Plattenspieler AVID Acutus SP – Hart wie Marmelade
„Everything is jelly at a certain frequency“, behauptet Conrad Mas gern salopp. Neu ist diese Erkenntnis nicht, aber selten findet sie so konsequent Beachtung wie bei AVID.
Die Plattenspieler von AVID, insbesondere der Acutus, der seit 1995 nahezu unverändert gebaut wird, sind das Herzstück von Conrad Mas’ Schaffen. Erst in diesem Jahr wurde der Phonospezialist mit beeindruckenden Lautsprechern und Leistungsverstärkern zum Vollsortimenter. Daneben fertigt seine Firma in der Nähe des englischen Huntingdon aber auch für echte Industrieunternehmen Spezialteile, bei denen es um höchste Präzision geht. Der typisch britische Humor kommt dabei nicht zu kurz: Das Akronym AVID steht für „A Very Interesting Design“.
Wie interessant das AVIDianische Design und Konzept nun tatsächlich ist, das will ich bereits seit dem dem letztjährigen Krefelder Analog Forum genauer herausfinden, wo ich mich intensiv auf die perfide Good-Better-Best-Vorführung mit einem Nagaoka MP-150 und sehr transparenten Audiovector-Lautsprechern eingelassen hatte. Höchst eindrucksvoll, wie schon das kleine grüne MI-System ein gewaltiges Qualitätsgefälle zwischen den Laufwerken aufdeckte.
Genau dasselbe Nagaoka ist auch beim Testgerät im SME Series IV bereits vorjustiert. Ein MI-System der mittleren Preisklasse an einem Dreher jenseits der 10 000 Euro mutet nicht gerade selbstbewusst an, ist aber in Wahrheit sympathisch kaltschnäuzig. Ich weiß, was der japanische Klassiker kann, und empfehle es selbst gern und häufig. Am DJ-Dreher macht es eine ebenso gute Figur wie an hochwertigen High-End-Laufwerken. Es spielt betont farbig und im Rahmen seiner Möglichkeiten außergewöhnlich differenziert.
Aufbau nach Bilderbuch
Eine Serie Fotografien in der Bedienungsanleitung führt Schritt für Schritt durch den Aufbau des Acutus SP, der nicht so kompliziert ist, wie es zunächst den Anschein hat. „SP“ steht übrigens für die einzige echte Neuerung seiner Geschichte, das DSP-Netzteil. Dass das Subchassis horizontal von drei O-Ringen, die oben in Erkern der Turmfüße hängen, zentriert wird, macht die Justage einfacher als bei klassischen federnden Laufwerken, wo die Stellung der Federn bisweilen eine entscheidende Rolle spielt. Das horizontal und vertikal getrennt gelagerte Subchassis des Acutus ist schon konstruktiv gutmütiger, weil letztlich nur das Gesamtgewicht des
Tonarmauslegers kompensiert werden muss, bis sich der erwünschte kolbenförmige Hub zeigt. Zumindest theoretisch – in der Praxis hatte ich den erheblichen Vorteil, dass ich es ganz offenkundig mit einem Vorführlaufwerk zu tun hatte, das bereits perfekt justiert war. Im späteren Verlauf habe ich für das AT-System ein wenig von oben im Turm neben dem Tonarm nachjustiert. Dass das DaVinci von Clearaudio ein halbes Gramm mehr wiegt als das Nagaoka, habe ich großzügig ignoriert – es funktionierte trotzdem fantastisch.
Die Basis mit drei regulierbaren Füßen besitzt eine Libelle zur Ausrichtung. Ich empfehle dennoch, schon im Vorfeld für einen perfekt ebenen Untergrund zu sorgen, denn wenn man den Regelbereich der Schraubfüße überstrapaziert, kann es nachher Probleme mit der Riemenführung über das Motorpulley geben. Der äußerst kräftige Synchronmotor findet in einer Ausbuchtung Platz und wird mit einem dicken Gummiring daran fixiert. Im von oben betrachtet pfeilförmigen Subchassis findet sich ebenfalls eine halbrunde Aussparung, die dessen Stellung vorgibt. Man lässt nur die Kolben des Subchassis in die Federtürme gleiten, wo sie der sehr leicht anzuregenden Konstruktion zum Trotz sicher Halt finden.
