Audio Video Show Warschau 2018, Teil II – Eine HiFi-Messe, die Maßstäbe setzt
Die Audio Video Show in Warschau dürfte die derzeit interessanteste Messe Europas sein
Teil 2 von 2 – hier geht’s zum Teil 1
Herbstlich war es schon, als wir München verließen, aber in Warschau sind die Temperaturen noch eisiger. Das kann unserer Vorfreude auf die die 22. Audio Video Show, die ich im letzten Jahr erstmalig besuchte, jedoch nicht trüben. Am Sonntag sollte sogar ein plötzlicher Wintereinbruch die Straßen mit glitschigem Schneematsch überziehen. Aus dem Taxifenster zeigt sich Warschau als weitläufige, sich rasant modernisierende Stadt. Wenn der Warschauer es zu etwas gebracht hat, legt er sich ein schnelles Auto zu. Aus Gründen der Sicherheit mit lautem Auspuff, damit die anderen ihn rechtzeitig bemerken. Trotzdem sind die Straßenschluchten rund um die Uhr mit Sirenengeheul und Blaulicht erfüllt. Als Fußgänger hält man besser großzügigen Sicherheitsabstand zu den Fahrbahnen. Wissenswertere Fakten zur polnischen Hauptstadt finden Sie im ersten Teil unseres Messeberichts.
Als wir Freitag nachmittags im Hotel Sobieski eintreffen, ist die Messe schon im Gange, aber im Vergleich zu den beiden Folgetagen, wo sich vor den Kassen eine Schlange durch die Hotellobby zieht, noch nicht auf Touren. Ohne große Erwartungen lasse ich mich von einer kalten Anlage zur nächsten Treiben. In einem der größeren Säle im Erdgeschoss eröffnet Avantgarde Acoustic meinen Messerundgang lässig mit Frank Sinatra, daneben lassen Schwerlast-Boliden von Marton an Wilson Audio Alexia die Muskeln spielen, beide Vorführungen klingen mehr als vielversprechend. Nicht so ganz warm werde ich mit dem Sound bei Struss Audio, ein polnischer Hersteller, dessen Verstärker-Design ein wenig an Audia Flight erinnert, wenngleich in der Verarbeitung längst nicht ebenbürtig. Schöne Verstärker sind es nichtsdestotrotz und als zu den wenigen Transistor-Typen gehörend eine Erwähnung wert. Bei einem zweiten Besuch am Sonntag klang es dann auch entsprechend gut. Abgesehen davon steht zumindest der Messeteil im Hotel Radisson Blu Sobieski fest unter der Herrschaft von Röhrenverstärkern – von vintage bis modern, von abenteuerlich bis höchst professionell.
Am nächsten Morgen steht ein Termin im gegenüberliegenden Golden-Tulip-Hotel bei Fink Team auf dem Plan, wo Karl-Heinz Fink persönlich den neuen Zwei-Wege-Standlautsprecher Borg vorstellen will, den ich in Krefeld schon an Elektronik von Marantz gehört hatte. Ich liebe es, wenn Entwickler versammelten Journalisten ihre Kreationen näher bringen oder verständlicher formuliert, meist fühle ich mich mit einer Produktbroschüre besser bedient. Aber bei Karl-Heinz Fink ist das anders: Nach einem kurzen Überblick über das Fink Team als breit aufgestellte Entwickler-Werkstatt mit umfassendem und modernstem Equipment, geht er mit Humor auf vergleichsweise abseitige Aspekte der Borg ein, wie zum Beispiel die Entscheidung zwischen Bassreflexrohr und Passivmembran, die letztlich zugunsten des klassischen Ports ausging, allerdings in einer derart komplexen Ausführung, dass dessen Herstellung die Kosten eines Passivradiators übersteigt. Daneben gibt der versierte Entwickler interessante Einblicke in die Feinabstimmung der Borg für Wohnräume, und wie sie sich von einer stur neutralen unterscheidet. Kurzes Fazit: Die Borg könnte noch tiefer, soll sie aber nicht. An Thrax-Elektronik aus Bulgarien spielt sie hervorragend. Hybrid-Monos namens Teres haben die kantigen Standlautsprecher fantastisch im Griff, ganz vorne liefert ein TechDAS Air Force 5 mit Acoustical-Systems-Aquilar-Arm und Suzaku-Tonabnehmer von Top Wing, also ein analoges Frontend der Sonderklasse, beste Voraussetzungen. Eine Produktpräsentation die einen hohen Maßstab setzt.
