Phonovorverstärker Pass Labs XP-17 – American Phono
Der kleinere der beiden Phonovorverstärker von Pass Labs ist ein ganz Großer. Physisch und klanglich.
Fotografie: Ingo Schulz
Die LP, von der ich gerade nicht genug bekomme, ist die Neuauflage des vierten Soloalbums IV von Peter Gabriel als mit halber Geschwindigkeit gemastertes Doppelvinyl. Eine Platte, deren musikalischer wie klanglicher Wucht man sich vorbehaltlos und ohne Rücksicht auf migränegeplagte Nachbarn hingeben sollte. Die Belohnung? Herzrasen und strahlende Augen, ganz wie in Kindertagen nach der ersten Achterbahnfahrt: Nochmaaal!
Während die Nadel in der Auslaufrille zur Ruhe kommt, danke ich Mr. Gabriel, den Erfindern des Fairlight CMI und meinem Plattenspieler. Und natürlich der Phonovorstufe. Hoppla, die hätte ich fast vergessen. Dabei hat gerade die erste elektrische Instanz, auf die das zarte Signälchen des Tonabnehmers trifft, ganz entscheidenden Einfluss auf Wohl oder Wehe des Endergebnisses.
Nein, hier soll kein Wettbewerb um die Rangfolge von Anlagenkomponenten ausgerufen werden. Eigentlich spricht aus mir bloß die Begeisterung über den Phonoentzerrer, der mich während der vergangenen Wochen mit Gabriels „Rhythm Of The Heat“ mehrfach (Nochmaaal!) an die Rückwand des Hörraums genagelt hat. Er kommt aus den USA, genauer gesagt aus Kalifornien, aus der High-End-Schmiede Pass Labs, und hört auf die Bezeichnung XP-17. Und er ist verdammt gut.
Pass Labs mag man zuallererst mit der Person von Nelson Pass und dessen originell designten Class-A-Leistungsverstärkern verbinden. Tatsächlich ist Gründer und Namensgeber Pass ausschließlich der Mann für Watt und Ampere (und Celsius – Class A eben). Für alles, was sich im Klein- und Kleinstsignalbereich abspielt, Vorstufen und Phonoentzerrer also, zeichnet dagegen sein langjähriger Wegbegleiter Wayne Colburn – er und Pass arbeiteten schon in den 1990ern bei Threshold zusammen – verantwortlich. Ihn werde ich also befragen, nachdem ich das erste haptische und akustische Kennenlernen des XP-17 hinter mich gebracht habe.
Der XP-17 ist Nachfolger des Modells XP-15 und äußerlich bis auf eine Änderung bei den Eingangsbuchsen nicht von diesem zu unterscheiden. Gebürstete Aluplanken, rechte Winkel und klare Kanten – Pass Labs eben. An der Front gibt es nichts zu bedienen, die durchaus opulenten Einstellmöglichkeiten haben die Designer bedauerlicherweise auf die Rückseite verbannt. Noch dazu in Form von DIP-Schaltern, vulgo Mäuseklavieren. Seufz.
Ein Paar Cinchbuchsen dient als Anschluss für das Tonarmkabel. Das Vorgängermodell hatte noch deren zwei, eins für MM- und eins für MC-Systeme. Beim XP-17 muss man sich mittels der erwähnten DIP-Schalter entscheiden. Das entzerrte und verstärkte Signal ist wahlweise per Cinch oder an symmetrischen XLR-Buchsen abzugreifen. Wobei der XP-17, anders als viele andere Pass-Geräte, intern nicht symmetrisch aufgebaut ist. Anschluss per XLR ist hier also vor allem bei langen Kabelstrecken sinnvoll, wo diese Art der Verkabelung dank des höheren Übertragungspegels einen gewissen Vorteil hat.
Die DIP-Schalter ermöglichen die Anpassung von Verstärkungsfaktor, Kapazítät und Abschlussimpedanz. Eine hohe Verstärkung von 70 dB (die Beschriftung an der Rückseite addiert merkwürdigerweise jeweils die 6 dB des XLR-Übertragungspegels, in diesem Fall steht da also „76 dB“) ist für Low-Output-MCs vorgesehen. Die Schalterstellung 66 (= 60 dB) entspricht in etwa dem Standard für „normale“ Moving-Coil-Tonabnehmer. Die niedrigste Einstellung 56 (= 50 dB) scheint für Moving-Magnet-Systeme recht hoch gewählt. Hier würde man eigentlich 40 dB erwarten. Mangels MM-Tonabnehmer konnte ich keinen Praxistest vornehmen. Bei Pass sah man auf meine Nachfrage keinen Grund zur Besorgnis.
