Brinkmann 12.1 – Ruhe bewahren, sachlich bleiben
Perfektion ist simpel strukturiert: Sie lässt keine Wahl. Und doch ist sie so schwierig zu erreichen.
Nehmen Sie Spaghetti aglio e olio. Jeder kann das. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, das Nudelwasser nicht anbrennen zu lassen. Trotzdem ist die perfekte Zubereitung dieses einfachen italienischen Teigwarengerichts immens komplex. Prinzipiell sind auch Tonarme einfach, aber analog zu den Spaghetti gilt ebenfalls: Perfektion ist rar. Guter Klang ist dabei nur ein Teilaspekt, Perfektion ergibt sich darüber hinaus aus dem einmaligen Zusammenspiel von Material, Konstruktion, Verarbeitung, Bedienbarkeit sowie Beständigkeit in Wert und Funktion. Zufällig habe ich gerade so ein vollkommenes Exemplar in Händen. Da muss ich nicht lange herumdrucksen, die Tonarme von Brinkmann, hier speziell der zwölf Zoll lange 12.1, sind perfekt. Das kann man überall nachlesen, und ich fühle mich nicht bemüßigt, es erneut zu bestätigen, nachdem dieser moderne Klassiker nun seit Jahrzehnten – als Langversion allerdings erst seit 2007 – erfolgreich auf dem Markt ist und wiederum in direkter Linie vom legendären Breuer-Arm abstammt. Der geniale Schweizer Tonarm orientierte sich Ende der Siebziger Jahre stark an der Philosophie von EMT, und so verwundert es nicht, dass auch die Brinkmann-Arme zumindest optisch an die Studio-Tonarme aus der Elektromesstechnik in Mahlberg erinnern.
Der Zwölfzöller mit einem Montageabstand von knapp 30 Zentimeter ist mehr als nur eine Verlängerung des Zehneinhalb-Zöllers, weil ein Tonarm mitnichten besser wird, indem man ihn lediglich verlängert. Genau genommen ist die Verringerung des Spurfehlwinkels schon der einzige Vorteil, dem eine ganze Reihe von theoretischen Nachteilen von erhöhter Resonanzanfälligkeit bis zu verminderter Torsionssteifigkeit entgegenstehen. Tatsächlich klingen insbesondere kurze kardanische Arme oft knackiger und direkter als ihre langen Pendants. Das machte „zahlreiche konstruktive Änderungen“, wie es auf der Brinkmann-Homepage heißt, notwendig, die sich aber augenscheinlich auf das Armrohr beschränken, denn das doppelte Kardanlager sowie die festverbundene Headshell sind mit dem kürzeren Arm identisch. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der dritte Arm im Brinkmann-Angebot, ein kurzer Zehnzöller, über ein einfacher anmutendes Lager verfügt.
Im Gegensatz zu vielen anderen Tonarmen dieser Klasse muss niemandem vor dem Brinkmann 12.1 bange sein; auch unerfahrenen Neu- oder am TP 16 geschulten Wiedereinsteigern nicht. Es ist fast ein Vergnügen, ihn zu justieren, weil alle Schritte über geschmeidig laufende Feingewinde oder unmissverständlich zupackende Arretierungen sehr fein dosierbar sind. Sogar das magnetische Antiskating ist keine Ungefähr-Hilfe, sondern äußerst präzise einstellbar. Beim Quick-and-dirty-Systemwechsel habe ich bisweilen sogar die Testschallplatte im Cover gelassen und einfach die Mono-Taste am MFE-Vorverstärker betätigt. Ich schätze, Helmut Brinkmann würde ein Faden-Antiskating, wie es der derzeit in der zweiten Tonarmschiene meines Feickert Firebird montierte Genuin Point nutzt, oder die fragile Feder meines Mørch DP-8 schon aus Gründen der mechanischen Unwägbarkeit heraus ablehnen. Was nicht heißen soll, dass diese Systeme weniger gut funktionieren, sie vermitteln nur nicht dieses scheinbar alternativlose Perfektionsgefühl. Die geradezu vorbildliche Benutzerfreundlichkeit sollte aber nicht dazu verführen, die notwendigen Justagearbeiten lax anzugehen. Alle Tonabnehmer, auch die günstigen, aber vor allem die teuren, haben von penibler Justage im Brinkmann profitiert. Insbesondere Abweichungen im VTA quittiert er schnell mit tendenziell aufgeblähter bzw. nervöser Wiedergabe. Solcherlei Rückmeldungen empfinde ich beim Brinkmann als weniger dezent als beispielsweise beim TT5 von Clearaudio. Der 12.1 erleichtert das Erhören der korrekten Einstellungen, um es positiv zu formulieren.
