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London

Winfried Dulisch schlendert durch London

Winfried Dulisch schlendert durch London

Auf der Hitliste für Tourismus-Attraktionen steht ein Verkehrshindernis gleichberechtigt neben Eiffelturm, Taj Mahal und Empire State Building

Den Weg findet jeder. Auch ohne Englischkenntnisse. Du kommst aus der U-Bahn-Station St. John’s Wood und nennst dem erstbesten Passanten die drei magischen Worte: Yeah, Yeah, Yeah. Und schon erklärt er Dir: Ein kurzes Stück geradeaus, gleich rechts an der Ecke, da steht das legendäre Studio.

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„Ab und zu küsst ein Beatles-Fan den Zebrastreifen. Neulich stellte sich mitten darauf eine junge Frau und schien auf jemanden zu warten; ein junger Mann kam mit einem Blumenstrauß und kniete vor ihr nieder. Das war ganz offensichtlich ein Heiratsantrag.“

Eight Days A Week

Du erkennst die Sehenswürdigkeit sofort – sogar bei Nacht. Vor dem Zebrastreifen bilden sich ständig Vierergruppen und überqueren aufreizend langsam die Abbey Road, während ein Fotograf sie ablichtet. Woanders provoziert solch ein Schabernack Massenkarambolagen, zumindest Hupkonzerte. Londoner Autofahrer tippen sich nicht einmal innerlich an die Stirn, wenn sie warten müssen. Vor allem die Taxi Drivers lieben diese Verkehrsberuhigungsmaßnahme mit dem touristischen Marktwert. Die Denkmalschutzbehörde English Heritage stufte den Fußgängerüberweg sogar in die zweithöchste Kategorie der erhaltenswerten Kulturdenkmäler ein. Darüber, wie der Zebrastreifen vor dem Tonstudio zu einer musikhistorischen Kultstätte avancierte, widersprechen sich die Quellen.

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Auf dem Parkplatz vor den Abbey Road Studios …

Why Don‘t We Do It In The Road?

Am plausibelsten klingt diese Begründung: Die Beatles hatten sich bei den Aufnahmen für das finale Album völlig zerstritten. Der Fotograf Iain MacMillan konnte sie gerade noch dazu ermuntern, die Straße vor ihrem Arbeitsplatz zu überqueren. Ein Bobby lenkte zehn Minuten lang den Verkehr um und die berühmteste Musikkapelle aller Zeiten konnte ihren letzen gemeinsamen Auftritt unfallfrei absolvieren. „Von meinem Schreibtisch aus kann ich gut sehen, was da draußen passiert“, erzählt Holly Pearson, Pressesprecherin der Abbey Road Studios. „Ab und zu küsst ein Beatles-Fan den Zebrastreifen. Neulich stellte sich mitten darauf eine junge Frau und schien auf jemanden zu warten; ein junger Mann kam mit einem Blumenstrauß und kniete vor ihr nieder. Das war ganz offensichtlich ein Heiratsantrag.“

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… und drinnen in Studio Two, wo nicht nur die Beatles ihre größten Hits eingespielt haben

I Will

Und? Hat sie „Ja, ich will“ gesagt? – „Selbstverständlich. Die meisten Autofahrer haben sogar freundlich gehupt und den beiden zugewunken.“ – Holly empfiehlt für solche Anlässe aber einen würdigeren Rahmen: „Unser Studio Two. Hier haben die Beatles 90 Prozent ihrer Liebeslieder aufgenommen.“ Dieser Raum im Parterre-Geschoss der Abbey Road Studios verdankt seinen akustischen Wiedererkennungswert den – mit Seetang gefüllten – Säcken, die von den Wänden herunterhängen. Bevor der Beatles- Produzent George Martin hier die Hörgewohnheiten der Pop-Fans revolutionierte, stellten Sir Cliff Richard und seine Shadows in dieser klangoptimierten Umgebung alle paar Wochen einen Hit her.

 

 

LondonWith A Little Help From My Friends

Sir Michael Philip Jagger wollte im Frühjahr 2011 seine Rolle als Stones-Frontman ablegen und ging mit dem Eurythmics-Gitarristen Dave Stewart ins Studio Two; das Ergebnis der Sessions war künstlerisch und kommerziell enttäuschend. Sir James Paul McCartney hatte mehr Glück gehabt, wenn er seinen Bass hier zupfte – vor allem, als er noch gut Freund mit John, George und Ringo war.  Damals gehörten die Abbey Road Studios dem Medienkonzern EMI. Eingeweiht wurden die EMI Studios 1931 mit einem Radiokonzert der Londoner Philharmoniker. Der Dirigent kam zu Fuß. Gleich um die Ecke hängt an einem Hauseingang das blaue Schild: „Sir Thomas Beecham, 1879-1961, Conductor and Impressario, lived here“.