Die Abschlussimpedanz ist zwischen 10 Ohm und 47 Kiloohm in einer Vielzahl von Schritten extrem fein einstellbar, da sich die Schalterstellungen kombinieren lassen. Leider behindert die Platzierung der DIP-Schalter an der Rückseite in der Praxis diesbezügliche Experimente sehr effektiv. Doppelseufz.
Die technischen Informationen heben das gefilterte Netzteil hervor, in dem ein streufeldarmer Ringkerntrafo zum Einsatz kommt. Allgegenwärtig sind Hinweise auf hohe Betriebsströme, wodurch etwa die Arbeitspunkte der aktiven Bauteile in klanglich vorteilhafte Regionen gelangen. Entsprechend warm wird der XP-17 im Dauerbetrieb – eine Phonovorstufe würde man hier nicht vermuten, eher schon einen kleinen Leistungsverstärker mit gutem Class-A-Anteil.
Großen Wert legt Wayne Colburn auf die rausch- und verzerrungsarme Auslegung der Verstärkerschaltungen und deren niedrige Ausgangswiderstände. Als verstärkende Bauteile kommen JFETs (Eingangsstufe) und MOSFETs (Ausgangsstufe) zum Einsatz. Die dazwischenliegende Entzerrung erfolgt zweistufig – hohe Frequenzen werden passiv, tiefe aktiv behandelt. Hauptvorteile dieses Designs sollen eine besonders exakte Entzerrung gemäß RIAA-Vorgabe und eine hohe Aussteuerbarkeit der Schaltung sein.
Das Grundkonzept basiere auf der Arbeit mit Nelson Pass bei Threshold, antwortet Colburn auf meine Frage nach seiner grundlegenden technischen Philosophie. Demzufolge stellt der XP-17 den (vorläufigen) Endpunkt eines Vierteljahrhunderts Reifezeit dar. “We try and keep it simple”, sagt der Entwickler. Was der gute Mann eben unter „simple“ versteht.
Mit meinem Lyra Kleos im Bauer-Audio-Tonarm auf dem Laufwerk Bauer Audio dps 3 bekommt es der Pass-Entzerrer mit durchaus angemessenen Zuspielern zu tun. Ich wähle 60 dB Verstärkung und liege damit goldrichtig. Als Abschlussimpedanz probiere ich zuerst 1000 Ohm aus, lande aber rasch bei noch lebendigeren 47 kOhm, wie auch bei meinem eigenen Bauer Phono. Das Kleos fühlt sich pudelwohl.
Für den Anfang etwas Leichtes: Yello, das letzte Album Toy. Der Opener „Frautonium Intro“ eignet sich als erstaunlich präzises Messinstrument für den „Womit haben wir’s hier zu tun?“-Schnellscan einer Komponente. Die Synthie-Bässe ziehen böse in die Tiefe, trocken und angemessen humorlos. Der computergenerierte Raum spannt sich weit auf und verspricht großes Vergnügen bei Aufnahmen mit „echter“ Bühne. Ein Soundeffekt klingt wie das akustische Äquivalent eines gigantischen, vor dem Hörer auf- und abschwingenden Laserfächers – ein komplexes, irgendwie elektrisches, durchaus warmes Britzeln. Es kommt hier überaus fein aufgelöst aus den Boxen, vor dem inneren Auge erscheint ein Oszilloskop mit unzähligen hochfrequenten Schwingungsspitzen. Später, bei den Titeln mit Dieter Meiers charakteristischen Textdeklamationen, fällt die Unmittelbarkeit der Stimmabbildung auf. Mit dem XP-17 sitzt man in der ersten Reihe.
Weil ich schöne Dinge gerne teile, verbringe ich während des Testzeitraums einige Hörstunden in Gesellschaft von Freunden. Bei diesen Gelegenheiten landete regelmäßig die eingangs erwähnte Peter-Gabriel-45er auf dem Plattenteller. Die Wirkung war zuverlässig umwerfend. Gabriels Songs sind, zumal bei dieser die dynamische Spannweite der Analogkette ausreizenden Luxusproduktion, fast schon brutal dicht arrangiert und instrumentiert und damit ein echter Prüfstein für die Souveränität der beteiligten Komponenten. Der XP-17 leistete sich keinen Fehler. Er ließ es krachen, dass die Wände wackelten, und er behielt den Überblick über das bisweilen reichlich urwüchsige Geschehen.