Weil neu immer besser ist als altgedient und der Exot allemal sensationeller als der bewährte Platzhirsch, befindet sich der 12.1 nunmehr bald drei Jahre in meinem Besitz. Das ist einerseits peinlich für uns als Redaktion, weil dieses ewige Verschieben auch bedeutet, dass selbst wir uns dem Zwang nicht entziehen können, mit jeder Ausgabe eine neue Sau über die audiophile Agora treiben zu müssen, andererseits war es auch eine erkenntnisreiche Zeitspanne für mich, da der Brinkmann meistens parallel zu anderen Testarmen montiert war und ich so vertiefte Eindrücke sammeln konnte.
Deshalb möchte ich mich nicht mehr länger mit technischen Details aufhalten – der Arm ist ohnehin sehr gut dokumentiert –, sondern den Raum lieber nutzen, um etwas zu wagen, vor dem wir sonst meist zurückschrecken: einen Vergleichstest. Der 12.1 hat dabei nichts zu verlieren, und seine vergleichbaren Kollegen letztlich auch nichts. Wer auf standrechtliche Urteile hofft, wird leider enttäuscht werden. Als kleiner Service, falls Sie schon mit der Maus über dem „Kaufen“-Button kreisen und sich fragen, ob der Brinkmann der bestmögliche Arm ist, eine kurze Antwort: Ja, klicken Sie ruhig. Obwohl das nicht von meinem Urteil abhängen sollte. Diejenigen, die es ein wenig differenzierter vertragen, lade ich ein auf eine kleine Reise ins Reich der Zwischentöne.
Der 12.1 kam ohne Kabel und nutzte überwiegend das fünfpolige meines DP-8, von dem auch die Konkurrenten mit SME-Anschluss – Kuzma Stogi Reference, Mørch DP-8, Clearaudio TT5, um die direkten einmal beim Namen zu nennen – profitierten. Der Genuin Point hat sein eigenes Kabel mit Lemo-Verbindung, läuft aber vor allem deshalb außer Konkurrenz, weil sein Test noch aussteht, ebenso wie The Wand oder Thorens TP 92, da der direkte Vergleich über die weit entfernten Preisklassen nicht ganz fair für die beiden wäre.
Jeder Spitzentonarm hatte gewisse Präferenzen hinsichtlich des Abtasters, oder treffender formuliert, jeder Tonarm verhalf bestimmten Tonabnehmern zu ihrem Optimum. Bis auf den 12.1, er machte keine erkennbaren Unterschiede und holte aus ausnahmslos jedem Tonabnehmer – Lyra Kleos SL, Clearaudio da Vinci, Ortofon MC Quintet Bronze und Mono, Audio-Technica 50ANV und 33PTG I sowie dem MM-System Ortofon 2M Black – das Beste heraus. Wenn sich der Stogi Ref, im Test damals als Neunzöller, ganz besonders gut mit farbenprächtigen Systemen wie dem PTG33 oder dem 2M Black verstand, heißt das zwar nicht, dass die extrem hochauflösenden Kleos SL und 50ANV wirklich unterrepräsentiert gewesen wären. Er verlieh ihnen sogar etwas Grundtonfülle, die aber mit allerletzter Feinauflösung bezahlt werden musste. Am Abklingen eines Flügels (der gerne rhythmisch härter angeschlagen sein darf, wie in „’Round Midnight“ auf Oscar Peterson & Nelson Riddle) oder Kontrabasses zeigt der Brinkmann insbesondere mit den filigranen MCs seine phänomenale Transparenz und Luftigkeit, wenn der Kuzma schon ein wenig angestrengt klingt. Noch eine Spur freier und lebendiger als der 12.1 führt der Mørch die teuren Preziosen. Er bildet mit dem Lyra eine symbiotische Einheit, angesichts derer auch ein Brinkmann 12.1 nur den Hut ziehen kann. Aber sowohl mit dem günstigen Quintet Bronze als auch mit dem preislichen Spitzenreiter Clearaudio da Vinci ergibt sich schon wieder ein anderes Bild. Das Ortofon-MC hat sich als durchaus ernstzunehmender Allrounder bewährt und beweist auch am DP-8 seine wohlgeordnete Spielfreude – selbst wenn zum Erlanger Edel-Abtaster mindestens eine Dimension fehlt –, klingt aber bisweilen etwas vorlaut. Und auch das da Vinci entfaltet sich nicht restlos im Mørch, der überdies eine leicht verzögerte Hippie-Attitüde an den Tag legt. Durch Austausch des Armrohres – bei Mørch ist das einfach möglich – ließe er sich vermutlich wieder disziplinieren, aber das ist hypothetisch gesprochen. Der Brinkmann hingegen stört sich nicht einen Augenblick lang am verhältnismäßig geringen Gewicht (sieben Gramm) des Top-MCs. Auch Einbau und Justage verliefen trotz der ausladenden „Kühlrippen“ des da Vinci und der eckigen Headshell des Brinkmann ohne Zwischenfälle.
