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Achtung, Aufnahme

Classidelity: Achtung, Aufnahme!

Classidelity: Achtung, Aufnahme!

Alte Musik in alten Gemäuern – wie klingt das? Und was ist bei einer audiophilen Aufnahme wirklich wichtig? Ein Blick hinter die Kulissen

An diesem Mittwoch im April kommt viel Gutes zusammen: ein Cellist in Bestform, ein großes Werk der Celloliteratur, ein audiophiles Musiklabel, ein Saal mit traumhafter Akustik für eine Aufnahme – und zwei FIDELITY-Leser, die mit mir hinter die Kulissen einer klassischen Musikproduktion schauen wollen. Ein gutes Dutzend Leser hatte zuvor ernsthaftes Interesse an dieser ganz besonderen Aktion bekundet. Doch der Termin mitten in der Woche, aber auch das begrenzte Platzangebot im kleinen Abhörraum ließ die Teilnehmerzahl auf zwei Glückliche schmelzen.

Achtung, Aufnahme
Historische Dreckburg: Auch der Burgherr liebt Musik

Ich treffe Josef Grewe und Guido Wortmeier, die sich für diesen Tag extra Urlaub genommen haben, unmittelbar vor der historischen Dreckburg im westfälischen Salzkotten. Schon nach wenigen Minuten führt uns Stefan Gawlick – eine Hälfte des audiophilen Musiklabels STAN – hinein ins Allerheiligste. Der Burgherr, Erhard Christiani, soll sich zwar auch auf dem weitläufigen Anwesen aufhalten, ward aber nicht gesehen. Daher dürfen heute Musiker, Aufnahmeleute und auch das Besuchertrio aus dem FIDELITY-Umfeld das stilsicher renovierte Gebäude aus dem 14. Jahrhundert in Beschlag nehmen; zumindest den Saal und dessen angrenzende Räume.

Der Saal, in dem die Aufnahmesession stattfindet, liegt unterm Dach des Hauptgebäudes und ist über eine ziemlich lange, steinerne Wendeltreppe erreichbar. Das Hinaufsteigen der vielen Stufen lässt auch unsere Spannung steigen, bis sich endlich hinter einer großen Holztür besagter Saal öffnet. Dicke weiße, rau verputzte Wände umschließen den wunderschönen Holzfußboden des Saales, der übrigens eine unsymmetrische Grundfläche hat. An dessen hintere Wand schmiegt sich eine schlichte hölzerne Galerie. Auch die Decke ist aus Holz und wird von uraltem, massivem Gebälk getragen. Ein Konzertflügel von Blüthner setzt einen optischen Schwerpunkt, etliche Stühle „normalisieren“ die ohnehin vorzügliche Akustik des Saales noch ein wenig. An einer Seite sind Cellokasten und Handgepäck abgestellt. Das Cello selbst ruht erwartungsvoll in unmittelbarer Nähe von Mikrofonen, Stuhl und Notenständer. Sein Besitzer bereitet sich gerade im Nebenraum auf den dritten und letzten Aufnahmetag vor – da ist volle Konzentration angesagt.

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Cellist Werner Matzke im musikalischen Dialog mit Bach: Die Großmembran-Stützmikrofone, Raum und Aufnahmeteam sind ganz Ohr

Für die bestmögliche Aufnahme des Cellos hat das STAN-Team zwei Mikrofonpaare zentimetergenau installiert. Als Hauptmikrofone kommen zwei Kleinmembran-Modelle von Neumann in AB-Anordnung zum Einsatz. Sie „schweben“ auf einem Stativ in rund zwei Meter Höhe, was unter den hiesigen Bedingungen – Instrument, Spielweise, Raumresonanzen – die beste Balance aus Direktheit und Raumeindruck, aus Instrument und Saalakustik bietet. Optisch eindrucksvoller als die Neumänner in luftiger Höhe sind zwei Großmembran-Mikrofone in Kniehöhe, sie dienen jedoch lediglich als „Stütze“ für einen möglichst authentischen Klangeindruck. Zuvor hatte das STAN-Team in etlichen Versuchen die klanglich optimale Position des Instruments in diesem Raum ermittelt – dank reichlicher Erfahrung und feinem Gespür fand man recht schnell zu einer fein austarierten Klangbalance, die der Musik gerecht wird. Die ruhige Lage des Saals, aber auch das entspannte, professionelle Teamwork der drei Herren Matzke, Nowak und Gawlick – man kennt und schätzt sich seit Jahren – tat ein Übriges, dass in nur zwei Tagen die Aufnahmen schon sehr weit vorangekommen sind. Johann Sebastian Bachs 4. Suite für Violoncello solo ist ein musikalisch komplexes, technisch anspruchsvolles Werk, das auch die wirklichen Virtuosen des Instruments immer wieder herausfordert.

