Analog-Forum Krefeld 2017
Die Welt als Scheibe mit zwei Seiten
Ein heimliches Highlight unserer Messe-Agenda ist jedes Jahr der Besuch des Krefelder Analog-Forums. Die familiäre Messe machte auch 2017 ihrer analogen Ausrichtung alle Ehre. Im konspirativen Widerstandsnest gegen die internationale Digitalisierung, dem Mercure-Hotel an der Elfrather Mühle, treffen sich alljährlich die letzten aufrechten Kämpfer der analogen Revolution zum Wohle des Menschen im Kampf für seine liebgewonnenen Hörgewohnheiten. Abgeschottet von der Außenwelt, mit dürftigem Mobilfunk und lückenhaftem WLAN, hören sie dort Musik von altertümlichen Wiedergabeapparaten aus der Familie der Phonographen – und niemand bekommt Wind davon, was sie hören. Ohne die Renegaten von der Presse dränge sicherlich nichts nach draußen. Also gut, nehmt dies, Apple und Google: Wir haben Ringsgwandl, Nino aus Wien und Ludwig Hirsch gehört. Auf dass in die Algorithmen einfließe, dass Audiophile auf Ethno-Folk und exotische Chansons abfahren. Wundern Sie sich nicht, liebe Leserinnen und Leser, wenn Spotify Ihnen demnächst komische Musiktipps unterbreitet.
Deshalb wollen wir Sie an dieser Stelle auch nicht wie üblich mit Namedropping und Bester-Klang-Urteilen langweilen, sondern Ihnen die Stimmung dieser eher an Klassentreffen als HiFi-Messe erinnernden Veranstaltung näherbringen: Tagsüber lohnt es sich, hin und wieder bei Tone Tool vorbeizuschauen, nicht nur weil Holger Wilhelm dort sein umwerfend schönes Trapezium-Laufwerk, bestückt mit feinmechanisch exzellent wirkenden Studo-Holztonarmen, vorführt, sondern weil er nebenher eine praktische Handy-Ladestation für schusslige Journalisten betreibt. Zu Martina Schöner hingegen geht man besser erst nach offiziellem Torschluss, auch wenn ihre Vorführungen zu den eloquentesten der Branche gehören – vorher ist es dort einfach zu voll. Kein Wunder, so wie ihr modulares und gefährlich-wild lackiertes Lautsprechersystem klingt, insbesondere am Samstag mit einer großen Frans-de-Wit-Signature-One-Endstufe öffneten sich dort Räume, die dem engen Hotelzimmer spotteten. Außerdem gibt’s dort Gin Tonic, sobald die Messebesucher verschwunden sind. Einer oder zwei davon auf Eis helfen gegen den Nachgeschmack des warmen Flaschenbieres bei Ultraudio, wo einem wahnwitzig konstruierte Reflector-Lautsprecher (ehem. Onda Ligera) ganz von selbst den Kopf in den Nacken legen. Keine Frage, diese martialischen, schallemittierenden Klangskulpturen sind spektakulär, interessanter – zumindest in meinen Augen – war jedoch der neue Dreher von Reed. Der Reed Muse 1C aus Schichtholz verfügt erneut über Reibrad-Antrieb, hat aber lediglich Platz für einen Tonarm.
Da die AAA ein Verein ist, dessen Unterstützung wir für grundsätzlich angeraten halten, reisen wir immer mit einem Kofferraum voll etwas älterer, aber nichtsdestotrotz aktueller FIDELITY-Ausgaben an. Als Leser wissen Sie ja, dass eine FIDELITY nicht im herkömmlichen Sinne veraltet, sondern zum Klassiker reift. Diese Hefte schleppen wir dann eigenhändig aus der Tiefgarage, um sie beidhändig in der Hotellobby zu verteilen, auf dass die Messebesucher während Erholungs- und Sitzpausen gemütlich darin schmökern oder ihre eigene Sammlung durch einige eventuell fehlende Ausgaben ergänzen können. Das ist als kleines Dankeschön an die AAA gedacht, als kleiner Beitrag der FIDELITY zum Gelingen einer der schönsten Messen. Daran, dass Begehrlichkeiten so groß werden können und einzelne Besucher die Hefte in Stapeln nach draußen schleppen, ja sogar der Nachwuchs beim Tragen helfen muss, hatten wir nicht gedacht. So waren an beiden Tagen, etwa eine Viertelstunde nachdem wir die Hefte ausgelegt hatten, praktisch keine mehr zu sehen. Natürlich ist das allein unser Fehler und wir entschuldigen uns bei den Leidtragenden dafür, dass die FIDELITY so schwer ist.
Im Keller präsentierte die Röhrenschmiede hinreißend designte Verstärker, teilweise im rostigen Steampunk-Look, an Altec-Hörnern – da konnte man sehr gemütlich eine Weile ausnüchtern. Thomas Fast führte wie üblich erhellende Vergleiche von Tonabnehmern und Übertragern an bildschönen Primary-Control-Laufwerken vor – eine ästhetische und klangliche Offenbarung. Genuin Audio präsentierte stolz eine gesamte Kette aus einer Hand – inklusive der neuen Nimbus-Endstufe – die entsprechend klang wie aus einem Guss – und das behaupten wir nicht nur, weil Genuin später an der Hotelbar ein paar Gläser Lagavulin spendiert hat. AMG hatte ein Viella mit DS-Audio-Lichttonabnehmer aufgebaut, die fast ein wenig überdimensioniert wirkte im Vergleich mit mir bislang unbekannten, dafür aber sehr präzise verarbeiteten Koaxial-Lautsprechern von Lautsprung. Ein sympathisches Pärchen in Cowboy-Boots sorgte dort für sehr liebevolle und originelle Musikauswahl, weit abseits ausgetretener Test-LP-Pfade. Oder hat jemand schon einmal Ringsgwandls geniales Frühwerk Das Letzte auf einer Messevorführung gehört? Bei WSS spielte eine im wahrsten Wortsinn kleine Kette aus ProJect-Elektronik an winzigen Zwei-Wege-Monitoren zur allgemeinen Verblüffung ziemlich erwachsen auf. Das Ziel lautete „High End für unter 4000 Euro“ – wir meinen: Auftrag erfüllt! Natürlich kommt man mit viel größerem und viel teurerem Equipment noch weiter, was Sperling Audio an mannshohen Elektrostaten von Silberstatic eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Um Euphonic Architects zu hören, setzte man sich am besten in einen der zahlreichen Workshops, denn dort spielten die Schallwandler von Klaus Bensinger. Nebenbei erfuhr man auch noch mehr oder weniger Lehrreiches wie beispielsweise den überraschenden Sachverhalt, dass sich analog und digital nicht unbedingt feindlich gegenüberstehen müssen, sondern sich sogar ergänzen können. So ähnlich lautete zumindest das Fazit des Dozenten, der dafür wider Erwarten nicht mit einem Cinchkabel aufgeknüpft wurde – überraschend tolerant, die analoge Fangemeinde! Als unbedarfter Besucher aus der realen Welt müssen Sie also keine Feindseligkeiten befürchten, falls Sie dort mit einem mobilen HiRes-Player auftauchen. Schauen Sie doch nächstes Jahr einfach mal vorbei. Es lohnt sich. Versprochen!