Jazzidelity: Mulo Francel – Escape
Der Charme der Nostalgie
Ob es für oder gegen ein Jazzalbum spricht, wenn man es bei der Arbeit locker nebenher hören kann – das ist unter Jazzologen durchaus umstritten. Escape jedenfalls hat den Nebenher-Hörtest bestanden. Was immer man gerade tut: Mit dieser Musik im Hintergrund bleibt man entspannt, fühlt sich sanft inspiriert und emotional angeregt. Denn Escape ist zwar ein Jazzalbum, aber ein unzeitgemäßes. Es klingt unmissverständlich nach den Fünfziger- und Sechzigerjahren, dabei entstand es im Sommer 2012. Es beschwört die Ära von Cool Jazz und Bossa Nova, dabei enthält es lauter Eigenkompositionen des Bandleaders. Der heißt Mulo Francel und dürfte vielen als der Bläser der Globetrotter-Salonkapelle Quadro Nuevo bekannt sein. Mit Escape legt Mulo Francel endlich das Album vor, das sich Jazzfans schon lange von ihm gewünscht haben.
Francel ist kein typischer Jazzmusiker, das sagt er selbst. Aber er ist geprägt von Jazzsaxofonisten wie Stan Getz und Paul Desmond, die es verstanden, melodische Fantasie und harmonisches Denken mit einem sanften Ton und einer relaxten Haltung zu verbinden. Vom eröffnenden Titelstück des Albums, einem Midtempo-Swinger, bis zur karibisch tänzelnden Schlussnummer ist immer klar: Hier spielt einer nicht für die Jazzkritik, sondern fürs Publikum. Romantisch, lässig, gekonnt, mit raffinierten Zwischentönen und viel Raum fürs fühlende Ohr und Herz. Weich schlängelt sich das Saxofon durch die Oktave. Stimmungsvoll blubbert die Spucke im Mundstück. Muco Francel balanciert elegant auf dem Grat zwischen Kunst und Kunstgewerbe.
Der vorherrschende Tonfall des Albums ist lateinamerikanisch, aber mit kühler Eleganz. Etwas anders klingen das orientalisch inspirierte „Trip To Batumi“ mit Bassklarinette, der fast bizarre Kuba-Walzer „Susannata“ mit Sopransax oder eben die nostalgischen Swingnummern wie „Escape“ und „Café Europe“, die man schon beim zweiten Hören für alte Standards halten möchte. Wer seinen Jazz etwas handfester liebt, wird in den virtuosen Soli des Pianisten David Gazarov ebenfalls geschmackvoll bedient. Sven Faller am Kontrabass und Robert Kainar am Schlagzeug vervollständigen ein kompetentes Quartett. Nein, man muss dieses Album nicht im Hintergrund laufen lassen, man darf ganz konzentriert zuhören. Nicht zuletzt in Mulo Francels Improvisationen gibt es da viele kleine Tricks, Finten und Details zu bewundern. Sie schenken seinem Saxofonspiel die unwiderstehliche Kraft zur Verführung.