Resonanzen – ignorieren oder akzeptieren?
Um Resonanzen auf der neuralgischen Achse zwischen Tonarm und Tellerlager zu verhindern, weist das Subchassis einen ungewöhnlichen fachwerkartigen, dreidimensionalen Aufbau auf. Wenn Mikrovibrationen nicht zu verhindern sind, so Conrad Mas, muss man sie akzeptieren und mit ihnen arbeiten. Deshalb befinden sich zwischen den stabilen Dreiecksstreben flexiblere Flächen, die Energie schlucken. In der Mitte ragt die massive Achse des invertierten Tellerlagers konisch empor. Lateral wird der Teller nur über eine schmale Sinterbronzehülse geführt, oben liegt er mit einem Saphirspiegel auf einer kleinen Wolframkarbidkugel. Der poröse Spiegel nimmt die Kugel in einer Mulde auf, darüber hinaus soll der Lagerspalt so gering sein, dass die selbstschmierende untere Hülse fast wie ein Öldrucklager arbeitet, wie Conrad Mas erläutert. Taumelnde Teller oder asymmetrisch eingelaufene Lagerkugeln sollen bei AVID nicht vorkommen.
Glanz und Gloria
Bevor man den Teller endgültig überstülpt, sollte man an die Antriebsriemen denken. Zwei Rundriemen müssen um den Subteller gelegt und mittels eines zweinutigen Splints zum Tellerrand gespannt werden. Dann peilt man unter dem Teller das Pulley an, zieht den Splint aus seiner winzigen Bohrung und lässt die Riemen über die Motorachse flitschen. Vorsicht, dass der Splint nicht mitfliegt, einige Kratzer unterm Teller des Testgeräts könnten genau daher stammen. Die Telleroberfläche besteht eigentlich aus einer reflektierenden, transparenten Matte; ihre schwarze Farbe rührt vom durchscheinenden anodisierten Metall her. Diese spezielle Auflage soll Vibrationen der Abtastung – unüblich für massereiche Teller – gar nicht erst eindringen lassen, sondern unmittelbar über das Lager ableiten. Dass Vibrationen aus beiden Richtungen – also von Umwelteinflüssen einerseits und abtastbedingt andererseits – gleichermaßen der Kampf angesagt wird, macht meines Erachtens die Einzigartigkeit dieses Designs aus. Laut Conrad Mas spielt sogar die Verchromung bzw. Vergoldung des Tellers eine klangentscheidende Rolle, da sie die Resonanzfrequenz verringert und ihn vor HF-Einstrahlung schützt. Da kann man nichts machen, außer mit der makellos glänzenden Oberfläche leben zu lernen.
A Rockin’ Good Time
Wie Götterspeise wackelt der Acutus schon bei kleinster Anregung, bleibt aber vorbildlich pistonisch und unverzerrt. Erst bei beachtlichen Auslenkungen schwankt die Tonhöhe, zum Springen konnte ich ihn erstaunlicherweise auch durch kräftiges Wippen auf dem Parkett direkt daneben nicht bewegen. Muss man gesehen haben, um es zu glauben. Wer noch einen Dreher für seinen Katamaran sucht – ich garantiere für nichts! – der Acutus könnte es sein. Wie eingangs schon vermutet, präsentiert der Acutus seine Qualitäten, die in der Laufruhe und sehr transparenten Darstellung liegen, bereits mit dem günstigen Nagaoka-System. Dennoch machte er mit dem Einbau des DaVinci einen gewaltigen Satz nach vorne. Mit dem leider sehr teuren MC-Überflieger konnte es sich standesgemäß beweisen. Und wie! Während des Testzeitraums lief häufiger Johnny Cashs Legende um den übermenschlich starken Eisenbahnarbeiter John Henry und dessen Hammer von einer Embassy-Compilation namens Names And Places, deren Cover mit Informationen geizt. Eine ambitionierte Aufnahme aus den Siebzigern mit tiefer Räumlichkeit, die wie eine szenische Lesung wirkt: Von schwerem Keuchen begleitete metallische Hammerschläge eröffnen das Bild. Sie werden von den Tennessee Three dankbar aufgenommen, und im typischen Boom-Chicka-Boom nimmt die Eisenbahn von dampfendem Zischen stimmungsvoll begleitet Fahrt auf. Ein fieser und arroganter Vorarbeiter von rechts, warnende Rufe von links aus einem Pulk von Arbeitern, ein unheilvoller Chor aus dem Hintergrund, zwischen den Strophen „Regieanweisungen“ von Johnny Cash. Und ein großes Finale: „Yonder lies a steel driving man“, betrauern engelsgleiche Stimmen die Tragödie am ersten Tag seines Lebens, an dem John Henry nicht mit der Sonne aufstehen konnte. Da kann man schon mal einen Kloß im Hals verspüren, vor allem, wenn das uramerikanische Industrialisierungsdrama so authentisch dargestellt wird.