 

Here, There And Everywhere

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FIDELITY-Autor Winfried Dulisch reiht sich ein in die illustre Gesellschaft derer, die schon mal das Piano in den Abbey Road Studios bearbeiteten

Die Jahrhundert-Cellistin Jacqueline du Pré, Herbert von Karajan und Leonard Bernstein hatten ebenfalls regelmäßig in dieser – inzwischen unter Denkmalschutz stehenden – Produktionsstätte gearbeitet. Für den Geiger Yehudi Menuhin war der Orchester-Aufnahmeraum in der ersten Etage beinahe sein Wohnzimmer. Auch die Liebe zur Musik geht durch den Magen. Der wichtigste Teil des Studiogebäudes war die Kantine. Hier trafen sich Jazzer und Klassiker. Der indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar saß und aß hier in den Sixties zusammen mit Pop-Musikern, die ständig auf der Suche nach exotischen Sounds waren.

 

Yesterday

Damit war die Abbey Road genau die richtige Adresse für Grenzüberschreitungen. Zum Beispiel „Eleanor Rigby“, bei der die Beatles 1966 erstmals vollständig auf Gitarren verzichteten und das Backing lieber von einem Streicher-Oktett einspielen ließen. Als sie ihren „Sgt. Pepper“ kreierten, tüftelte Pink Floyd im Nachbarraum eine LP zusammen. Ringo Starr musste immer am längsten auf den nächsten Arbeitseinsatz warten. Die Schlagzeug-Takes waren meist schnell im Kasten. Seinen Frust über diesen Leerlauf hat er später verniedlicht: „In der EMI-Kantine habe ich Schachspielen gelernt, während die drei anderen Beatles komponierten und arrangierten.“

 

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Freddy Mercury lebt – und zwar als Musical-Star im Dominion Theatre im Londoner West End

I’ve Just Seen A Face

„Nicht fotografieren!“, ermahnt Holly den Besucher. An den Kantinenwänden hängen Original-Fotos von Künstlern, die an der Abbey Road große Karriereschritte gemacht hatten. Zum Bespiel The Hollies. Gerry And The Pacemakers, der eine Gänsehaut-Version der Hooligan-Hymne „You’ll Never Walk Alone“ hier eingespielt hatte. Oder Freddie Mercury und Queen. Oder Ella Fitzgerald; sie wollte „Can’t Buy Me Love“ 1964 unbedingt dort singen, wo auch die Original-Version entstanden war. „Aber du kannst gerne die Musikinstrumente und Effektgeräte fotografieren, die teils immer noch verwendet werden“, erlaubt Holly – und entlockt einigen Werkzeugen, die in den 1930ern für Hörspielproduktionen entwickelt wurden, Eisenbahn- oder Windgeräusche.

 

Lady Madonna

Dann öffnet Holly einen Klavierdeckel. „Paul hat auf diesen Tasten ‚Lady Madonna’ geklimpert. Siehst du die Brandflecken? Er hat seine Zigaretten auf dem Klavier abgelegt.“ Ein anderes Piano zeigt die gleichen Gebrauchsspuren. – „Erkennst du den Klang? Damit hat er ‚Fool On The Hill’ aufgenommen.“ Das Harmonium, auf dem John Lennon „We Can Work It Out“ einspielte, sieht dagegen beinahe schon wohnzimmergepflegt aus. „Und das wird auch so bleiben“, verspricht Holly Pearson. „Die Arbeitsplatzverordnung verbietet inzwischen das Rauchen. Und die Abbey Road Studios sind kein Museum, sondern immer noch ein Arbeitsplatz.

Infos

Website der Abbey Road Studios: www.abbeyroad.com

 

Hoteltipp: Das Savoy Hotel war schon immer eine bevorzugte Londoner Adresse der Stars, von Maria Callas und Marylin Monroe bis Enrico Caruso und Bob Dylan. Savoy-Gäste haben exklusiv die Möglichkeit, die Abbey Road Studios zu besichtigen. Zu bestimmten Gelegenheiten bietet das Hotel sogar die Option an, in den Abbey Road Studios einen eigenen Tonträger zu produzieren.

www.fairmont.de/savoy-london

 

 

 

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