Piega Coax 711 – Akte Coa-X
Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen – und ich kenne sie jetzt …
Lange habe ich mit mir gehadert, ob ich diese Geschichte tatsächlich aufschreiben soll. Im besten Fall lande ich wohl in der Spinner-Ecke und trage künftig bei der FIDELITY-Gemeinde und weit darüber hinaus den wenig schmeichelhaften Beinamen „Spooky Draminski“. Im schlimmsten Fall warten sie schon auf mich, die Typen, die erst zuschlagen und dann fragen, beauftragt von Menschen in Nadelstreifenanzügen, verantwortlich für ganze Ketten von Kistenschieber-Märkten. Denn denen ist klar, wie viel Sprengstoff in dem Wissen steckt, das ich hier preisgebe. Und sie fackeln nicht lange, weil manche Geheimnisse geheim bleiben sollen. Zum Beispiel, wie man einen Lautsprecher zur Zeitmaschine, zum Multidimensions-Portal und mit etwas gutem Willen auch zum Wurmloch umfunktioniert, in dem nicht nur schlechte Laune spurlos verschwindet.
Aber von vorne. Es war in jenen Tagen, da das Heraufdämmern des Weihnachtsfestes die Innenstädte hektisch und die Passanten reizbar macht, als mein Handy eine wohlbekannte Ismaninger Durchwahl zeigte. Nein, es ging dem Chefredakteur mitnichten darum, deutlich zu früh ein frohes Fest zu wünschen. Dennoch klang er ungemein euphorisch. Verdächtig euphorisch, wie ich heute weiß. „Du musst vorbeikommen, das musst du gehört haben“, säuselte es aus der Leitung. Und das von einem beinharten, mit allen Enhancer-Flüssigkeiten gewaschenen HiFi-Journalisten, den ich als harten Hund kenne und schätze, als einen, den tendenziell nichts, aber auch gar nichts beeindruckt. Und jetzt klang dieser an sich stets kopfgesteuerte Profi, als hätte er Weihwasser vermischt mit irischem Single Malt in Überdosis zu sich genommen. Mein Misstrauen war geweckt.
In der FIDELITY-Zentrale angekommen, steigerte sich das Unbehagen weiter. Anstelle des gewohnt mürrischen norddeutschen „Moin“, zwischen den Zähnen durchgeknurrt, wurde ich mit einem strahlenden „Hallo, wie geht es dir?“ begrüßt. Alles höchst beunruhigend, weil nicht normal. So wenig normal wie das eingefroren wirkende Dauergrinsen, das diese Worte begleitete. Mit unsicheren Schritten folgte ich dem Besitzer des Grinsens in den Hörraum, das Schlimmste erwartend. Doch nein, da standen nur zwei hüfthohe Lautsprecherboliden, mit vier fetten Bässen und einem aufs erste Hinsehen höchst aufwendig gemachten Koaxialbändchen bestückt. „Ich lasse euch dann mal alleine“, meinte der Grinner, ehe er den Raum verließ. Hatte ich es mir eingebildet oder war aus dem Grinsen im Umdrehen eine maliziöse Fratze geworden?
Andererseits: Was sollte schon passieren? Das wirkte doch alles wie der Auftakt zu einem ganz alltäglichen Lautsprechertest, einem Routinejob. Allerdings irritierte mich die opulente Bestückung der relativ schlanken Standboxen ebenso wie ihr Oberflächenfinish. Holz war das doch keines, wenn es auch von weitem so wirkte – das wurde mir spätestens bei dem Versuch klar, die Schallwandler ein paar Zentimeter zu verrücken. Obwohl meine Körperkräfte im Regelfall zumindest ausreichen, um Luxmans oder Musical Fidelitys vom Karton auf den Tisch „schweben“ zu lassen, hatte ich bei den skulpturalen Säulen keine Chance. Ebenso gut hätte ich versuchen können, den Everest von der Stelle zu bewegen. Siedend heiß fiel mir in dem Moment ein, an was mich die leicht changierende Außenfarbe der Boxen erinnerte: An den außerirdischen Obelisken aus Stanley Kubricks 2001.
