Plattenspieler Acoustic Solid Vintage – Die Entdeckung der Schlichtheit
Bekannt wurde Acoustic Solid mit großen Masselaufwerken. Aber die Schwaben beherrschen auch die Kunst des Weglassens.
Wie kommt man darauf, einen Dreher nach einem durch exzessiven Sprachgebrauch fast zu Tode gequatschten Fashion-Schlagwort zu benennen? Zumal Karl Wirth weder hippes Gestrüpp im Gesicht trägt noch in Kreuzberg einen Laden für enge Jeans und Holzfällerhemden betreibt. Von Matetee-süchtigen Kiezbewohnern ist Wirth ungefähr so weit entfernt wie der Berliner Flughafen BER von der ersten Airbus-Landung. Auch wenn in den Wohnräumen der bärtigen Jutebeutel-Boheme in Elternteilzeit Vinyl und Vintage absolut zusammengehören, sieht sich der Kopf hinter Acoustic Solid als Maschinenbauer und Ingenieur. Die kurzlebigen Bedürfnisse der hippen Konsumgesellschaft zu befriedigen liegt normalerweise nicht in seinem Interesse. Ein dementsprechendes Statement findet sich im Schlusswort der Firmenbroschüre, die jeder Lieferung beiliegt. Warum also „Vintage“? Der so getaufte Vinylabspielapparat scheint optisch eher an modernem skandinavischem Design angelehnt als an den in rustikaler Eiche furnierten Sperrholzgeräten hifideler Vorzeit. Die Seitenwangen aus hellem Schichtholz ergänzen sich mit der Zarge aus gebürstetem Metall zum wahren Schmuckstück fürs Wohnzimmer. Dazu der hochwertigste Tonarm des Hauses: WTB 213, ein Filetstück der Feinmechanik – die Einstellung der Auflagekraft meines Scheu Classic ist im Vergleich mit ihm ein Glücksspiel, das bei mir regelmäßig für zitternde Hände und Angstschweiß sorgt. Auch die Headshell verdient sich ein Sternchen für filigrane Metallbearbeitung, erlaubt die Konstruktion doch die Montage des Systems auf seiner Trägerplatte am Schreibtisch. Die Trägerplatte lässt sich dann bequem und ohne die üblichen Yoga-Stellungen am Arm befestigen und justieren.
Optisch verströmt der Acoustic Solid Vintage eher kühle Eleganz als Retro/Flohmarkt-Charme. Der PAF („Partner Acceptance Factor“) des kleinen Laufwerks fällt auf jeden Fall höher aus als bei den „Bohrinseln“ des Kernsortiments. Der Vintage ist das erste Gar-nicht-so-massige-Laufwerk mitsamt in der Zarge integriertem Motor der Altdorfer Manufaktur. Seinen Ruf hat Wirth sich mit dem Bau exzellenter, unter massivem Materialeinsatz gefertigter Monumentallaufwerke verdient. Der Mann kommt halt aus dem Maschinenbau, nicht aus einem abgebrochenen Studiengang in Mediendesign. Der Weg zu einer der führenden Manufakturen analoger Massivbauweise weist Analogien zu anderen Großen der HiFi-Szene hierzulande auf. Dank ausgeprägter Leidenschaft für Vinyl fusionierte Karl Wirth vor nunmehr 15 Jahren sein gesammeltes Fachwissen über Maschinenbau und Feinmechanik mit seiner aufgestauten Unzufriedenheit angesichts der damals erhältlichen Laufwerke. Daher kam, was kommen musste, und Wirth fertigte sein erstes Masselaufwerk auf der heimischen Drehbank. Ein Laufwerk, das heute noch beim Meister selbst im Einsatz ist. Aufgrund opulenten Materialeinsatzes auf den Namen „Solid One“ getauft, bildet der Erfolg dieses Drehers die Basis für Firmennamen und Bekanntheitsgrad in einem. Seitdem ist Acoustic Solid ein Synonym für audiophile Präzision aus Deutschland.