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Vorzügliche Akustik: Dieser Saal wird auch gern für klassische Konzerte genutzt

Genau das Richtige für den Mann, der nun zielstrebig den Saal durchquert, uns Neulinge kurz begrüßt und sodann sein Barockcello – nach originalen Vorbildern vom Ende des 17. Jahrhunderts gebaut – zwischen die Knie klemmt und sich warmspielt: Werner Matzke ist Solo-Cellist bei Concerto Köln, Dozent an der Musikhochschule Trossingen und auch im Orchester der Bach-Koryphäe Ton Koopman häufiger zu hören. Hier und heute wird Matzke das dreitätige Projekt abschließen, ein Großteil der Suite Nr. 4, die mit der 2. und 6. Suite auf CD erscheinen soll, ist bereits „im Kasten“. Um den Künstler in Ruhe zu lassen, verlassen wir nun den Saal und begeben uns nach nebenan in – eine Küche? Verschmitzt lächelnd begrüßt uns dort Andreas Nowak, die andere Hälfte von STAN. Im professionell-mobil eingerichteten Regie- und Abhörraum beanspruchen Laptop, Bildschirm und die üblichen Steuerungsapparaturen der digitalen Aufnahmewelt einen Teil des zweckentfremdeten Küchentischs.

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Die Küchenregie: Bewährtes und Edles und jede Menge Not(iz)en

Vor den Plätzen von Nowak und Gawlick liegen die Noten des einzuspielenden Werkes auf der blanken Tischplatte, daneben handschriftliche Notizen, die den Verlauf der Session dokumentieren und nachher als verlässliche Grundlage für den Schnittplan dienen müssen. Wobei es der Philosophie des Labels entspricht, möglichst wenig Schnitte zu machen und dem Musiker zu ermöglichen, möglichst große musikalische Abschnitte einzuspielen und im Fluss der Musik zu gestalten. Wie sich bereits nach der ersten Ansage in den Saal hinein („Band läuft“ – manches ändert sich wohl nie) herausstellt, verfolgen die beiden studierten Schlagzeuger und Barockmusik-Experten das Spiel von Werner Matzke in einer Mischung aus gestrenger Akribie und professioneller Begeisterung für die enorme Bandbreite an musikalischer Ausdrucksfähigkeit des Cellisten.

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Die Technik: Mikrofon-Vorverstärker von Schoeps, Digitalwandler von RME

In puncto Technik vertrauen sie u. a. auf einen Mikrofon-Vorverstärker von Schoeps, der „einfach fantastisch klingt“, und eine RME-Maschine, die für Digitalwandlung und FireWire-Schnittstelle zuständig ist. Das Signal der Mikrofone wird ohne zusätzliche Wandlungen in 24 bit/96 kHz auf die Festplatte geschickt, von einer zentralen Digitaltaktung streng kontrolliert. Klangqualität hat hier oberste Priorität, „selbst durch verschiedene Mikrofonkabel haben wir uns gehört.“ Verständlich also, dass STAN auf die in der Studioszene üblichen Tricks wie unzählige Schnitte oder starke Kompression dankend verzichtet. Lieber soll der Künstler eine komplette Passage einfach noch einmal einspielen, bis alle Beteiligten vollends zufrieden sind. Nach besonders heiklen oder entscheidenden Passagen legt Werner Matzke Barockbogen und Instrument zur Seite und sucht die Tonregie auf – zur Kontrolle und Diskussion der eigenen Leistung. Dabei geht es um interpretatorische Fein- und Freiheiten, die für uns staunende Laien allmählich eine völlig neue Dimension dieser Musik offenbaren.

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Luftige Montage: Kleinmembran-Mikrofon von Neumann in AB-Aufstellung

Mehrere professionelle Kopfhörerverstärker stehen uns zur Verfügung, um bis zu acht „Schallmützen“ zu versorgen, die nun kursieren (der Autor hat allein fünf Exemplare mitgebracht). Alternativ dazu sind vor der rauen Wand Aktivmonitore von Geithain aufgebaut. Wie gut hier die Abhörbedingungen sind! Alle Besucher sind sich – Cello und Saal noch im akustischen Gedächtnis – einig: Hier klingt es unglaublich gut, im besten Sinne ehrlich und glaubhaft echt. Erstaunlich auch, dass sich etliche Kopfhörer und die RL904 tonal unglaublich ähnlich sind. So lässt es sich über Stunden hinweg entspannt und konzentriert arbeiten. Kein Wunder, dass mir Stefan Gawlick schon vor längerer Zeit von diesen Gegebenheiten vorgeschwärmt hatte. Denn nicht nur der Saal, auch die „Küchenregie“ besitzt durchaus Referenzqualitäten. Zudem scheint es sich auch in der Studioszene hörbar auszuzahlen, lieber weniger, dafür besonders gut klingendes Equipment anzuschaffen, das eben nicht nur technisch aufeinander abgestimmt ist.

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Die Instanz: Werner Matzke entert die “Regieküche” neben dem Saal

Auf diese Weise wird es einfacher, den Fokus auf die künstlerischen Qualitäten einer Aufnahme zu richten. Wie jetzt Werner Matzke erneut beweist, der nach nur wenigen Minuten Pause hochkonzentriert den anspruchsvollen letzten Suitensatz gleich mehrfach einspielt und dabei jeweils überraschend anders gestaltet. „Über irgendwelche Spielfertigkeiten muss man sich bei diesem Musiker wirklich keine Gedanken mehr machen,“ sagt Andreas Nowak begeistert und ermuntert Matzke, eine bestimmte Stelle ein weiteres Mal so zu spielen, „dass der Ton auch hinten eine Form hat!“ – Okay, Musiker unter sich. Mindestens zwei davon sind, selten genug, echte Audiophile, die den Mix-&-Master-Prozess der Produktion übrigens in 64-bit-Technik erledigen, um jede weitere Klangbeeinflussung zu minimieren. Als wir uns schließlich am Spätnachmittag verabschieden, nehmen wir viele neue Einsichten mit.

 

 

 

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