Quatsch, alles Quatsch. „Komm zu dir“, mahnte ich mich zur Ordnung. Verkabelt waren die so verblüffend schweren Säulen mit der großen Verstärkerkombination Pre60/A60 von Primare, auch stand der brandneue Röhren-DAC/Preamp von Canever bereit. So weit, so ausgezeichnet, aber nicht übermäßig exotisch. (Doch, Moment, diesen Canever gibt es doch eigentlich noch gar nicht …)
Inzwischen griff die Autosuggestion, ich hatte mich wieder gefangen, meine eigenartigen Gefühle verdrängt und war nun bereit für eine der üblichen Hörsessions. Dachte ich. Als Erstes wanderte Zubin Mehtas vor einigen Jahren als überaus filigran und dennoch wohlbalanciert klingende „XRCD“ wiederveröffentlichte Fassung der Holst’schen Planeten in den T+A PDP 3000 HV. Britische Spätromantik mit majestätischem Aplomb in großer Orchesterbesetzung, die bisweilen ein ziemlich unübersichtliches Getümmel und Gewusel, etwa im „Merkur“-Bild, entfacht. Üblicherweise höre ich in ein paar Schlüsselstellen hinein, weiß dann, was ich vom Equipment zu halten habe und mache dann mit ganz anderer Musik Schnipsel für Schnipsel weiter, bis ich ein aussagekräftiges Gesamtbild habe.
Doch an diesem Tag war alles anders. Nach einer halben Stunde ertappte ich mich dabei, dass ich immer noch vor den Planeten saß und mir nicht etwa Gedanken über den Klang der Anlage oder gar die Vorzüge der Lautsprecher machte, sondern über Mehtas Tempogestaltung nachsann und darüber, wie man einen so großen Klangkörper so ideal ausbalancieren kann. Dass hier technische Gerätschaften das Abbild akribischer, in einem längst vergangenen Jahrzehnt geschehener Studioarbeit reproduzierten, hatte ich zu diesem Zeitpunkt völlig vergessen.
Außerdem spürte ich in meinen Mundwinkeln ein leises Zucken. Gerade so, als wollte ich mein Gesicht zu einem leicht verblödet wirkenden Grinsen verziehen, wie ich es an diesem Spätnachmittag bereits „genossen“ hatte. Das durfte nicht sein, ich musste wach und objektiv bleiben. Also schnell etwas Dunkleres, Härteres auf die Playerspindel gesteckt: Peter Fox’ singuläres Album Stadtaffe mit der bösen, kritischen, extrem knackig produzierten Berlin-Hymne „Schwarz zu Blau“. Ein paar Minuten später will ich an die Regler des Mischpults gehen, der Stimme von Fox im „Haus am See“ ein paar Hallanteile dazugeben und mit dem Tonmeister diskutieren, warum diese Passage gar so trocken, fast isoliert von den Drumcomputer-Beats und den Synthesizer-Melodien eingefügt wurde.
Spätestens jetzt dämmert mir allmählich, was hier geschieht: Hier spielen keine 18 000-Euro-Standboxen der Schweizer Edelschmiede Piega, hier ist ein Dimensionsportal am Werk, das mich mitten in jene Situationen hineinbeamt, die auf dem jeweiligen Tonträger akustisch gespeichert sind. Zu plastisch sind die Bilder im Kopf, als dass es eine andere Erklärungsmöglichkeit gäbe. Außerdem ist das, was ich höre, viel zu nahe an der Realität, als dass es mir so über eine im Jahr 2016 gängige Wiedergabekette nahegebracht werden könnte. Hier sind Kräfte und Technologien im Spiel, auf die das 21. Jahrhundert wenigstens offiziell noch keinen Zugriff hat. Die angeblichen Lautsprecher sind höchstwahrscheinlich mit einem jener Flux-Kompensatoren ausgestattet, die einst aus einem nicht sonderlich hübschen Sportwagen von DeLorean eine nicht immer zuverlässige Zeitmaschine machten.
