Soul singt Country. Country singt Soul.
Für seinen Arbeitgeber Ace Records kompilierte er zunächst drei CDs mit soulig interpretierten Countrysongs. Als eine vierte CD zusammengestellt werden sollte, ging Tony Rounce in umgekehrter stilistischer Richtung vor.
Seit den 1950ern befriedigen überall in den USA kleine Radiostationen die jeweiligen kulturellen Bedürfnisse ihrer Hörer. „Wegen der Rassentrennung spielten die Radio-Deejays im Süden der USA nur selten Blues oder Jazz“, fand Tony Rounce bei den Recherchen für eine Oldie-CD heraus. „Die meisten Soul-Sänger der 1960er hatten als Kinder im Radio vor allem Countrymusik gehört.“
2012 erschien das von Tony Rounce kompilierte Album Behind Closed Doors – Where Country Meets Soul. Die CD beginnt mit „Grand Tour“ von Aaron Neville. Der Schmuse-Soulist aus New Orleans hatte diesen Song 1993 dermaßen schnulzig interpretiert, dass seine Version sogar den Deejays der Country-Radiostationen gefiel. Geschrieben hatte ihn der Nashville-Star George Jones, dem Frank Sinatra einmal attestierte, er sei der zweitbeste Sänger in den USA (Frankieboy hat niemals offenbart, wer der beste war).
Nach diesem sanft unter der Haut vibrierenden Erdbeben kommt schon die erste Steigerung: Der als „King of Rock ’n’ Soul“ gefeierte Solomon Burke zeigt dem immer gentlemanlike-braven Jim Reeves, wie dessen Hit „He’ll Have To Go“ eigentlich hätte klingen müssen.
Beim zehnten Track weiß der CD-Hörer endgültig nicht mehr, was Weiß oder Schwarz, was weltliche oder spirituelle Musik ist. Der Gospelprediger Al Green („Ich mag es nicht, wenn die Leute in meine Kirche kommen, nur weil sie meine Platten mögen“) aus Memphis, Tennessee, sang 1973 „I’m So Lonesome I Could Cry“. Hank Williams hatte damit 1949 den weißen Rock-’n’-Roll-Rebellen und deren afro-amerikanischen Rhythm-’n’-Blues-Kollegen eine mögliche Ausdrucksform gezeigt.
Danach, bei „Life Turned Her That Way“ von James Carr, köchelt die Hammondorgel schon ein bisschen brodelnder. Der E-Bass drängt von Track zu Track druckvoller vorwärts, beim fünfzehnten Song der CD – „Your Good Girl’s Gonna Go Bad“ von Cookie Jackson – klingt er sogar funky, Tamla Motown kündigt sich als kommender Marktführer an. Und wenn Arthur Alexander sich anschließend in „Detroit City“ nach „those cottonfields and home“ sehnt, klingt das glaubwürdiger als die kommerziell erfolgreichere Version des Country-Sängers Bobby Bare.
Für alle CD-Hörer, die das jeweilige Country-Original mit der hier gehörten Soul-Fassung vergleichen wollen, hat Tony Rounce die erste Plattenveröffentlichung von jedem einzelnen Song im Booklet aufgelistet. „Aber ich präsentiere die Tracks nicht in einer streng chronologischen Reihenfolge auf der CD“, betont der Compilator. „Die Aufnahmedaten der einzelnen Songs waren für mich keine Vorgabe.“
Stattdessen folgt seine Zusammenstellung einer stilistischen Logik. Roger Armstrong, Geschäftsführer von Ace Records, bestätigt: „Diese Compilation ist eine typische Ace-CD. Sie ist gut durchhörbar und bestens geeignet für eine Tanzparty.“ Der Erfolg von Behind Closed Doors bestärkte Armstrong darin, seinen Mitarbeiter weiter in dieser Richtung recherchieren zu lassen.
