Klangschloss Greifensee
Hochherrschaftlich hören
Seit 2006 gibt es das „Klangschloss“ am Greifensee in der Schweiz. Und es hat sich allmählich herumgesprochen, was die kleine, aber auch sehr feine Veranstaltung auszeichnet: ein reizvolles Ambiente im alten Ortskern direkt am See, jede Menge gute Musik über erstklassige, mitunter sensationelle High-End-Anlagen, interessante Fachvorträge, eine Schlossterrasse, ein Freigetränk … Der übliche Messestress einer Hotel- oder Hallenveranstaltung, so Organisator Markus Thomann, finde im Klangschloss nicht statt. Er wolle stattdessen gute Voraussetzungen bieten, um die „Plattform für beste Musikwiedergabe“ weiter zu etablieren.
Und siehe da: Das alles stimmt. Davon überzeugte sich FIDELITY am letzten Aprilwochenende 2017, das dem Klangschloss absolutes Traumwetter und einen neuen Besucherrekord bescherte. An den beiden Veranstaltungstagen schlenderten exakt 644 zahlende Gäste durch die 15 unterschiedlich gestalteten Ausstellungsräume. Durchweg alle Vorführungen waren ambitioniert und „voll bei der Sache“, man fühlte sich als Besucher absolut willkommen und ernst genommen. Und wo es nicht vollends gelungen war, die durchaus herausfordernde Akustik mit optisch zurückhaltenden Maßnahmen in den Griff zu bekommen, kam dafür die spezielle Schloss-Atmosphäre besser zur Geltung. Überhaupt lohnte nicht nur in den Ausstellungsräumen – keiner war wie der nächste – auch der Blick auf architektonische Details.
Das Wichtigste im Klangschloss waren gleichwohl die audiophilen Höhepunkte. Wir wollen es als dezenten Fingerzeig verstehen, dass die vier, fünf besten Performances auf dem 2017er Klangschloss bei eidgenössischen Spezialisten zu verzeichnen waren. Den Einstieg versüßte uns allerdings ein superber Kopfhörer: Der grandiose Stax SR-009 hatte bei Pawel Acoustics im Umfeld der Plattenbörse im kühlen Keller seinen Auftritt. Im wahrsten Sinne raumfüllender ging es bei Daniel Weiss zu, der einen Prototypen namens Livebox präsentierte. Dieses All-in-one-System, eine Art moderne Musiktruhe im superschlichten Sideboard-Design, zaubert aus einer nominellen Breite von rund zwei Metern mittels allerlei Digital-Algorithmen eine virtuell doppelt so große Bühne. Dazu muss sich der Hörer allerdings strikt in der Mitte der Schallabstrahlzone befinden, was regelmäßig zu einer „Single-Line-Bestuhlung“ im großen Raum führte.
Daniel Weiss teilte sich diesen kleinen Saal – und damit auch die Vorführzeiten – einerseits mit einer Installation von Klangwerk, deren schlanke Erscheinung auch bei massivem Bigband-Programm noch großes, dynamisches Ohrenkino bot, andererseits mit den Studiomonitor-Experten von PSI. Und mit deren eher unscheinbarem, aber vollaktivem Modell PSI 225 gab es dann so richtig was auf die Ohren: Musikproduzent, Toningenieur und Klangfanatiker Ralph Zünd spielte ein paar Tracks von einem Mastertape seines Analog-Projekts Straight2Tape. Angefixt hatte er zahlreiche Interessenten schon zuvor mit einem humorvollen und unterhaltsamen Vortrag, dessen Abschluss ein Track der Rockband Souls Revival „in angemessener Lautstärke“ vom Mastertape war. Die energiereiche und absolut livehaftige Performance von Souls Revival auf Straight2Tape fand hier nun seine direkte Fortführung. Das hat definitiv gerockt!
Wie groß der Anteil von Vovox-Kabeln am überzeugenden Sound bei PSI war, darf individuell eingeschätzt werden. Klar hörbar wurde der positive Einfluss von Vovox jedenfalls bei einem eigenen Vortrag zum Thema „Sind Kabel hörbar?“. Hierzu hatte Vovox-Chef Jürg Vogt den Profigitarristen Oliver Keller engagiert und betätigte sich eigenhändig als Roadie, um Kabel flink zu tauschen und klanglich zu vergleichen. Die Unterschiede waren auch für die Musik(er)fraktion von FIDELITY doppelt interessant, weil nicht nur das Signalkabel zwischen E-Gitarre und Röhrenverstärker, sondern später auch dessen Netzkabel ausgetauscht wurde – mit ebenfalls eindeutigem Ergebnis pro Vovox.
Nebenan sorgte ein bestens ausbalanciertes Tobian Sound System für Aufsehen – und für Wiederholungsbesuche unsererseits. Hier floss die Musik wahlweise vom Langer-Direkttriebler oder per Rechner plus Röhren-DAC in eine starke Röhrenkombi. Diese sorgte für einen autoritativen und „schnellen“ Grundklang über die Koaxial-Schallwandler „12“, von denen Günter Tobian zwei unterschiedliche Abstimmungen im Bass wechselweise präsentierte. Im akustisch anspruchsvollen Raum konnte sowohl das Backloaded-Horn als auch die auf den ersten Blick identische Reflex-Konstruktion jeweils Vorteile für sich verbuchen. Enormen Spaß haben definitiv beide gemacht.
Sehens- und hörenswert auch die Retro-Komponenten von Jürg Schopper – bei Swiss Sonor klang es von Band und Vinyl sehr farbstark und tatsächlich: sonor, hin und wieder vielleicht ein wenig zu präsent und in die Breite gezogen, aber insgesamt schön locker und mitreißend. Was zum Abschluss auch für eine „Performance“ auf der Schlossterrasse galt. Dort war überraschend Jürg Jecklin, streitbarer Akustikforscher und Erfinder des Jecklin-Float-Kopfhörers, aufgetaucht und unterhielt ein paar Fans mit Anekdoten aus einem bewegten Audio-Leben. In diesem Jahr, so der Grandseigneur der Schweizer Audioszene schelmisch, besuche er das Klangschloss rein privat und sei „überhaupt zum ersten Mal irgendwo ohne jede Aufgabe“ … Für mich war die Begegnung mit Jürg Jecklin ein toller Abschluss des zugleich vergnüglichen und hochinteressanten Klangschlosses. So kann das perfekte Wochenende also auch aussehen, das man sich immer wünscht und doch so selten erlebt. Der 14. und 15. April 2018 ist fix in meinem Kalender notiert.