… to see if great art can be done on a jukebox (Allen Ginsberg, 1966)
Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Alljährlich ruft sich die Schwedische Akademie durch die Nobelpreisvergabe in zwei Kategorien der breiten Öffentlichkeit in Erinnerung. Beide Preise stehen nicht zwingend mit herausragenden Leistungen in der Literatur oder ernsthaften Bemühungen um Frieden in Zusammenhang, sondern sorgen in erster Linie für Presserummel. Der Friedensnobelpreis dient ganz im Sinne des Namensgebers und Profiteurs von Knall und Rauch auch als Handwaschbecken der Unschuld.
Insbesondere der Literaturnobelpreis entfacht immer hitzige Diskussionen, weil jeder des Lesens Mächtige würdigere Kandidaten zu nennen weiß, nachdem er den Preisträger im Internet gesucht hat. Die Ernennung eines Bundestrainers verläuft ähnlich, nur dass mehr Menschen etwas von Fußball verstehen als von Literatur.
Radikal, unerwartet und grundsätzlich zweifelhaft sei die diesjährige Entscheidung für Bob Dylan. Er sei kein Literat, schmettern die, die Literatur aus dicken Wälzern kennen. Und jene, die Gedichte nach Reimschemata sortieren: auch kein Poet. Konträr zur krächzenden Wirklichkeit können sich aber fast alle darauf einigen, Dylan als Sänger zu betrachten. Sind das die postfaktischen Zeiten, von denen man neuerdings öfter hört?
Allenthalben scheint ein verklärendes Literaturverständnis durch, das trotz aller Empathie für die enttäuschten, weil übergangenen Romanciers obsolet ist. Während hoffentlich irgendwo ein junger Schriftsteller über dem großen Jahrhundertroman brütet, der die komplexen Fragen unserer Zeit aufwirft, hat das Nobelpreiskomitee vielleicht dem sich abzeichnenden Paradigmenwechsel Rechnung getragen, indem es erstmals einen Lyriker erkürte, den zu verstehen man nicht einmal lesen können muss.
Natürlich, Mann und Hemingway begegnet man schwerlich auf Augenhöhe, trotzdem ist es nicht Aufgabe der Akademie, den besten Schriftsteller zu ehren. Auch Esoteriker wie Hermann Hesse oder Moralapostel wie Heinrich Böll zählen zu den Auserwählten. Warum sollte Dylan da nicht irgendwo dazwischenpassen? Den Song amerikanischer Prägung zu berücksichtigen, ist weder modern noch radikal, sondern längst überfällig. Mit der schwarzen Bluessängerin Bessie Smith 1929 oder Hank Williams im Jahr 1951 hätte man Mut und seherische Fähigkeiten beweisen können.
Stattdessen muss nun also Bob Dylan dran glauben. Zu Recht, weil er Zeilen verfasste, die sich wie Ohrwürmer ins kollektive Gedächtnis gegraben haben, und die Stimme einer Gegenkultur verkörperte, die er nichtsdestotrotz selbst mehr als einmal vor den Kopf gestoßen hat. Nur weil Rockmusik so geschichtsvergessen ist, konnte man lange unbeachtet lassen, dass Dylan sich nicht nur als Umstürzler versteht, sondern auch ein großes Erbe fortführt und erkundet. Ausdrücklich auch für diese Feldforschung am Great American Songbook bekommt er am 10. Dezember 2016 den Nobelpreis für Literatur. Bob Dylan gehört – nach derzeitigem Kenntnisstand – zum Kanon der Hochkultur, die ihm und seinesgleichen jahrzehntelang nichts als Geringschätzung entgegenbrachte. Dies wiederum hat er nicht verdient!