Prof. P.’s Rhythm and Funk Revue: Rebirth Brass Band, Soul Rebels, Hypnotic Brass Ensemble, Kermit Ruffins und Raphael Gualazzi
Seht Ihr das Licht? Da hinten? Dann nichts wie los! Wir wollen hören, hopsen, hyperventilieren!
Verehrte Eliten des feinen Gehörs, Freunde der Tanzmusik, Apostel des Soul und Funk-Freigeister, Ihr nie vergessenen Groove-Elefanten, die Ihr Euch erinnert an die fantastischen Verkündungen des Professors, die vor zwei Monaten in just diesem feinen Old-School-Machwerk der High-End-Magie erstmals Schwarz auf Weiß in Euren Schoß fielen. Und herzlich willkommen auch all jene, die heute zum ersten Mal des Professors offene Rhythm-and-Funk-Sprechstunde aufsuchen. Ihr alle fühlt Euch leer und matt? Unverstanden vom in den Gezeiten des Massengeschmacks rundgeschliffenen Feuilleton, in dem man Euch weismachen will, dass Michael Jackson noch immer Platten aufnimmt? Vertraut dem Professor, denn er führt Euch in das Licht des Deltas, lässt Euch die Heilkräfte des tiefsten Südens der Vereinsamten Staaten von Amerika fühlen. Seid unverzagt! Wir kehren gemeinsam zurück an die Mündung des Mississippi, in die Stadt, die jedem das Herz auf links krempelt, nach Downtown Katrina, nach N’Awlins, nach New Orleans.
Hier, wo der Professor bereits beim letzten Mal trunken und toll vom Voodoo-Rhythmus vielerlei Groove-Giganten seine Langzeittherapie mit Euch ins Leben rief, liebe Privatpatientenschaft, hier im Land der Posaunen und Trompeten von Jambalaya-Jericho, der Tubas und Tanz-Troubadoure, hier hat just im Mai eine jener Bands ein neues Werk vollbracht, die wir Godfathers der guten Laune nennen wollen, Paten der good vibrations. Ich spreche von der Rebirth Brass Band, Freunde, vom Kollektiv des Schweißes, der Verbundenheit, des unbarmherzigen Frontalunterrichts in guter Laune. Selten war ein Titel programmatischer: Move Your Body lässt den Hörer vom ersten bis zum letztem Ton jedwede Contenance verlieren, treibt ihn in gar hypnotische Verzückung und Verrückung. Das vorliegende rezeptfreie Produkt ist zwar eine Studioaufnahme, doch das heißt bei der Rebirth Brass Band nicht viel. Sobald Bandgründer Philip Frazier in die Tuba bläst und gemeinsam mit seinem Bruder Keith Frazier an der Bass-Drum den Beat vorgibt, kennt der Rest des wilden Dutzends kein Halten mehr, sei es im Studio, auf der Bühne, auf der Straße. Jazz, Funk, HipHop – auch Genre-Grenzen gibt es nicht, hat es nie gegeben. Das Ganze fühlt sich an, als habe der Prof. Euch Mobilat aufs Trommelfell geschmiert, so brennend heiß geht’s vom Lauschlappen direkt in den Hirnscheitellappen, der, hört ein wenig Belehrung aus kundigem Munde, in unser aller Oberstübchen wichtig und entscheidend ist fürs Tanzen.
Nur mit Blas- und Schlaginstrumenten ausgerüstet, lässt die Rebirth Brass Band Vulkane explodieren, legt Sümpfe trocken, erfindet das Universum neu. Liebe Freunde, hört ein Stück wie „Make You Dance“, Ihr wollt nie wieder still sitzen, das garantiere ich, Trompeten kreischen über tobenden Drums und der pumpenden Tuba, dazwischen schlängelt sich der Soul von Gastsängerin Erica Falls wie eine Kobra im Fiebertraum von Louis Armstrong – wer hier kein Kammerflimmern bekommt, der hat kein Herz. Und es geht Schlag auf Schlag: In „Take ‘Em To The Moon“ liefern sich Saxophon, Posaune und Trompeten eine wilde Bläser-Battle, „Rebirth Groove“ und „Who’s Rockin’, Who’s Rollin’?“ bewegen sich in ihren gnadenlosen Gewittervertonungen fast in alten Trouble-Funk-Go-Go-Mustern, unterbrochen nur von Shouts und Shants jener Musiker, die ihr Instrument gerade nicht am Mund haben. Seit gut 30 Jahren gehört die Rebirth Brass Band zu New Orleans wie Mississippi, Moskitos, schwarze Magie. Der Professor selbst hat einst, als junger Lehrling des Lebens und Exilant an den Ufern des Ol’ Man Rivers, die Rebirth mehrfach in ihrem Wohnzimmer erleben dürfen: Jeden Dienstag, seit drei Dekaden und bis heute, bringt das aus den Ghettos des Big Easy entwachsene Groove-Ensemble die Maple Leaf Bar zum Kochen, weitab vom Touristen-Ballyhoo des French Quarters. Und der Professor ruft Euch zu: Greift wahlweise zur brillant abgemischten CD oder zur 150-Gramm-Deluxe-Vinyl-Pressung von Move Your Body – Euer Leben ist hernach nicht mehr dasselbe.