Da kommt dann sogar Boenicke, sonst gern einer meiner Messe-Favoriten, an dicken Accuphase-Boliden nicht ganz heran. Sven Boenickes W11 machen zwar wie immer eine sehr gute Figur, im direkten Vergleich zur Borg fehlt aber das letzte Quäntchen Spritzigkeit. Auch in Polen gliedern sich Vorführungen nach dem Angebot des jeweiligen Vertriebs, was zu bisweilen für uns ungewohnten Kombinationen führt. Im ebenfalls großen Saal von RCM Audio spielen Gauder-Lautsprecher an Vitus-Elektronik, mich lockt aber eher die Erinnerung an die Plattenspieler-Galerie vom letzten Jahr hinein. Grosso modo unterscheidet sie sich nicht sehr, trotzdem macht es natürlich Spaß, Spitzenlaufwerke von TechDAS oder Döhmann aufgereiht zu bestaunen. Ganz rechts, fast unscheinbar, entgeht meinem wachen Auge ein unvertraut geformtes Laufwerk selbstverständlich nicht. Keine Marke, kein Modell, ein leicht wirkendes, aber 24 Kilo wiegendes, direktgetriebenes Laufwerk von beeindruckender Stabilität bei gleichzeitig filigranem Auftreten. Die Weltpremiere des Thrax Audio Yatrus, erfahre ich vom Vertrieb. Schon wieder Thrax Audio! Wenn ich mich recht erinnere, sind mir die Preziosen aus Sofia vor zwei Jahren auf der Münchener Messe schon positiv aufgefallen. In einem weiteren der großzügigen Räume des Golden Tulip stehen die großen Schallwände von Natural Sound. Im letzten Jahr war die polnische Manufaktur im Stadion untergebracht und überzeugte mich optisch schnell, klanglich war es wie auch dieses Jahr an Audio-Tekne-Verstärkern noch ausbaufähig.
Vor dem polnischen Nationalstadion, wo der dritte Teil der Audio Video Show stattfindet, steht ein oranges Zelt von JBL, in dem ein lustloser „DJ“ mit zwei „Partyboxen“ einen erbärmlichen Krach veranstaltet, der vermutlich Passanten abschrecken soll. Furchtlos passiere ich zur zweiten Hürde. Um die Tür zum Stadion aus ihrem Schloss zu drücken, bedarf es mindestens eines FIDELITY-Redakteurs, der sich währenddessen fragt, warum dieser Empfang so wenig einladend ist. Geschwind kämpfe ich mich durch die Smart-Home-Abteilung, gerate aber dennoch in den Abstrahlkegel sogenannter In-Wall-Lautsprecher, die in einem improvisierten Schaukasten stecken. Dieser Qualitätsanspruch setzt sich auf der zweiten Etage der Ausstellungsfläche zunächst fort: Bluetooth-Lautsprecher, bisweilen wie von Marley durchaus gefällig gestaltet, Soundbars, Multi-Room-Systeme und dergleichen mehr, das Musik hören praktischer, aber meist nicht besser macht. Vor einigen Jahren schrieb ich sinngemäß, dass Vinyl einen unersetzlichen Vorteil besitzt: Wenn ich zu Hause eine Platte auflege, bin ich (bis auf einige Nachbarn eventuell) der einzige, der weiß, welche Musik ich gerade höre. Christian Rock oder Black Metal, systemzersetzenden Punk oder affirmativen Schlager – ganz allein meine Sache. Diese Zeiten sind vorbei, WiFi-Plattenspieler mit Streaming-Funktion sind auf dem Vormarsch – gesehen nicht nur bei Yamaha. Ebenfalls bei Yamaha zu bewundern: Der neue GT-5000. Ein riemengetriebenes, wuchtiges Laufwerk, das an die großen Zeiten der Japaner erinnert. Besonders auffällig ist der sehr kurze Tonarm ohne Kröpfung und folglich auch ohne Antiskating – offenbar eine Eigenentwicklung von Yamaha. Wir sprechen wohlgemerkt nicht von einem günstigen DJ-Dreher, sondern von einem High-End-Laufwerk der 5000-Euro-Klasse. Leider kann ich ihn nicht hören, da im selben Raum gerade die Vorführung von Vienna Acoustics läuft, die ich im Übrigen auch nicht missen möchte.
