Audiotechnique Hongkong High-End Audio Visual Show 2017
Hongkong, was für eine Show!
Hongkong liegt knapp zwölf Flugstunden von Deutschland entfernt und ist definitiv eine Reise wert. Die chinesische Sonderverwaltungszone war gut 150 Jahre lang Britische Kronkolonie und wurde 1997 an China zurückgegeben. Noch heute erinnert vieles in Hongkong an die Zeit des britischen Einflusses: Es gibt wahrlich un-chinesisch klingende Stadtteile wie beispielsweise „Aberdeen“, gefahren wird auf der linken Straßenseite und noch immer sind Münzen mit dem Portrait von Queen Elizabeth im Umlauf. Die boomende, keineswegs großflächige Stadt mit gut sieben Millionen Einwohnern besitzt eine Dichte an Wolkenkratzern, die weltweit kaum zu schlagen sein dürfte. Und der Begriff „Wohnsilo“ hat vermutlich in Hongkong seine wahre Bedeutung erfahren.
In diesem Schmelztiegel der Kulturen auf engstem Raum wirkt alles ein klein wenig chaotisch. Trotzdem funktioniert die Stadt völlig reibungslos: Busse und U-Bahnen fahren pünktlich und nach der „Star Ferry“, welche Hong Kong Island und Kowloon auf dem Wasserweg verbindet, kann man getrost seine Uhr stellen.
Vor 36 Jahren gründeten Herr Chan Ho Choi das HiFi-Magazin Audiotechnique in Hongkong. Verstärkung bei der Gründung des Magazins bekam Herr Chan Ho Choi von Frau Rebecca Chin und Annie Poon. Beide Damen sind noch heute mit von der Partie als General Manager und Executive Editor. Audiotechnique konnte sich rasch etablieren und entwickelte sich zu einer der wichtigsten Publikationen im asiatischen Raum. 2003 entschloss man sich, eine eigene Audio-Show auf die Beine zu stellen: Die “Hong Kong High-End Audio Visual Show” war geboren. Und mit dem Hong Kong Convention Center war auch gleich eine perfekte Location gefunden, in die man über die Jahre hinweg Stück für Stück hineinwachsen konnte – und auch zukünftig weiter hineinwachsen kann.
Heute ist die Audiotechnique AV-Show Hong Kong eine der größten Publikumsmessen weltweit: Auf das Thema hochwertiges HiFi konzentrieren sich rund 30000 zahlende Besucher in nur drei Tagen, und die Messe wächst stetig mit gut 5% pro Jahr. Die Begeisterung in Hongkong geht mittlerweile so weit, dass sich die ersten Besucher bereits früh am Morgen anstellen, obwohl die Messe offiziell erst um 10:00 Uhr öffnet. In diesem Jahr war schon um 7:30 Uhr der komplette Eingangsbereich derart überfüllt, dass die Veranstalter kurzfristig eine angrenzende Halle hinzu mieten mussten, um den Besucherandrang „abzufedern“. Der Eingangsbereich sieht dann weniger nach HiFi-Messe, eher wie die Immigration am JFK Airport in New York aus. Und der Strom von Besuchern reißt bis in den frühen Nachmittag nicht ab.
Um 9:30 Uhr war es dann soweit. Die feierliche Eröffnungszeremonie zum 15-jährigen Jubiläum der Show begann – stilecht mit einem großen Orchester der Polizei von Hongkong, Drums & Pipes schottischen Ursprungs inklusive. Nach einer kurzen Eröffnungsrede des Veranstalters durch Frau Rebecca Chin (General Manager) und Herrn Lincoln Cheng (Chief Executive Editor), ging es dann für die Aussteller (und für FIDELITY!) auf die Bühne, wo symbolisch ein Gong geschlagen und die Show mit einem großen Konfettiregen eröffnet wurde. Sodann öffneten sich die Schleusen und nahezu unfassbare Menschenmengen strömten auf die Veranstaltung, um ihrem Hobby nachzugehen.