Wir bleiben im Brass-Band-Modus: Ebenfalls aus New Orleans stammen die Soul Rebels, deren jüngstes Power = Power Mixtape-Werk bislang allerdings nur als kostenloser Download auf der Band-Homepage (www.soulrebels.com) zu haben ist. Doch der virtuelle Schabernack lohnt, um einen ersten Eindruck von der Kunst dieses sehnsüchtig machenden Bläser-und-Schlagwerk-Oktetts zu erlangen. Hier wird gecovert, was Tuba & Co. hergeben, „Treasure” von Bruno Mars, Daft Punks „Get Lucky”, „Show Me What You Got” von Jay-Z. Und, es grenzt an ein Wunder, selbst das in heavy rotation rund um den Globus totgedrehte „Get Lucky“ wird dank Blechbläser-Kur zum charmant-zappeligen Zombiesong, dem selbst Euer liebster Medizinmann, the P. who’s me, durchaus gerne zuhören mag. Die Soul Rebels werden derzeit von allen quer durch die Rabatten gebucht, die sich das gewisse Etwas mehr an Dreck und Leben auf der Bühne wünschen, etwa von Metallica, Susanne Vega, George Clinton, Alabama Shakes oder Snoop Dogg. Das Musikblatt Village Voice bezeichnet die Band als „missing link“ zwischen Public Enemy und Louis Armstrong – ein schöner Vergleich, dem ich nicht viel hinzufügen will. Nur dies: Empfehlenswerter Einstieg in das umfangreiche Œuvre der bereits 1991 gegründeten Band ist die aktuelle CD Unlock Your Mind, auf der sich neben vielen Eigenkompositionen eine unglaublich mitreißende Jazz-Version der Eurythmics-Kamelle „Sweet Dreams (Are Made Of This)“ findet.
Und weil’s gerade so schön ist, noch mehr analoges Brass-Band-Bumm-Bumm. Dafür fassen wir uns jetzt alle an den Händen, damit keiner verloren geht, es ist ein weiter Weg, so, ist jeder dabei? – und schon beamen wir uns kollektiv nach Chicago. Hier, in der Southside, dem berüchtigten Land der Banden, respektive Gangs, gründete sich eine Band aus Brüdern. Acht an der Zahl, gelobt seien die fidelen Lenden des Familienoberhaupts Kelan Phil Cohran, einst Trompeter von Jazz-Avantgarde-Pate Sun Ra und Mitbegründer des Earth-Wind-and-Fire-Mutterschiffs The Pharaohs. Die Söhne aus dem Hause Cohran formten Ende der Neunziger das Hypnotic Brass Ensemble, ein Brass-Band-Familienprojekt mit gepflegteren Untertönen als sie bei der Rebirth Brass Band aus New Orleans praktiziert werden, aber trotzdem mit so viel Dampf und Drive im Blech, dass sich Kollegen wie Maceo Parker, Fela Kuti, Mos Def und die Gorillaz um die Dienste des Ensembles reißen. Bereits vergangenes Jahr haben die Gebrüder mit The Customs Prelude ihr aktuelles Werk präsentiert, doch weil dem Professor dräut, dass der Großteil seiner Praxisbesucher eventuell bis zum Lesen dieses kleines Beipackzettels davon noch nichts mitbekommen hatte, erkläre ich den heutigen Tag – welcher das ist, dürft Ihr Euch selbst aussuchen – zum allgemeinen Tag des Hypnotic Brass Ensembles. Fragt Euren Arzt oder Apotheker, also mich oder mich, und ich sage Euch: Es lohnt sich. Hier verschmelzen Posaunen, Tuba, Trompeten und Euphonium zu einem einzigen harmonischen Klangkörper, der untermalt, umkreist und vorangetrieben von zundertrockenen Drums, Rap-Gesängen und manch kleinem Sample eine große Sogwirkung entfaltet. Bei „City Livin’“ groovt es wie in den tiefsten Siebzigern, bei „Navigator“ brummt ein Bassrapper, „Rebel Rousin“ ist perfekt abgemischter Soul-R’n’B.