Was uns wieder zurück zum jüngsten Spross der Altdorfer Familienmanufaktur bringt. Der Vintage hat mehr mit seinen Geschwistern gemeinsam, als auf den ersten Blick augenfällig wird – dank Baukastenprinzip finden sich viele Teile der großen Modelle auch im Vintage wieder. Ob der für einen Dreher dieses Kalibers erschreckend massive, sechs Kilo schwere Aluteller, die Steuerung des Antriebs oder das genial gefertigte Tellerlager: Warum für jedes Modell ein entsprechendes Downgrade entwickeln, wenn dank nahezu hundertprozentiger Fertigungstiefe und entsprechender Stückzahlen die optimale Lösung auch für den kleinsten Dreher rentabel zu fertigen ist? Apropos Fertigungstiefe: Zugekauft werden lediglich die Holzwerkstücke für die Klassik-Modelle, Teile der Motorsteuerung und der Motor selbst. Diesen lässt Acoustic Solid beim Spezialisten Berger-Lahr anfertigen. Für den schweren Aluteller braucht es etwas Drehmoment, um ihn in stoische Rotation zu versetzen, doch dreht er sich einmal, ist er kaum mehr aus der Laufruhe zu bringen. Das liegt einerseits an der hohen Masse des Tellers, andererseits an der speziellen Lagerung der Achse. Statt auf den üblichen Ölfilm zur Schmierung zu setzen, läuft die Tellerachse der Acoustic-Solid-Laufwerke in einer gegossenen Hülle aus Kunststoff, in den ein Gleitmittel eingebunden ist. Somit reduziert sich das Losbrechmoment des Tellers beim Hochlaufen auf ein absolutes Minimum. Ein positiver Nebeneffekt dieses ungewöhnlichen Lagers soll die Vermeidung von Schwingungsübertragung zwischen den Laufflächen von Achse und Lagerbuchse sein. Karl Wirth spricht sogar von einer dämpfenden Wirkung auf den Plattenteller – eine Aussage, der ich selbst nicht ganz zustimmen kann. Denn auf den obligatorischen Klopftest während des Betriebs reagiert der Vintage recht vernehmlich, während beim gleichen Test auf Scheu Cello oder Vintage-Thorens nur Grabesstille aus den Boxen kommt. Was sich seltsamerweise während der Wiedergabe, selbst bei forcierter Lautstärke, akustisch nicht bemerkbar macht. Im Gegensatz zu erwachsenen Masselaufwerken agiert der Vintage um einiges flinker, direkter, projiziert das Geschehen transparent und mit genügend „Luft“ in den Hörraum. Im Vergleich mit meinen anderen Plattenspielern wandert die Bühne ein gutes Stück nach vorne in den Raum zwischen Lautsprecher und Hörplatz. Eine Eigenart, die perfekt die in die Tiefe gehende Abbildung der Triangle Australe EZ austariert.
Legen wir zwecks Überprüfung dieser These ein wenig Musik auf die Plexiglasplatte des Vintage (für mein Empfinden, rein subjektiv natürlich, gehört das Leder zwischen Matte und Teller). Eric Claptons Unplugged-Album ist seit Jahrzehnten ein gern gehörter Begleiter zum Feierabend. Die Neuauflage als Doppel-LP fasziniert mit frappierender Dynamik und selten gehörter Natürlichkeit. Führen Sie sich bitte die geniale Version des Klassikers „Old Love“ zu Gemüte. Da flirren die Stahlsaiten mit wundervollem Glanz, der Beat des Schlagzeugs trägt den Song aus der Tiefe des Raumes und setzt ihn auf ein stabiles Fundament, während dazu die Klavierläufe rechts hinter Mister Clapton perlen wie Kohlensäure in einem frisch gezapften Krug Schönramer Hell, des nach maßgeblicher Meinung besten Bieres der Welt.
Bildhaft gesprochen könnte man bei den herrschenden Platzverhältnissen zwischen den Musikern mit einem Segway seine Runden drehen, so breit und tief stellt der Vintage das Geschehen nach. Knackig, tief und perfekt austrainiert liefert der gezupfte Bass die Basis für den Rest der Band; im Tiefton legt der Vintage noch eine gehörige Schippe mehr in die Waagschale, als dies meine beiden Plattendreher vermögen. Auch wenn im Scheu noch eine „Geheimwaffe“ montiert ist, die dem im Acoustic Solid verbauten Ortofon Quintet Red in Sachen Groove, Soul und Hörvergnügen überlegen sein dürfte. Folglich wandert mein Lieblingssystem Clearaudio Charisma (Test aus FIDELITY Nr. 32) unter die Headshell und legt dort los wie der Trickfilm-Roadrunner auf Amphetaminen. Richtig vermutet, ich habe auch gleich die Platte gewechselt. Vom unverstärkten Wohlfühlsound Eric Claptons zum punkigen Industrial-Metal-Bastard White Pony der Deftones. Das elektronische Intro zu „Passenger“ baut sich tief, ganz tief, geschätzte sechs Meter hinter den Triangle Australe EZ aus dem Nichts auf, während Stephen Carpenters Gitarre, schön hart von rechts kommend, auf einer Linie mit den beteiligten Lautsprechern Riffs in groben Stein meißelt. Die Bassdrum drückt dazu deutlich erwachsener als mit dem Quintet Red in den Raum. Das ist im Gegenzug zu Claptons Unplugged keine perfekt audiophile Aufnahme, für White Pony wurde der Dreck, das Düstere, Magische der Deftones von Terry Date meisterlich aufs Mastertape gebannt. Sagenhaft, wie locker und relaxt diese Kombination aus Vintage und Charisma die stellenweise deutlich komprimierte Aufnahme reproduziert. Okay, die Dynamikbegrenzung sei hier als Hilfsmittel erlaubt, da die abrupten Wechsel zwischen kuschligen Passagen und explosiven Parts andernfalls kaum mehr konsumierbar wären. Doch selbst wenn die Gläser im Schrank aufgrund herrschender Pegel im Takt der Bassdrum klirren, bleibt der Genussfaktor hoch, ohne dass einem die Gesangspaarung Chino Moreno/Maynard James Keenan mit ihrer tonalen Bandbreite die Füllungen aus den Zähnen zieht.
