition, die moderne Röhrenverstärker, auch wenn sie sich auf tradierte Konstruktionen berufen, auszeichnen sollte. Ich sage nur: Ausgangsübertrager. Cayin ist einer der seltenen chinesischen Hersteller, die die Bedeutung dieses Bauteils korrekt einschätzen.
28 Watt im energieintensiven Class-A-Betrieb sind kein Pappenstiel, folglich gab es wie erwartet auch keinerlei Kompatibilitätsprobleme mit den Piega Coax 511, die im Testzeitraum den Redaktions-Hörraum aufwerteten. Meine eigenen Lautsprecher von Steinmusic stellen als unbeschaltete Breitbänder ohnehin keine Verstärker vor zu hohe Leistungsanforderungen, dafür unterscheiden sie sehr penibel zwischen guten und weniger guten Vertretern. Die Cayin-Kombo punktet vorrangig, wenn emotionale Ansprache gefordert ist. Linda Ronstadts „Blue Bayou“ jagt mir wohlige Schauer über den Rücken, ihre Stimme klingt, wie sich Pfirsichhaut anfühlt. Aber auch die vergleichsweise spröde Gitarrenarbeit Lou Reeds auf „Dirty Blvd.“ erhält neben einer in ihrem Maß gerade noch zulässigen Anreicherung einen ganz eigenen Reiz durch die betont behutsame Bearbeitung des schroffen Tons. „Zackig“ oder „schnell“ sind nicht die ersten Adjektive, die sich aufdrängen. Die Vor-/Endverstärker-Kombi entwickelt ihren Reiz gleich einem Offbeat über die Kultivierung des letztlich nicht exakt Definierten. Die Cayins eröffnen als Freigeister die Möglichkeit, zwischen den Noten zu lesen, was dem Hörer – sofern er nicht ausgerechnet Toningenieur ist – ein sehr erfüllendes Treiben oder Aufgehen in der Musik gestattet.
Kürzlich flatterte mir eine außergewöhnliche Straight-to-Tape-Aufnahme vom Schweizer 2Inch-Records-Label ins Haus. Die Session One der Schweizer Band Souls Revival verströmt ungebremste Dynamik und pures Adrenalin. Keine Overdubs, keine Nachbearbeitung, die eidgenössischen, vom Grunge der Neunziger inspirierten Hardrocker beherrschen ihr Handwerk, auch wenn sie den elektrischen Blues nicht unbedingt neu erfinden. „The Real Motherfucker“, Songtitel und Programm, suhlt sich hemmungslos im Soundgarden-Alice-In-Chains-Breitwand-Gitarrensound, und die Cayins nehmen diese Prämisse dankbar an. Mit Verve und ungezügelter Lust hämmern sie saftige Riffs in den Hörraum, dessen Geruch nach kaltem Rauch und Dosenbier plötzlich noch intensiver zu werden scheint. Ich frage mich, wo und was Wahrheit in diesem Zusammenhang eigentlich ist, denn im Grunde müsste die Wiedergabe etwas kühler, analytischer und weniger mitreißend sein, um von echter Neutralität sprechen zu können. Well, I don’t give a fuck! Diese Cayin-Monos sind echte Spaßmaschinen, in den Höhen etwas gebremst, gerade so, dass es nie scheidend wirkt und im Mittelton ausschweifend, prall, immer ein wenig seidig glitzernd, der Bass breitbeinig und körperlich. Sitz nicht einfach nur da, spring auf, streck die Fäuste in die Luft, Eskalation ist Teil des Sets, legen sie mir unmissverständlich nahe. Also gut, den Rest der Story müssen Sie sich nun denken. Oder noch besser: Hören Sie sich CS-6LA und CS-845M probeweise an und erleben Sie die Fortsetzung mit sich selbst am Bühnenrand.
Im Jahr 1936 präsentierte Western Electric mit dem WE-91 einen handlichen Röhrenverstärker mit phänomenaler Ausgangsleistung von bis zu acht Watt. Das machte die 300A zur leistungsstärksten Röhre der Zeit, von exotischen Sendetypen abgesehen. Schon bald folgte ihr die Röhre 300B nach, deren Sockel um 45 Grad gedreht war, um Material einzusparen. Während des Krieges wurden Anodenbleche knapp und man ging dazu über, unter hohem Arbeitseinsatz ein feines Netz aus dünnen Leitern zu flechten – die sogenante 300B Mesh Plate, wie sie in den Cayin-Endstufen zum Einsatz kommt, war eine improvisierte, aus der Not geborene, Entwicklung.