Auf drei Vorführungen verzichte ich dagegen bewusst mit Rücksicht auf meine Intimsphäre: Wilson Audio, MBL und die neuen McIntosh-Lautsprecher sind offenbar von so großem Interesse, dass sich die Zuhörerschaft durchgehend bis in den Rundgang ums Stadioninnere staut. Stattdessen statte ich Brinkmann bei dessen polnischem Vertrieb Soundclub einen Besuch ab. Die deutsche Edelmanufaktur feiert 33. Jubiläum und Matthias Lück spielt deshalb zwei Stücke einer Brinkmann-LP direkt von der DMM-Kupfermatrize. Das Album des Jazz-Trios Blicher Hemmer Gadd soll Anfang nächten Jahres erscheinen, die spezielle Sneak Preview, die ich in an Engström-Röhrenmonos und Marten Coltrane 3 erleben darf, klingt jedenfalls sensationell. Brinkmann ist mit einem limitierten Oasis, der die Seriennummer eins von hundert trägt, sogar noch einmal vertreten. An Air-Tight-Elektronik und DeVore-Lautsprechern klingt es weniger prägnant, dafür aber etwas unmittelbarer. Eine gigantische Vorstellung lieferten auch Lyra-Lautsprecher von Rockport Technologies an mächtigen Siegfried-Reference-Endstufen von VTL. Für mich regelmäßig ein Highlight sind die Lautsprecher von Audiovector, diesmal sogar in drei verschiedenen Ausführungen und Anlagenkonfigurationen. Für Kopfhörerfreunde möchte ich noch die riesige Halle für Allein-Hörer erwähnen. Mir ist keine international bekannte Marke als absent aufgefallen.
Ehe wir uns zu einem Cocktailempfang anlässlich des 40sten Firmenjubiläum von Marantz’ Starentwickler Ken Ishiwata mit astreinen Chivas-Sours über den Dächern der Stadt einfanden, gehörte der Nachmittag des Messesamstags den mittlerweile sehr engen Gängen des Sobieski-Hotels für einen ersten vertieften Rundgang über die Etagen. Wundervolle Kunstwerke aus geschliffenem Holz bei 8MM Audiolab mit Röhrenelektronik (was sonst?) von Lampizator, die mir ebenfalls letztes Jahr schon auffiel und die sich in diesem Jahr fast schon inflationär ausgebreitet hat. Öfter habe ich nur Racks von Alpin-Line gesehen, der offenbar geschäftstüchtige polnische Hersteller hat es geschafft, geschätzt 90 Prozent aller Räume mit seinen ziemlich kompromisslos wirkenden Holz-Metall-Konstruktionen auszustatten. Verstärker von Audio Research zum Beispiel, kommen darauf einmalig gut zur Geltung. Lucarto Audio kommt ebenfalls aus Polen, sieht aber eher nach Italien aus. Wundervoll elegante 300B-Endstufen in Weiß und Naturholz befeuern ebenso gestaltete Standlautsprecher namens Songolo SX300 – ein sehr stilvolles Setup. Der Raum der versammelten polnischen Selbstbauer mit offenen Gehäusen und einem Warnzettel („Uwaga!“) steht dagegen im krassen Gegensatz, trotzdem klingt es dort sehr gut, engagiert, möchte ich sagen. Manron aus Polen zeigt ein Setup, das jegliche Rationalität verhöhnt, und gewinnt den Preis für die eindrucksvollste Röhre der Show: eine GM100 groß wie Fünf-Liter-Wein und als Monoblock 140 Kilo schwer bei einer Class-A-Leistung von 150 Watt.