An dieser Stelle ein eigentlich selbstverständlicher Tipp: Erst Stecker auf die Tonabnehmer-Pins, dann in die Headshell spaxen. Ich gehöre selbst zu jenen, die gerne mal ohne Netz arbeiten, und im Allgemeinen mag das auch kein Problem sein. Aber die kleinen Klemmen nachträglich von unten in die kastenförmige Headshell des Brinkmann zu fummeln war des Öfteren Anlass, meine Einstellung grundsätzlich zu überdenken.
Auf das 2M Black von Ortofon, das im Kuzma und im Clearaudio-Tangentialarm so grandios aufspielte, reagiert der DP-8 im etwas übertriebenen Vergleich fast mit Abstoßung. Der Brinkmann hingegen lässt das preiswerte MM-System sein, wie und was es ist, und ist sich nicht zu schade, den Unterschied zum ebenso preisgünstigen Quintet Bronze haarklein herauszuarbeiten. Zwar nicht so erdig und mit weniger Körpereinsatz, als der Stogi Ref zeigte, wenn er die beiden in die Rille drückte, aber dennoch definierter und mit einer Durchzeichnung, die man den zwei Underdogs nicht zutraute.
Eine amtliche Produktion aus der Goldenen Ära aufgelegt, meinethalben Exile On Main Street – und mit der Kombi 12.1 und 2M Black geht die Post ab. Da kann auch der TT5, der aufgrund seines deutlich geringeren Preises mildernde Umstände genießt, gleichwohl er hinsichtlich Disziplin und Abtastsicherheit versucht, Schritt zu halten, nicht mehr mit. Er klingt enger, zögerlicher, weniger fließend. Das zeigt sich noch stärker, wenn man den abgespeckten Tangentialarm aus Erlangen mit dem da Vinci aus selbem Haus kombiniert. Der Brinkmann hingegen spielt damit herausragend souverän, eine traumhafte Kombination, die perfekt die Balance zwischen sachlich und emotional hält. Daneben kann sich auch der Genuin Point als „konstruktiver Hybrid“ oder stabilisierter Einpunkter schön in Szene setzen. Er erreicht zwar weder ganz die Freiheit des Mørch noch die fast selbstlose Neutralität des Brinkmann, findet aber einen sehr einnehmenden Kompromiss zwischen Auflösung und musikalischem Fluss. Gerade wenn es nervös und zerfasert wird wie bei „Shake Your Hips“ oder „Sweet Black Angel“ – ich bin immer noch beim ollen Stones-Album in der remasterten Version von 2010 –, überzeugt der 12.1 zweifellos durch seine penible Übersicht. Selbst der Mørch kann sich der rohen Energie des schmutzigen Blues nicht entziehen und geht steil, er schwebt frei auf einer Umlaufbahn, während der Brinkmann unbeirrt wie auf Schienen durch die Rille pflügt. Dieses Bild charakterisiert die beiden fantastischen Tonarme Mørch DP-8 und Brinkmann 12.1 eigentlich ganz gut.
Herauszuheben bleiben nur die auch in der größeren Übersicht über analoge Eindrücke, die man so am Wegesrand aufschnappt, schier unglaublichen dynamischen Fähigkeiten des 12.1. Insgeheim hoffe ich, dass mein Firebird ihm dabei hilft und somit auch einen Anteil trägt, denn sowohl fein- als auch grobdynamisch setzt diese Kombination eine mächtige Referenz. Hinsichtlich seiner Verarbeitung gebührt dem 12.1 – wie auch allen anderen Brinkmann-Komponenten – ohnehin Sonderstatus. Wahrscheinlich liegt da am Ende der feine Unterschied zwischen „austauschbar hervorragend“ oder „sehr gut“ und „einmalig perfekt“.
Brinkmann 12.1
Funktionsprinzip: Drehtonarm
Effektive Länge: 12″ (305,6 mm)
Effektive Masse: 14 g
Montageabstand: 292 mm
Einbautiefe: 30 mm (ohne DIN-Stecker)
Tonabnehmergewicht: 4–16 g (mit Standardgegengewicht)
Besonderheiten: mit losen Litzen oder 5-Pol-Buchse
Gewicht ohne Gegengewichte: 350 g
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 4900 €
Gaudios KG
Brandhofgasse 11
8010 Graz
Österreich
Telefon +43 316 337175