Wie war das noch einmal? Wenn man nicht in eine Zeitschleife geraten will, in der man dann ewig gefangen ist – womöglich mit Heinos „Schwarzer Barbara“ auf Repeat –, muss man die Kette unterbrechen, ehe das kritische Energielevel überschritten ist. Also nehme ich mit zitternden Händen den auch irgendwie nach nichtmenschlicher Technologie aussehenden Vorverstärker und die Endstufe vom Netz und stöpsele stattdessen einen netten kleinen Röhren-Vollverstärker von Cayin ein. Was freilich nicht die angestrebte Entzauberung der beiden mysteriösen Säulen zur Folge hat. Zwar werden Impulse ein wenig runder, Attacken ein bisschen sanfter, und der Raum, der sich hinter den Klangskulpturen öffnet wie seinerzeit das Stargate für Colonel Jack O’Neil und sein Himmelfahrtskommando in fremde Welten und Zeiten, wird einen Hauch schmaler, aber dafür tiefer – man sieht noch ein paar Galaxien mehr im Dunkel schimmern. Doch schließen lässt sich der Riss in der Wirklichkeit damit nicht. Nur mein Grinsen wird immer breiter …
„Hans? Hans? Wach auf! Du bist eingeschlafen!“ Der Grinner schüttelt mich, wahrscheinlich will er mich nun endgültig erledigen. Aber nein, es ist nur der Chefredakteur, der nach dem Rechten sehen wollte und mich vor den Piega Coax 711 fand. Auf der Hörraumcouch sitzend war ich einfach weggedämmert und hatte mir etwas zurechtgesponnen. Natürlich gibt es keine Zeitmaschinen und keine Dimensions-Tore. Dass manches High-End-Gerät aussieht wie ein Flux-Generator, ist eher dem schrägen Geschmack mancher Designer als mysteriöser Alien-Technologie geschuldet.
Die Piega Coax 711 freilich wirkt dennoch wie ein Gast aus einer anderen Welt. In den Jahren, in denen ich mich mit HiFi im Allgemeinen und High End im Speziellen beschäftige, ist mir so gut wie nie ein Lautsprecher untergekommen, der so viel richtig macht und mit so viel unterschiedlicher Musik derart souverän zurechtkommt wie die „kleine“ Piega, die ihrer (unzweifelhaft noch einen Tacken besseren) „großen Schwester“ MLS 2 die Wohnzimmertauglichkeit voraushat: Wer derzeit nicht über einen Hörraum in Reithallengröße verfügt oder in einem der Lager für Alien-Technologie in Area 51 wohnt, könnte mit der Coax 711 auf lange Sicht glücklich werden. Und mit ihr in Musik-Galaxien vordringen, von denen er bis dato vielleicht nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Die Box, mit der dem Gerücht nach auch das Restaurant am Ende des Universums beschallt wird …
Okay, Agent „Spooky Draminski“ hat die Wahrheit zur Piega Coax 711 „irgendwo da draußen“ entdeckt (worunter sich weniger fantasiebegabte Leser gern einen sehr guten Hörraum vorstellen dürfen), hier jedoch sichert sein Kollege – nennen Sie mich doch einfach „Vox Builder“ – die nüchternen Fakten.
Wir schlagen die Akte Coax 711 in der Schweiz, direkt am Zürichsee, auf. Chefentwickler Kurt Scheuch betont, dass die drei Modelle der neuen Coax-Serie „keine einfachen Nachfolger, sondern komplette Neuentwicklungen“ sind und gleich fünf Vorgänger ersetzen. Die Größte des neuen Trios heiß Coax 711 und tritt an die Stelle von 90.2 und 120.2, orientiert sich darüber hinaus aber auch an der erheblich größeren Master Line Source 2 (siehe FIDELITY Nr. 28). So beherbergt die 711 das gleiche Tiefton-Quartett, das auch in der MLS 2 zum Einsatz kommt. Allerdings verteilen sich die beiden Treiberpaare – je zwei dynamische und passive Exemplare – hier nicht auf Vorder- und Rückseite, sondern nehmen den größten Teil der prall bestückten Schallwand ein. Im Gegensatz zur MLS 2 als Direktstrahler konzipiert, folgt die 711 dem typischen Schema eines klassischen HiFi-Standlautsprechers.
Bei den verwendeten UHQD-Tieftönern im 22-Zentimeter-Format handelt es sich um tief greifende Weiterentwicklungen ohnehin schon erstklassiger Basschassis. Neu sind hier beispielsweise die zur Mitte hin zunehmend stärker ausgeführte Aluminiummembran mit unsichtbarer Falzung (unter der Sicke), Keramikbeschichtung sowie Titan-Schwingspulenträger. Wirkungsgrad, Steifigkeit, Resonanzarmut und dynamische Entfaltung wurden deutlich verbessert.