Die noch immer spürbar „westliche“ Prägung Hongkongs ist auch am Portfolio der Show abzulesen. Hauptsächlich findet man westliche Marken, zuvorderst aus den USA, aber auch britische, italienische und deutsche Komponenten stehen hoch im Kurs, versprechen sie doch ein gewisses Prestige. Alles von Rang und Namen ist vertreten. Regionale asiatische Marken sind in der Minderheit, nur beim Zubehör dreht sich das Bild: Zubehör genießt in Hongkong einen sehr hohen Stellenwert und ist hier ein wichtiger Teil der Show, also auch der HiFi-Kultur. Unzählige Hersteller von Kabeln und Steckern sind vor Ort, aber auch von ergänzendem Equipment, dessen Sinn und Wirkungsweise sich auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht erschließen will. Hinzu kommt neben Holzracks und hölzernem Zubehör einfach alles, was sich auch im stark erweiterten Sinn noch unter audiophilen HIlfsmitteln einsortieren lässt. Und all das kann man auf der Show auch sofort kaufen und mitnehmen. Was übrigens nicht nur für das Zubehör gilt, sondern für das komplette ausgestellte Equipment auf der Show. Und die Umsätze sind gut: Allein der Bereich Tonträger erzielte in diesem Jahr einen Umsatz von umgerechnet knapp vier Millionen Euro – in nur drei Tagen. Die Deutsche Elektronenröhren Manufaktur mit ihrer Marke ELROG war sogar schon vor Show-Ende ausverkauft.
Im Raum von Forthwise Audio trafen wir Herrn Tetsuaki Aoyagi, den Chef von DS Audio, der Firma aus Japan also, die seit ein paar Jahren mit ihren optischen Tonabnehmern für Furore sorgt. Auf unsere Frage, was denn bei der Entwicklung dieses neuartigen Tonabnehmerprinzips besonders schwierig gewesen sein, gab er eine überraschende Antwort. Es sei keineswegs besonders schwer gewesen, das Funktionsprinzip der optischen Wandlung in den Griff zu bekommen, sondern vielmehr die gewünschte Serienkonstanz garantieren zu können. Das allein hätte zwei Jahre in Anspruch genommen, so Herr Aoyagi, der interessanterweise nicht mit Vinyl groß geworden ist. Gerade einmal 31 Jahre alt, gehört der DS-Audio-Chef eher zur Generation Internet und Streaming. Den Auslöser für das Projekt DS Audio gab übrigens eine gemeinsame Vinyl-Hörsession mit einem guten Freund. Da war Herr Aoyagi gerade einmal 25 Jahre alt. Dreh- und Angelpunkt war ein optischer Tonabnehmer von Toshiba aus den 1970er Jahren mit all seinen Schwächen. Und Herr Aoyagi wusste: Das kann ich besser – DS Audio war geboren.
Hongkong ist hungrig nach HiFi – und die Hersteller überbieten sich auf der Messe regelmäßig mit Traumsystemen, die oft weit jenseits dessen angesiedelt sind, was man in Europa zu sehen bekommt. Da stellt beispielsweise eine Gryphon Kodo nur den Anfang dar, um mit einer YG Acoustics Sonja XV – im Verbund mit zwei Subwoofer-Türmen von YG – oder einer Avalon Tesseract (unter Insidern auch „KKK“ genannt), oder auch einer Rockport Technologies Lyra weiter aufzusteigen.
Den Vogel aber schoss in diesem Jahr sicherlich Cessaro aus Deutschland ab. Auf Wunsch des Importeurs hatte die Manufaktur einen speziellen Lautsprecher extra für die Show gebaut: die Cessaro Theater II, die eigens für das „Theater II“ im Hong Kong Convention Center entworfen wurde. Der Lautsprecher ist ein historisch wirkendes Vier-Wege-Monster mit doppelter 18-Zoll-Bestückung im Reflexgehäuse für echte Bässe, mit doppelten und horngeladenen 15-Zöllern für Oberbässe und Mitten sowie je einem großen BMS- und TAD-Treiber an Cessaro-typischen Kugelwellenhörnern für die Mitten und Höhen. Das reinrassige Aktivsystem wird angetrieben von einem Verstärkerrack von db Technologies in Verbindung mit einem Audio-Management-System von Audio Core namens XTA DP448. Als Frontend kam ein JMF Audio Transport, ein komplettes Rack aus Trinity Golden Reference sowie ein Laufwerk von Vertere Acoustics zum Einsatz. – Wie war’s? Große Klasse natürlich, keine Frage. Zum Auftakt der Anlagendemonstration gab es Queens Stadionhymne „We Will Rock You“ mit Livepegel für hunderte Zuhörer – das versprühte durchaus Livekonzert-Feeling. Herr Cheng führte sodann eine ganze Stunde lang durch ein breit gefächertes Musikprogramm, um die Highlights der Anlage ausführlich zu demonstrieren – und wurde abschließend mit tosendem Beifall vom Publikum belohnt. Noch während der Messe soll es nicht weniger als sechs ernsthafte Bewerber zum Kauf dieses – im wahren Sinne des Wortes – einzigartigen Hornsystems gegeben haben. Spekulationen über den Kaufpreis waren meist um einen mittleren sechsstelligen Euro-Betrag angesiedelt, so dass wir sicher sind, dass dieses System auf der Messe auch tatsächlich verkauft wurde.