Mollig in Samt und einen fließenden Hüftschwung verpackte Lautsprecher von Bach eröffnen den Trend zur Kleinbox, der auch in Warschau sichtbar wird. Angeblich kein Etikettenschwindel, sondern der Erbauer soll tatsächlich in direkter Linie der musikalischen Bachfamilie entstammen. Richtig ins Schwärmen gerate ich bei Sparkler Audio, wo ein Mini-Vierzoll-Breitbänder im sehr hübschen Vollholz-Bassreflex-Gehäuse an Bonsai-Elektronik mit selten gehörter Leichtigkeit musiziert. Das Setup erinnert mich stark an die Philosophie von 47Lab, womit ich goldrichtig liege. Der Vorführer bemerkt meine Verzückung schnell und ich bekomme eine kurze Einführung, derzufolge er sich den Gedanken von Junji Kimura in höchstem Maße verpflichtet fühlt. Zigarrenkistchengroße Elektonik-Gehäuse und Breitbänder in Hutschachteln – aber es klingt so leicht, beschwingt und transparent, dass ich mich kaum aus dem Raum lösen kann.
Den kleinsten Lautsprecher finde ich dann allerdings bei Deeptime: winzige Sandschnecken aus dem 3-D-Drucker, die mit Subwoofer ordentlich Radau machen. Eine sehr schöne Idee, wer Interesse bekommen hat, muss sich jedoch beeilen, die Schneckchen sind limitiert. Breitbänder im Mini-Gehäuse gibt es auch bei Sound Kaos zu hören, allerdings wird hier der Tangband-Vierzöller obenherum durch ein Bändchen ergänzt und nach unten von einem dynamischen Tieftöner. Meinen persönlichen besten Sound der Show finde ich schließlich bei Audio Alto, wo ich den Firmenchef bitte, doch einmal die kleinen Full-Range-Kisten statt der beeindruckenden offenen Line-Arrays mit Tiefbassunterstützung laufen zu lassen. Da sich gerade niemand im Raum befindet, kommt er meiner Bitte gerne nach, die schlanken Säulen von etwa 40 Zentimetern Breite und nicht ganz zehn in der Tiefe sind schnell aufgestellt und mit einem zweiteiligen Röhrenvollverstärker der offenkundig ganz besonderen Art verkabelt.
Denn was ich hier von Fünf-Zoll-Markaudio-Breitbändern zu hören bekomme, verschlägt mir zunächst die Sprache: Wärme, tonale Fülle, Tiefgang – ein Klang um darin zu baden. Artig und aufrichtig bedanke ich mich für die Umbauaktion, etwa eine Stunde später komme ich noch einmal zurück. Die AA R101 FR, wie diese einmalig harmonischen Lautsprecher prosaisch heißen, spielen immer noch. Ich kann das gut verstehen, auch wenn der Verstärker vielleicht überqualifiziert ist, passt hier in diesem Moment einfach alles – nicht einmal die Eagles mit „Hotel California“ können diesen Augenblick zerstören.
Nicht mehr ganz neu, aber selten zu sehen: Beim polnischen Vertrieb Hi-end Studio spielt ein Systemdek-Precision-Laufwerk an Röhrenverstärkern und Lautsprechern von Art Audio auf sehr hohem Niveau, trotzdem gefallen mir die hemmungslos nostalgischen Amps bei Haiku Audio noch besser – so müssen Röhrenverstärker aussehen.
Und so wie die Audio Video Show in Warschau muss sich eine Messe anfühlen. Wir zumindest haben uns drei Tage lang bestens unterhalten gefühlt, und kommen im nächsten Jahr mit Sicherheit wieder.
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