Die gesteigerte, mess- und hörbare Spielfreude im Bass harmoniert bestens mit dem Koaxialbändchen, dessen Premiere Piega bereits im Jahre 2000 feierte. Die mittlerweile typische Piega-Spezialität eines plan-koaxialen Mittelhochtöners hat das Team um Kurt Scheuch in so vielen Details derart entscheidend verbessert, dass es in der Coax 711 – quasi als „Version 2.0“ – bereits ab ca. 500 Hertz eingesetzt wird. Es bietet bei gleicher Membranfläche, aber mit erstarkten Neodymmagneten, hochfesten Stahl-Polplatten und angepasstem Leiterbahn-Layout eine höhere Konzentration der Feldlinien, mithin einen gesteigerten Wirkungsgrad. Zugleich findet die klangentscheidende Bedämpfung der hochempfindlichen Membran nicht mehr direkt auf dessen Folie, sondern im nochmals steiferen Rahmen statt. Zwischen dessen Vertikalstreben sind kleine Gummipuffer zur weiteren Bedämpfung eingesetzt, die in ganz ähnlicher Form auch in den Flächenstrahlern der MLS 2 Dienst tun. Das Koaxialbändchen der 711 (interne Bezeichnung: C211) glänzt im Messlabor dann auch mit einem Amplitudengang, der im Zeichenkurs für Fortgeschrittene noch locker als Linealstrich durchgehen würde.
Das Gehäuse bietet dem Edeltreiber-Ensemble ein adäquates Arbeitsumfeld: Piega verwendet auch für die neue Coax-Serie ein Strangpressprofil aus fünf Millimeter starkem Aluminium, die Schallwand ist zehn Millimeter dick. Dank minimierter paralleler Flächen und aufgrund seiner Formgebung ohnehin schon relativ resonanzarm, wird das Gehäuse der Coax 711 intern mit vier speziellen „Tension Improve Modules“ auf totale Resonanzarmut abgestimmt. Im wahrsten Sinne des Wortes: Mit den TIM lässt sich das Gehäuse optimal vorspannen, spezielle Idikell-Platten zur Resonanzbedämpfung tun ein Übriges, dass sich das Gehäuse akustisch aus allem heraushält. TIM ist mithin eine Vorrichtung, um die 711, ganz im Sinne der High Fidelity, zu einem „umgekehrten Musikinstrument“ zu machen.
Cai Brockmann
Lautsprecher Piega Coax 711
Funktionsprinzip: 3-Wege-Standlautsprecher
Bestückung: Koaxialbändchen Piega C211, 2 dynamische UHQD-Tieftöner, 2 passive UHQD-Radiatoren von SEAS mit Alumembranen
Impedanz: 4 Ω
Wirkungsgrad (Herstellerangabe): 92 dB/W/m
Besonderheiten: Aluminium-Strangpressgehäuse mit 4 „Tension Improve Modules“ (Spannvorrichtungen im Inneren), Bi-Wiring-Terminals, magnetisch fixiertes Schallwand-Lochgitter
Ausführungen: Aluminium silber oder schwarz eloxiert, Schleiflack weiß
Maße (B/H/T): 28/118/33 cm
Gewicht: 4 kg
Garantiezeit: 6 Jahre
Paarpreis: ab 18 000 €
in-akustik GmbH & Co. KG
Untermatten 12–14
79282 Ballrechten-Dottingen
Telefon 07634 561070
Mitspieler:
Digitalquellen: Audio Note CDT 3/DAC 3 Signature, T+A PDP 3000 HV
Plattenspieler: Clearaudio Innovation mit TT-II/DaVinci, EnVogue Astra mit Nottingham Analogue Anna 12″/EMT JSD 75S
Phonoentzerrer: Clearaudio Absolute Phono, Synthesis Roma 79DC
Vorverstärker: Bryston BHA-1, Canever ZeroUno Pre, Primare Pre60
Endverstärker: Musical Fidelity S8 500s (2 x), Primare A60
Vollverstärker: Cayin CS 100A, T+A 2500R
Kabel: Audio Note, AudioQuest, HMS, Vovox
Stromversorgung: AudioQuest Niagara 1000, IsoTek Evo3 Mosaic Genesis, T+A Power Bar 2 + 3
Zubehör: LignoLab Die Bank + TT100, Solidsteel HS, diverse Produkte von Subbase Audio