Unter Audiophilen gelten diese Röhren als Heiliger Gral der Röhrenverstärkung. Originalen WE-300B Mesh Plate wird eine geradezu magische Transparenz und Wärme nachgesagt, wofür die vergrößerte Oberfläche des Andodenblechs ursächlich sein könnte – wohlgemerkt, intendiert war das von Western Electric ursprünglich nicht. Western Electric produzierte 300B-Röhren bis 1988, kürzlich wurde die Röhre zu ihrem achtzigjährigen Jubiläum sogar neu aufgelegt – zu einem märchenhaften Preis, der sie ausschließlich für Sammler interessant sein lässt. Allerdings gibt es heutzutage eine Vielzahl von 300B-Alternativen in einem breiten Preisbereich. In letzter Zeit tauchen auch immer wieder neue Mesh-Plate-Bauformen auf.
Die Cayin-Monos weisen eine weitere „historische“ Besonderheit auf: Während Endstufenröhren wie die 845 heute meist mit Gleichstrom beheizt werden, ist das grundsätzlich auch direkt mit Wechselstrom möglich. Bis in die Fünfziger-Jahre, als Siliziumgleichrichter sich zur kostengünstigen Alternative entwickelten, wurde das auch überwiegend so gehandhabt. Der immanente Nachteil durch Brummeinstreuungen aus dem Netz, ist durch einen Brummabgleich leicht in den Griff zu bekommen.
Röhren-Vorverstärker Cayin CS-6LA
Funktionsprinzip: Class-A-Röhrenvorverstärker
Eingänge: 4 x Line (Cinch)
Ausgänge: 2 x Pre-Out (Cinch)
Frequenzbereich: 5 Hz–100 kHz (−1 dB)
Röhrenbestückung: 4 x 12AU7EH, 2 x 22ED4
Eingangsimpedanz: 100 kΩ
Ausgangsimpedanz: 3 kΩ
Verstärkungsfaktor: 15 dB
Besonderheiten: Metall-Fernbedienung für alle Funktionen
Ausführung: Front silbern, Chassis anthrazit
Maße (B/H/T): 286/193/328 mm
Gewicht: 12,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 2490 €
Röhren-Monoendverstärker Cayin CS-845M
Funktionsprinzip: Class-A-single-ended-Röhren-Monoendverstärker
Eingänge: 1 x Line (Cinch)
Frequenzbereich: 5 Hz–33 kHz (−3 dB)
Klirrfaktor: 2 % (1 kHz)
Röhrenbestückung: 300B, 6SL7, 6SN7, 845, 22ED4
Ausgangsleistung: 28 W
Ausführung: Front silbern, Chassis anthrazit
Maße (B/H/T): 286/482/239 mm
Gewicht: 32,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Paarpreis: 7490 €
Mitspieler:
Plattenspieler: Dr. Feickert Analogue Firebird
Tonarm: Mørch DP-8
Tonabnehmer: Lyra Kleos SL, Clearaudio Da Vinci, Ortofon MC Quintet Bronze und 2M Black, Audio Technica 50ANV und 33PTG I
Phonovorverstärker: Einstein The Phono Amp, MFE Tube One SE (integriert), Lyric Audio PS10
CD-Player: Revox C 221, Ayon CD-3sx
D/A-Wandler: PS Audio Digital Link III
Vorverstärker: MFE Tube One SE, Audia Flight Strumento No. 1 Mk II
Endverstärker: DNM PA3S, Audia Flight Strumento No. 4 Mk II
Vollverstärker: Genuin Straight
Lautsprecher: Steinmusic Masterclass SP 1.1, Piega Coax 511, Eigenbau
Kabel: Musical Wire, Audiophil, AudioQuest, Vovox
Zubehör: Lab12, Audio Replas, Clearaudio, Steinmusic, Audiophil, Black Forest Audio, IsoTek, Subbase Audio, SolidSteel, Feickert Analogue