Als Messlatte für die Ermittlung des tonalen Fingerabdrucks des Pass Labs kam zwischendrin kurz meine Bauer-Audio-Phonovorstufe zum Einsatz. In diesem Vergleich zeigte das US-Gerät unmissverständlich seine Ambitionen auf die Auflösungs-Weltmeisterschaft, während der Münchner Entzerrer eine gelassenere, auf Geschlossenheit fokussierte Gangart einlegte. Dodge Viper gegen BMW 7er?
Das rasante Beschleunigungsvermögen des XP-17 und sein Talent zur in jeder Situation makellos akkuraten Nachzeichnung feinster Obertondetails machen den Amerikaner zu einer guten Wahl für Klassikhörer. Man nehme nur eine Produktion wie die Aufnahme von Leoš Janáčeks Sinfonietta auf Decca mit den Wiener Philharmonikern unter Sir Charles Mackerras (Decca 6.42609 AZ). Mit den messingglänzend strahlenden und jubilierenden Bläserfanfaren, überhaupt der blitzblank im Wiener Sofiensaal (digital!) aufgezeichneten Klangfarbenpracht des Orchesters ist dieses noch dazu makellos gefertigte Vinyl geradezu als Beigabe zum XP-17 prädestiniert.
Mit der Aufzeichnung von Wladimir Horowitz’ legendärem Moskauer Konzert fühle ich dem Pass Labs noch einmal ganz dezidiert auf den tonalen Zahn. Der alte, mit Horowitz verlässlich mitreisende Steinway-Flügel lässt hier keinen Zweifel an seinem beträchtlichen Metallanteil. Die Saiten schwingen kraftvoll-stählern – ja, dieser brillante, hell tragende Ton ist unverkennbar der berühmte Horowitz-Anschlag. Soll ich ehrlich sein? Eine derartige Transparenz und Durchhörbarkeit, die mich ganz nah an den Solisten bringt – das ist schon Extraklasse.
Noch ein Plattentipp zum Schluss. Unter den Direktschnitt-Produktionen des Labels Berliner Meister Schallplatten (BMS) findet sich auch eine Aufnahme des finnischen Streichquartetts Meta4. Das Ensemble wurde mit exquisiten Mikrofonen (Josephson, Sennheiser) ohne elektronische Hilfsmittel im historischen Meistersaal an der Köthener Straße aufgenommen. Ich würde die Produktion, die durchaus großzügig mit natürlichem Hall, nein: mit Raumschwingung versehen ist und die vier Musiker nicht als vier Pingpong-stereofone Tonquellen, sondern als einen gemeinsam atmenden, im und mit dem Raum spielenden Klangkörper präsentiert, zu den feinsten Aufnahmen ihrer Art zählen. Mit dem Pass Labs XP-17 ist die Spannung der ohne Unterbrechung am Stück musizierten Plattenseiten sofort im Hörraum präsent. Die mit angenehmer Distanz eingefangenen Streichinstrumente verbinden ihre Stimmen zu einem gemeinsamen Gesang, ganz im Sinne des eingespielten Werks, des Streichquartetts op. 56 Voces Intimae von Jean Sibelius.
Dokumentation abgeschlossen, der XP-17 ist raus, unterwegs zum Fotostudio. Raus? Noch nicht ganz, ein letztes Mal rufe ich mit Peter Gabriels „Wallflower“ hinterher: Though you may disappear, you’re not forgotten here.
Phonovorverstärker Pass Labs XP-17
Funktionsprinzip: unsymmetrischer Phonovorverstärker
Eingänge: Cinch (umschaltbar für MM oder MC)
Ausgänge: Line unsymmetrisch (Cinch), Line symmetrisch (XLR)
Verstärkungsfaktoren: MM 50 dB, MC 60 dB, MC low output 70 dB
Besonderheiten: Eingangsimpedanz wählbar (über 200 Stufen), Kapazität wählbar (vier Stufen)
Maße (H/B/T): 10,2/42,5/31,8 cm
Gewicht: 8,6 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: 5300 €