Schönberg, Berg, Webern – The RIAS Second Viennese School Project
Das zweite Wiener Triumvirat
Über die Zweite Wiener Schule existieren zahlreiche Witze. Beispiel gefällig? Arnold Schönberg erregt sich bei einer Orchesterprobe über die mangelnde Begeisterung der Musiker für sein Werk: „In 50 Jahren wird man diese Musik überall spielen!“ Darauf eine Stimme aus dem Orchester: „Warum spielen wir sie dann heute schon?“ Noch einer? Na gut. Probe für eine Oper von Alban Berg. Ein Musiker: „Bei der Musik müssen’s nach dem ersten Akt frische Freikarten ausgeben!“
Auch wenn sich darüber trefflich schmunzeln lässt, erkennt man das Dilemma der Zweiten Wiener Schule: Der Komponistenkreis – Arnold Schönberg und seine Schüler Alban Berg und Anton Webern – war beim Großteil der Musikwelt weder angesehen noch erwünscht. Die von Schönberg gefundene Methode der Komposition mit zwölf aufeinander bezogenen Tönen kann in ihrer Kompromisslosigkeit als einzigartig angesehen werden: Durch die Gleichberechtigung aller zwölf Töne des chromatischen Systems löst sich die Tonalität auf. Die Atonalität ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch eine Neuerung, mit der das Publikum zumeist nichts anzufangen weiß. Auch dürfte die kompromisslose Herangehensweise der Zweiten Wiener Schule eine Ursache für breite Ablehnung gewesen sein.
Bergs tödliche Blutvergiftung, Schönbergs Emigration nach Amerika und Weberns Unfalltod bereiteten der Zweiten Wiener Schule nach dem Zweiten Weltkrieg formal ein Ende. Schon vier Jahre später aber begannen beim RIAS die Aufnahmen mit Werken der drei Komponisten, die von hochrangigen Schülern und Kennern der Musik über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren eingespielt wurden. Vorher gab es im Grunde nichts auf Tonträger, die Musik konnte sich lediglich im Konzert verbreiten.
Die RIAS Second Viennese School Project– Edition mit 4 CDs widmet sich diesen Aufnahmen, die von den Originalbändern des RIAS remastered wurden. Zwei CDs sind Arnold Schönberg gewidmet, die beiden anderen seinen Schülern Berg und Webern. Bemerkenswert ist das Projekt vor allem, weil Zeitgenossen der Komponisten deren Werke interpretieren und einen authentischen Zugang bieten.
Die Werke reichen von den Anfängen der Atonalität zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den späten Kompositionen Schönbergs. Neben herausragenden Einspielungen von Bergs Lyrischer Suite, Weberns Orchesterstücken und zahlreichen kleineren Werken fesselt besonders Schönbergs Melodramenzyklus Pierrot Lunaire. Lange bevor Pierre Boulez den Zyklus für sich entdeckte, nahm ihn 1949 ein Ensemble unter der Leitung von Josef Rufer mit der Sprecherin Irmen Burmester beim RIAS auf. Das mehr als sechs Jahrzehnte alte Ergebnis ist derart gelungen, dass es bei mir nun Platz eins der Schönberg-Charts einnimmt. Für die CD-Bibliothek eine wertvolle Edition, die der Bedeutung der Zweiten Wiener Schule vollends gerecht wird. Ein kleines Manko: Ich hätte es gerne auch auf Vinyl gehabt.