Und noch zwei Platten der hypnotischen Bruderschaft muss ich Euch vorsetzen, auf dass Eure erwartungsfrohen Seelen im Nirwana der Glückseligkeit miteinander Ringelpietz tanzen: Bullet Proof Brass aus dem Jahr 2011, rauer als The Customs Prelude, und das bereits 2009 veröffentlichte Hypnotic Brass Ensemble, des Professors liebste Platte von den Chicagoer Jungs, die im Übrigen mittlerweile alle in New York leben. Ob im James-Bond-mäßigen „Gibbous“ oder beim für den Tribute von Panem-Soundtrack verwendeten „War“ – die Tuba treibt fast leichtfüßig-melodiös die im Chor singenden Posaunen und Trompeten vor sich her, während im Hintergrund Drums entspannt vor sich hin swingen. Besonders interessant: Bei einigen Stücken trommeln der britische Schlagzeuger Malcom Catto, Tour-Drummer von DJ Shadow, sowie der Afrobeat-Begründer und frühere Fela-Kuti-Percussionist Tony Allen. Und das spartanische Brass-Band-Drums-Line-up wurde beim fidel dahinwummernden „Ballicki Bone“ ergänzt um einen E-Bass, gespielt von Flea von den Red Hot Chili Peppers. Wer das hört, der kann verstehen, warum es dem Hypnotic Brass Ensemble vor ein paar Jahren gelang, die Oper von Sydney auszuverkaufen. Diesen Sommer will der Trupp auch in Deutschland touren – Termine standen bei Praxisschluss noch nicht fest.
So, und bevor der Professor Euch als vorübergehend geheilt entlässt, hier noch zwei Vorschläge zur weiteren Selbsttherapie: Kermit Ruffins We Partyin’ Traditional Style! sowie Raphael Gualazzis Happy Mistake. Für Nummer eins schlagen wir noch einmal schnell unsere roten Lackschuhe hinten zusammen und fliegen mit Wish Air retour an den Mississippi. Auf dem Rebirth-Hauslabel Basin Street Records hat Kermit Ruffins, einst Mitbegründer der Rebirth Brass Band, vor kurzem seine neueste Solo-Platte veröffentlicht. Auf We Partyin’ Traditional Style! feiert Ruffins das alte New Orleans, mischt Old-Time-Jazz mit Karnevals-Beats und Second-Line-Rhythmen auf so charmante Weise, dass einem Tränen der Freude in den Bart tropfen. In „Chinatown, My Chinatown“ perlt das Piano unter den Händen von Steve Pistorius, bei „Exactly Like You“ tanzen Banjo, Klarinette und Trompete einen flotten Dreier, und zum großen Finale entblättert sich das unvermeidliche „When The Saints Go Marching“ zu einer feucht-fröhlichen Karnevals-Hymne – Kermit Ruffins gönnt dem Gassenhauer der heutigen Touristenmeile Bourbon Street eine moderne Frischzellenkur mit pumpenden Beats und zappeligen Karnevals-Drums. Wie sagt man way down south: Laissez les bons temps rouler …
Das gilt insbesondere auch für eine Platte, die der Professor zunächst eher mit verhaltener Vorfreude ins CD-Laufwerk schubste: Raphael Gualazzis Happy Mistake. Warum? Der Mann ist Italiener, das hat im WM-Sommer immer einen Beiklang, zudem trat er 2011 für sein Land beim Eurovision Song Contest an. Da kriegt der Professor Schnappatmung. Doch die geht schnell über in professionelles Hyperventilieren, sobald die ersten Töne von Happy Mistake erklingen. Freunde, Freunde. Das hört sich alles an, als sei Italo-Altbarde Paolo Conte via realgeografischer Bewusstseinsspaltung als talentierter Jungpianist mit lebensweiser Stimme im Nachbarhaus von Kermit Ruffins erwacht und halte sich für den Aupair-Jungen von Professor Longhair. Mehr will Prof P. über Gualazzi gar nicht sagen. Hört es Euch an. Anspieltipps: „Senza Ritegno“, ein Opus zwischen Pop, Funk und ganz großer Oper. Und der Neo-Nashville-Gospel „Welcome To My Hell“, ein Duett mit den Puppini Sisters … Der Professor ist sprachlos.
Stay tuned! Next Rhythm and Funk Revue coming soon to a magazine near you.