Plattenspieler Musical Fidelity Round Table – Jam-a-lot und die Tafelrunde
Musical Fidelity geht offensiv ironisch damit um, dass Großbritannien das Mittelalter noch nicht ganz hinter sich gelassen hat.
Die pittoreske Merlin-Kette, bestehend aus einem Mini-Amp und niedlichen Breitbändern, zog auf der diesjährigen HIGH END mit ihrer roten Signalfarbe meine Aufmerksamkeit auf sich. Daneben stand ein farblich abgestimmter, aus der Verpackung spielbereiter Plattenspieler. Braucht das heutzutage noch jemand? Was soll man als Besitzer eines Bluetooth-Handys mit dieser antiken Technik anfangen? „Na klar“, meint Jürgen Reichmann vom deutschen Vertrieb, „der digitale Trend geht zwar eindeutig weg vom physischen Tonträger, nichtsdestotrotz erlebt die Schallplatte ein furioses Comeback – auch und gerade in der jungen Zielgruppe.“ Das hört man in letzter Zeit öfter, muss wohl was dran sein. Dass Musical Fidelitys knallroter Round Table – was für ein genialer Name für einen Plattenspieler! – hübsch aussieht, wird wohl niemand leugnen. Verlässliche Aussagen lassen sich in dieser Hinsicht zwar nie treffen, aber ich könnte mir vorstellen, dass er insbesondere auch Frauen gefällt. Ich jedenfalls finde ihn allerliebst. Und es gibt ihn, klar, auch in der Standard-HiFi-Farbe Schwarz. Ob er dann immer noch so gut aussieht, überlasse ich Ihrem oder dem Urteil Ihrer besseren Hälfte.
Der Einzelpreis für den Sechs-Kilogramm-Spieler beträgt knapp 900 Euro. Dafür erhält man ein voll ausgestattetes Laufwerk inklusive Tonarm und Tonabnehmer. Letzterer ist das bestens bewährte und allseits beliebte MM-System AT 95E, das völlig zu Recht seit jeher als Preis-Leistungs-Rakete gilt. Als genau solche dürfte sich übrigens auch der mitgelieferte Tonarm entpuppen, der mir irgendwie bekannt vorkommt. Den hab’ ich doch schon mal bei Pro-Ject gesehen. Und tatsächlich, der Round Table wird von den österreichisch-tschechischen Analogspezialisten gefertigt, wobei der Dreher aber bei Musical Fidelity gezeichnet worden sein soll. Das glaube ich jetzt einfach mal unhinterfragt, weil es letztlich nicht entscheidend ist und in der Tat einige Merkmale auf eine in England verfeinerte Konstruktion hinweisen.
Im Prinzip entspricht der Round Table einem alten Erfolgsrezept für bezahlbare Plattenspieler: Holzplatte mit Tellerlager, Tonarm und Motor. Hier geht es in puncto Holz aber konsequenter als üblich zu, weil auch der Plattenteller aus Holz, präziser gesagt aus MDF (Mitteldichte Faserplatte) gemacht ist. MDF lässt sich wunderbar bearbeiten, etwa auch fräsen. Das gilt, falls Sie sich jetzt wundern und Ihre eigene, nicht immer gute Erfahrung mit dem Material dagegenhalten wollen, nicht unbedingt für jede Sorte MDF aus dem Baumarkt; die verfügbaren Varianten sind weit gefächert, und nicht jede ist so hart und dicht wie bestimmte Arten von Industrie-MDF. Der mattschwarz lackierte Holzteller des Round Table ist glatt, relativ schwer und wirkt sicherlich enorm dämpfend; zusätzlich wurde er möglicherweise sogar ausgewuchtet, worauf einige Bohrungen auf der Unterseite hinweisen. Die rote Zarge mit ihren sanft gerundeten Ecken ist ebenfalls aus MDF und qualitativ sehr gut hochglänzend lackiert; sie enthält das Lager (eine Bronzebuchse mit Stahlboden) und reicht auf der linken Seite, wo der Synchronmotor sitzt, scheinbar weiter über den Plattenteller hinaus als nötig. Der Grund dafür ist einfach, wenn auch vielleicht nicht unmittelbar einleuchtend: Die gesamte Masse des Drehers ist exakt so verteilt, dass sich ihr Baryzentrum (Massenmittelpunkt) genau im Tellerlager befindet. In der Theorie soll sich dadurch ein besonders ruhiger und unbeeinflusster Rundlauf ergeben, weil sich nicht nur das Gravitationszentrum des Tellers, sondern des ganzen Geräts an genau einem Punkt befindet. Esoterik? Ja sicher, aber exzentrisch kann man es nicht nennen, immerhin verfolgen anerkannte Koryphäen – siehe etwa 47 Laboratory – ähnliche Denkansätze.