Im Vergleich zum MP-150 zieht das DaVinci die einzelnen Schallereignisse ganz gehörig auseinander, platziert sie dreidimensional wie in einer Kulisse. Die Zurufe der Arbeiter erhalten herausragende Dringlichkeit, die Provokation des Vorarbeiters entlarvt sich mit dem ersten verschlagenen Wort aus seiner Kehle. Wenn einen am Ende die Engel umgarnen, wird es möglicherweise melodramatisch, aber auch unmöglich, sich zu entziehen. Natürlich ist dieser Vergleich unfair für das japanische MI-System, aber es geht ja auch nicht um Tonabnehmer, sondern um den Plattenspieler. Mit dem Clearaudio-System zeigt der Acutus seine ganze Klasse. Der einfache, aber doch immer wieder verschleppte Rhythmus des Stahlrosses lässt einen förmlich über jede Gleisschwelle hüpfen, John Henrys Hammer hallt jetzt funkensprühend nach, man glaubt die Luft spüren zu können, die er beim Ausholen nachzieht, das Keuchen des amerikanischen Helden der Arbeit klingt nicht mehr gequält, sondern kraftvoll. Die ganze Szenerie gleicht zwar immer noch einem Kammerspiel, aber einem unter der heißen Sonne über der Prärie New Mexicos und mit Engeln zum Anfassen.
Der Acutus SP verfügt über erstaunliche Reinheit im Ton, er verschleppt keine Einsätze und zittert nicht nach, obwohl er statisch so fragil ist. Rhythmus und Timing sind ohne Abstriche auf Höhe der besten Subchassis-Laufwerke, aber er bietet auch ein stupendes Fundament mit feinsten farbigen Abstufungen, wie es nur analog geht und wie es meist eine Domäne von Masselaufwerken ist. Diesbezüglich sollte man sich nicht von vermeintlicher Zurückhaltung blenden lassen: Auch wenn Massedreher dieser Preisklasse sich mit mehr Donnerhall in Szene setzen, zeigt der Acutus fein- und grobdynamisch exakt, was Sache ist – ganz ohne Nachhall. Mit kompromissloser Unnachgiebigkeit präsentiert er sich von seiner weichen und fließenden Seite. Ein traumhafter Plattenspieler.
Plattenspieler AVID Acutus SP
Funktionsprinzip: Subchassis-Plattenspieler mit Doppelriemenantrieb
Drehzahlstufen: 33/45 U/min
Tellermasse: 10 kg
Lager: Edelstahl, invertiert
Tonarmbasis: Standard für SME (Adapter auf Bestellung)
Stromversorgung: DSP Vari-Speed Steuereinheit
Ausführungen: Chrom oder Gold (gegen Aufpreis)
Maße (B/H/T): 46/21/40 cm
Gewicht: Laufwerk 19 kg, Netzteil 3,5 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 14 500 €
www.idc-klaassen.com
www.avidhifi.com
Mitspieler:
Plattenspieler: Feickert-Analogue Firebird
Tonarme: Genuin Audio Point, Brinkmann 12.1, Moerch DP-8
Tonabnehmer: Ortofon Quintet Bronze und 2M Black, Audio-Technica 50ANV und 33PTG I, Clearaudio DaVinci
CD-Player: Revox C 221
D/A-Wandler: PS Audio Digital Link III, KingRex UD384
Vorverstärker: MFE Tube One SE (inkl. Phono)
Endverstärker: DNM PA3S
Vollverstärker: Genuin Straight
Lautsprecher: Steinmusic Masterclass SP 1.1
Kabel: Analysis Plus, Musical Wire, Audiophil
Zubehör: Subbase Audio, Steinmusic, Audiophil