So erzeugt der Acoustic Solid Vintage hohes Suchtpotenzial, das schon im Auslieferungszustand mit Ortofon Quintet Red voll zuschlägt. Allerdings zeigt die Kombination aus Vintage und WTB-213-Arm durchaus Talent zu noch höheren Weihen. Dennoch ist das Gesamtpaket aus Laufwerk, Arm und Ortofon ein unmoralisch gutes Angebot, da man für schlanke dreitausend Euro das Quintet Red als Kirsche auf der Sahnehaube fast gratis dazubekommt.
Bleibt die Frage: Ist der Acoustic Solid wirklich ein altmodischer, mit dem Charme vergangener Zeiten zu Werke gehender Plattendreher? Nicht wirklich, dazu ist sein Design viel zu modern. Sollte „Vintage“ allerdings sinnbildlich dafür stehen, das einfache, bewährte und beliebte Konzept eines Plattenspielers aus einem Guss ins Heute zu transferieren, dann passt die Namensgebung tatsächlich. Während viele Plattenspieler auf mich den latenten Eindruck mechanischer Überkonstruktion machen, zeigt der Vintage, wie weit man mit einer reduzierten, puristischen Konstruktion kommen kann. War es vielleicht sogar nötig, dass Karl Wirth sich erst eingehend mit Monumentallaufwerken beschäftigen musste, um mit dem Vintage die hauptsächlich in Asien kultivierte Tradition des Einfachen, die im Zen verwurzelte „Kunst des Weglassens“ für sich zu entdecken? Im Fall des Acoustic Solid Vintage ist weniger tatsächlich mehr. Weniger Material bedeutet hier ein Mehr an Spaß, einfaches Handling, faszinierende Tiefenstaffelung und einen generell eher knackigen, nach vorne spielenden Charakter. Mit dem Vintage erscheint die Musik vor nicht ganz so kohlrabenschwarzem Hintergrund wie bei den massiven Kalibern, doch die emotionale Seite, der Groove der Plattenspieler von Karl Wirth ist auch bei seiner jüngsten Schöpfung im Lieferumfang inklusive.
Plattenspieler Acoustic Solid Vintage
Funktionsprinzip: riemengetriebener Plattenspieler
Antrieb: digital geregelter Synchronmotor
Teller: 34-mm-Aluminiumteller
Drehzahl: 33 1/3 oder 45 U/min, elektronisch geregelt
Ausführungen: Aluminium, Multiplex in verschiedenen Farben
Maße (B/H/T): 43/16/34 cm
Gewicht: 15 kg
Garantiezeit: 10 Jahre
Preis: 2000 €
Tonarm Acoustic Solid WTB 213 9″
Funktionsprinzip: kardanischer Drehtonarm
Effektive Masse: 9,3 g
Effektive Länge: 233 mm
Tonabnehmergewicht: 5–20 g
Überhang: 16 mm
Verkabelung: durchgehend, Cinchstecker
Preis: 1250 €
Tonabnehmer Ortofon Quintet Red
Funktionsprinzip: Moving-Coil-Tonabnehmer
Schliff: elliptisch
Compliance: 15 µm/Nm
Gewicht: 9 g
Frequenzgang: 20–20 000 Hz (±2,5 dB)
Ausgangsspannung: 0,5 mV
Preis: 270 €
Paketpreis: 3000 €