Von einem ganz anderen Superlativ des audiophilen Individualismus konnte uns Flemming Rasmussen berichten. Der Chef von Gryphon Audio hatte extra für die Messe in Hongkong eine Musik-CD zusammengestellt und 2000 Exemplare davon mitgebracht. Nach der Ankündigung, dass Flemming Rasmussen himself auf der Messe sein würde, um die CDs auch persönlich zu signieren, waren die 2000 CDs innerhalb von anderthalb Tagen ausverkauft.
Die Begeisterung für das Thema HiFi & Musik ist auf der Messe in Hongkong an wirklich allen Ecken, in jedem Winkel zu spüren. Und es ist hier ein „junges“ Thema, überall sind junge Leute, Männer wie Frauen, auch Paare zu sehen. Zudem ist die Grundstimmung der Veranstaltung extrem positiv, die Besucher sind spürbar neugierig und dem Thema gegenüber aufgeschlossen. Nörgler und Besserwisser scheinen in Hongkong lieber zu Hause zu bleiben.
Neben den vielen Nonplusultra-Anlagen gibt es natürlich auch eine Menge „normales“ HiFi zu sehen und zu hören. Hierzu sind hauptsächlich die Vorführkabinen in der Halle im 3. Stock reserviert. Die Kabinen wirken auf den ersten Blick etwas rudimentär, verfügen aber aufgrund des verwendeten „weichen“ Materials der Wände über eine durchweg ausgewogene Akustik. Kleinere Setups könnten hier besonders gut vorgeführt werden – wäre da nicht dieser immense Grundgeräuschpegel. Nun ja, viele Menschen machen viele Geräusche und dann gesellt sich auch noch das typische Brummen der Klimaanlagen hinzu. Aber so komisch es klingen mag: Selbst daran gewöhnt man sich irgendwann …
Der Preis für die bizarrste Vorführung 2017 geht übrigens an … hoppla, nein, den Namen verschweigen wir hier lieber. Es geht hier auch weniger um das Setup, als vielmehr um das Musikprogramm. Denn in Hongkong auf einer High-End Audio Show eine Tonbandaufnahme vom Medium-Terzett aus den 1960ern mit dem Klassiker „Ein Loch ist im Eimer“ zu hören, das hat schon etwas sehr Surreales. Mit „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ wäre aber noch eine Steigerung möglich gewesen … Ansonsten bewegten sich so gut wie alle Vorführungen auf hohem oder sehr hohem Niveau; echte Ausreißer sind uns nicht aufgefallen.
Bei McIntosh gab es eine „kleine“ Überraschung in Form des MHA 50 zu entdecken: Der portable Kopfhörerverstärker mit einer Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten soll 2018 auf den Markt kommen.
Auch für Burmester hat die Audiotechnique einen großen Stellenwert. So wurde in Hongkong der nagelneue Plattenspieler No. 175 erstmalig im Ausland vorgestellt. Doch mindestens ebenso großes Aufsehen erregte Burmesters Komplettsystem Phase 3, das immer wieder für Menschentrauben und anerkennende Gesichter sorgte.
Zu unserer Überraschung trafen wir in Hongkong auch Jan Sieveking, CEO von Sieveking Sound. Er war extra aus Bremen angereist, um die Veröffentlichung der neuen Platte des Anne Bisson Trios Four Seasons In Jazz – Live At Bernie’s zu begleiten. Gary Koh von Genesis Loudspeakers und Abey Fonn von Impex Records hatten die neueste LP von Anne Bisson als Direct-to-Disc-Schnitt im Studio von Bernie Grundman einspielen lassen. Bei RTI in Camarillo, Kalifornien, wurden 3000 handnummerierte Exemplare auf neuem Vinylgranulat gepresst, das besonders gut feindynamische Abstufungen darstellen kann. Die extrafeine Doppel-LP (45Upm) kommt über Sieveking Sound natürlich auch nach Deutschland und wird €119 kosten, später wird auch eine Hybrid-SACD folgen. Wir haben diese Platte in Hongkong auf diversen Systemen hören können und sind der Meinung, wohl kaum jemals einen besser, weil überzeugend echt klingenden Flügel auf LP gehört zu haben.
Nochmals zurück zum Thema Zubehör: Ein ganz großer Trend in Hongkong sind die sogenannten „Ground Boxes“, von diesen „Erdungsboxen“ gab es unzählige zu sehen. Laut Aussage von Lincoln Cheng, dem Herausgeber von Audiotechnique, sind Ground Boxes in Hongkong so beliebt, weil das öffentliche Stromnetz keine gute Erdung bietet. Und in der Tat war bei der Demonstration des privaten Systems von Herrn Cheng, das ausschließlich auf Audio Note basiert, der Unterschied sehr deutlich hörbar. Sollte sich auch FIDELITY mit „Ground Boxes“ eingehender beschäftigen? Ihre Meinung ist gefragt.