2013 veröffentlichte Ace Records das Nachfolge-Album Sweet Dreams – Where Country meets Soul Vol. 2. Hier verschwimmen Wurzeln und Wirkungsgeschichte, Stilelemente und gegenseitige Einflüsse von Soul- und Countrymusik endgültig. „Help Me Make It Through The Night“ und „Sunday Morning Coming Down“ klingen, als wären sie von dem Outlaw-Barden Kris Kristofferson nicht für weiße Country-Kollegen, sondern für kräftigere Soul-Stimmen geschrieben worden.
Otis Redding hat auf Volume Two seinen großen Auftritt mit dem „Tennessee Waltz“, das eröffnende Damen-Trio Sweet Inspirations ging dagegen 1969 unauffälliger mit weißem Repertoire um. Die drei Elvis-Begleiterinnen orientierten sich mit „But You Know I Love You“ in Richtung Las Vegas, weg vom schwarzen Memphis. Als Finale der CD erschließt „Forever’s A Long, Long Time“ mit sophisticated-jazzigem Philly-Sound die aufblühende Disco-Szene als neues Betätigungsfeld für schwarze Soul-Künstler.
2014 gab Tony Rounce seinem dritten interkulturellen Projekt – einer Hommage an den Hillbillie-Shakespeare Hank Williams – den Titel Cold Cold Heart: Where Country Meets Soul Vol. 3. Johnny Adams lieferte mit verdammt heißem Herzen 1963 nur scheinbar eine Fehlinterpretation des Titelsongs, vielmehr bewahrte der Falsett-Soulsänger den 1951er Hit mit seiner Version vor dem Vergessen.
Insgesamt dokumentiert Volume Three eine perfekt gelungene Genmanipulation – eine stilistische Zuordnung zu den Geburtsorten Memphis, Nashville, Detroit oder anderen Musikproduktionsstätten ist nicht mehr möglich; dabei stammen die Originale einiger Songs aus den 1930ern. Auf jeden Fall empfiehlt sich diese CD aber Liebhabern von Jazz- und Bluesgitarren.
2015 drehte Tony Rounce den Spieß um: Bei der Zusammenstellung des Ace-Album Out Of Left Field – Where Soul Meets Country ging es ihm darum, zu zeigen, welchen Einfluss die Soul-Barden auf ihre weißen Country-Kollegen ausgeübt hatten.
Die schlechte Nachricht zuerst: „Dock Of The Bay“, mit dem Otis Redding 1968 posthum seinen größten Verkaufserfolg erzielte, wurde 1982 von den beiden Country-Haudegen Waylon Jennings und Willie Nelson gecovert. Bei dieser Einspielung ist herauszuhören, dass die zwei Western-Legenden sich dem Song mit viel zu großer Hochachtung gegenüber dem Original-Interpreten annäherten und wohl möglichst unaufgeregt wirken wollten. Außerdem klingt die Aufnahme wie perfekt weichgespült für den Einsatz bei jedem beliebigen Countrymusik-Autoradiosender.
Mit den 23 übrigen Ergebnissen seiner Sichtung von Soul-Repertoire in Cowboystiefeln zeigt Tony Rounce, wie Johnny Cash und andere weiße Nashville-Stars das Repertoire des schwarzen Memphis-Soul für ihre Country-Klientel aufbereitet hatten. Und er entdeckte ein Muster, das sich auf allen vier Compilations bestätigt: „Das Saxofon wurde bei den souligen Produktionen als Wortführer eingesetzt. Im Country-Bereich dominierte die Steelguitar.“
Außerdem fand Tony Rounce bei seinen Recherchen heraus, dass sowohl weiße als auch farbige Studiomusiker in den Tennessee-Musikmetropolen Memphis und Nashville bei Plattenaufnahmen mitgewirkt hatten. Label-Chef Roger Armstrong sieht sich davon in seiner Meinung bestätigt: „Countrymusik ist weiße Soulmusik.“