Classidelity: Leonard Bernstein – West Side Story
Michael Tilson Thomas, San Francisco Symphony Orchestra
Kaum ein anderes Werk Leonard Bernsteins zeigt dessen musikalischen Geist so klar umrissen wie seine West Side Story. Da ist die große Geste der europäischen Oper auf der einen Seite, während auf der anderen Seite der nordamerikanische Jazz und südamerikanische Tanzrhythmen das Werk bestimmen. Bislang stand eine Aufnahme aus, die die beiden Seiten des Werks gleichberechtigt und ohne Bruch zusammenführt. Da gibt es die frühe Bernstein-Einspielung, eine Mischung aus Street Credibility und Filmmusik und der misslungene Versuch der 80er Jahre, mit Kiri te Kanawa und Jose Carreras die Musik zur großen Oper zu nobilitieren.
Dazwischen finden sich diverse Einspielungen, die allesamt weder Fisch noch Fleisch sind. Umso ungläubiger hört man die Neuaufnahme unter Michael Tilson Thomas und dem San Francisco Symphony Orchestra. Dabei macht Tilson Thomas eigentlich nichts anderes, als die Musik in all ihren Facetten ernst zu nehmen. Mit unglaublicher Transparenz und atemberaubender Virtuosität werden da die großsinfonischen Elemente aufgeschichtet und mit komplexen rhythmischen Finessen zusammengeführt, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Und erst der Gesang von Alexandra Silber und Cheyenne Jackson: da ist ein voller Brustton mit Belcanto-Grundierung zu hören, aber mit einer unglaublichen Textverständlichkeit und gesanglichen Leichtigkeit, dass es nie eines Textbuchs bedarf, um dem Inhalt zu folgen. Wer bislang noch keine West Side Story sein Eigen nennt, der sollte bei dieser klangtechnisch hervorragenden Aufnahme unbedingt zugreifen.