Was war denn eigentlich „Best of Show“? Nun, ohne uns herausreden zu wollen, ist es (auch) bei einer Show wie in Hongkong nahezu unmöglich, zu einem fairen Urteil zu kommen. Dafür sind die Umstände einfach zu schwierig. Der allgemeine Störgeräuschpegel beispielsweise ist nicht bei allen Setups gleich (hoch), bei etlichen Systemen konnten wir uns nicht weit genug durch die Menschenmengen wühlen, um zumindest in die Nähe des Sweetspots zu kommen. Ja, es gab sogar Räume, in die wir es tatsächlich nicht einmal ganz hinein geschafft haben …
Dennoch konnten wir in all dem Trubel auch ein paar Favoriten festmachen. Bei den kompakten Lautsprechern hat uns das Setup von Kaiser (Kawero Chiara) mit Kondo-Elektronik und SME-Laufwerk sehr gut gefallen. Auch Crystal Cable mit seiner Minissimo an hauseigener Elektronik hat uns – nicht zum ersten Mal – positiv überrascht. Darf der Lautsprecher eine Nummer größer ausfallen, so ist der gemeinsam genutzte Raum von Einstein Audio und Audio Note zu nennen. Einstein war mit einer kompletten Kette – The Preamp, The Silver Bullet und dem Lautsprecher The Pure – angereist, die wunderbar musikalisch klang, mit genau dem richtigen Kick im Bass. Audio Notes komplette Kette spielte ähnlich musikalisch wie Einstein auf, war jedoch tonal eher auf der schlanken Seite zu verorten. Bowers&Wilkins wirkte mit der aktuellen 800 D3 an einem großen Luxman-Frontend sicher nicht allzu exotisch, bot aber eine fantastische Klangqualität, an der die meisten Mitbewerber schlicht scheiterten, nämlich wie aus einem Guss.
Bei den im Wortsinn „ausgewachsenen“ Lautsprechern fielen uns drei Setups besonders positiv auf: 1.) die ELAC Concentro an großer AVM-Elektronik, 2.) die Wilson Audio Alexia an einem Frontend von Swiss Precision und 3.) die Rockport Lyra, befeuert von VTL-Röhren. Alle drei Systeme sind traumhaft, gar keine Frage, besitzen aber dennoch einen eigenen Charakter. Während das Rockport-Setup mit einzigartiger Leichtigkeit, Durchhörbarkeit und Holografie glänzte, sorgte das Wilson-Audio-Ensemble für Staunen, wie pegelfest ein noch immer moderat großer Lautsprecher sein kann – und wie nah an einem Live-Erlebnis. Die rein deutsche Anlage lag genau dazwischen und konnte das Beste dieser beiden Klangwelten anbieten.
Bei Lautsprechern im Triple-XL-Format und den entsprechenden Zuspielern erübrigt sich praktisch jede ernsthafte Kritik. Hier gilt es einfach „nur“, sofern man es sich denn leisten kann, seine eigenen Vorlieben zu pflegen und das persönlich „richtige“ Setup zu finden. Technisch und akustisch sind die Systeme aus den allerhöchsten Sphären üblicherweise über jeden Zweifel erhaben.
Die Audiotechnique AV-Show Hongkong ist bereits jetzt mit 30000 Besuchern eine der größten und erfolgreichsten Publikumsmessen für hochwertiges HiFi weltweit. Und sie wächst weiter. Das Hong Kong Convention Center bietet dafür den perfekten Rahmen und mehr als genügend Kapazität, um mit dem Wachstum der Messe auch in Zukunft mitzuhalten. Hinzu kommt ein vom Veranstalter glücklich gewähltes und geschickt realisiertes Rahmenprogramm, das mit all seinen Stars und Sternchen schon für sich allein genommen ein echter Publikumsmagnet ist. 80 HK$ (umgerechnet knapp 9 EUR) für den Eintritt ist angemessen, zumal darin bereits der Ausstellungskatalog und eine für die Show extra angefertigte Reference-CD enthalten sind. Als Besucher fühlt man sich immer und überall auf der Hongkong High-End Audio Visual Show in den Mittelpunkt gestellt und allerbestens unterhalten. What a show!
Schlendern Sie mit uns virtuell über diese weltweit einzigartige Publikumsmesse: Genießen Sie die mehr als 600 Bilder, die wir für Sie von der Hongkong High-End Audio Visual Show mitgebracht haben.