Das Sahnehäubchen der Musical-Fidelity-Tafelrunde ist aber zweifellos der Tonarm: Er ist höhenverstellbar, besitzt eine über Magnete wirksame Antiskating-Vorrichtung und eng tolerierte Kugellager, einen „satt“ gehenden Lift sowie eine clever gemachte Höhenverstellung für die Arm-Ablage; so rastet der Arm sogar gerade, wenn ein höher bauendes System zur Anwendung kommt. Der aus Aluminium gefertigte Tonarm zählt zu den Neun-Zoll-Typen und eignet sich für Tonabnehmer zwischen fünf und 13 Gramm Gewicht. Die Laufruhe und auch das geringe Rillengeräusch beim Abtasttest beweisen schnell, dass dieser Tonarm zweifellos auch für höhere Weihen als „nur“ ein AT 95 geeignet wäre. Tonarm und System sind geometrisch ab Werk komplett vorjustiert und verlangen von einem Novizen lediglich die Montage des Gegengewichts und damit die Auflagekraft-Einstellung; beim Audio-Technica-System sind 20 Millinewton ein guter Kompromiss, der mit einer elektronischen Auflagekraft-Waage überprüft werden muss, weil das azentrisch montierte Gegengewicht keine Skalierung aufweist. Das Manual hält sich nicht nur dabei mit Hilfe keineswegs zurück und verdient ebenfalls Lob; übrigens liegt auch eine Schablone zur geometrischen Justage bei, falls einmal ein anderer Tonabnehmer zum Einsatz kommen soll.
Bezüglich seiner Aufstellung reagiert der Round Table durchaus sensibel. Er ist eben kein massives Monument, an dem alle Unbill abprallt, sondern ein zierlicher Zeitgenosse. Man gönne ihm ein ruhiges und sicheres Plätzchen. Die Auswahl reicht vom Ikea-Tischchen (dessen Verwendung ich persönlich noch nie verstanden habe) bis hin zum 0,2-Tonnen-Plattenregal. Es soll halt nicht vibrieren, geschweige denn wackeln, und schön horizontal stehen; den Rest erledigen dann die „vibration-isolation“-Füße, drei an der Zahl. Diese drei Füße federn wirklich sanft und wirken schön „schwabbelig“, das funktioniert tatsächlich erstaunlich gut. Beim Blick unter die Zarge fällt außerdem die penible Verarbeitungsqualität an meist unsichtbaren Stellen auf. Die Einbauten sind mit Plastikabdeckungen verschalt, und unter dem Tonarm sitzt ein stabiles Anschlusskästchen fürs Phonokabel, das mitgeliefert wird. Alles lobenswert gemacht – gerade auch wenn man bedenkt, dass bei der Laufwerkherstellung allzu oft die Devise „Oben hui, unten pfui“ gilt.
Wenn der Round Table dann in ganzer Pracht dasteht, stört in meinem Fall nur etwas noch den schönen Anblick: nämlich eine dünne schwarze Filzmatte auf dem Plattenteller. Sie macht einen reichlich „ungebügelten“ Eindruck! Das kommt aber in den besten Familien vor, LP12-Besitzer beispielsweise kleben das Teil einfach mit möglichst dünnem doppelseitigem Klebeband fest. Wer sich mit so einem derangierten Filzdeckchen partout nicht anfreunden kann, für den hält der Zubehörmarkt eine reichliche Auswahl an mehr oder weniger gut funktionierenden Alternativen bereit. Klanglich halte ich einen Austausch nicht für dringend geboten, zumal der MDF-Teller prinzipiell nicht zum Klingeln neigt.
So. Der Round Table läuft und wir müssen uns jetzt entscheiden. Fürs hohe High-End-Ross („Für das Geld braucht man doch gar nicht erst anfangen“) oder für den Spaß an der Freude. Ich hätte für jeden volles Verständnis, der in den Round Table 900 und in Schallplatten 5000 Euro investiert! Damit sollte klar sein, wie meine Beurteilung dieses Plattendrehers aussieht. Der macht nämlich nichts so falsch, dass es das Hörvergnügen beeinträchtigen würde, dafür aber so viel richtig, dass Newcomer Gefahr laufen, sich mit dem Schallplattensammelvirus zu infizieren (ich habe Sie gewarnt!). Wir alten Hasen wissen ja, wann es genug ist, aber unerfahrene Erst-Vinylhörer könnten nicht genug davon bekommen. In der Folge werden sie dann unversehens und unsanft vom Chef aus dem Büroschlaf gerissen, weil die Jam-Session rund um den Round Table letzte Nacht mal wieder erst in den Morgenstunden ihr Ende fand. Ja, HiFi kann Arbeitsplätze gefährden, selbst wenn es ausnahmsweise nicht aus China kommt.
Der Round Table macht seinen Job, um jetzt der Berichtspflicht Genüge zu tun, weder mit schwammigem Bass noch mit zu arg glitzernden Höhen, sondern knurrig, immer schnell und spritzig, substanziell und hinlänglich transparent, aber mit einer kleinen Tendenz zur Schönfärberei. Was erfahrungsgemäß eher dem AT 95E „anzulasten“ ist. Will sagen, das Klangbild liegt tendenziell auf der etwas „schwereren“, aber noch nicht plüschigen Seite, und „obenrum“ geht der Tonabnehmer auch nicht übertrieben nüchtern ans Werk, sondern vertuscht freundlich grinsend die eisigsten Spitzen. Das trägt sogar zum Langzeit-Hörvergnügen bei, weil das etwas wärmere Klangbild schlicht vergnüglicher beim Zuhörer ankommt als ein schwer analytischer Diskurs. Und das kann man dem Round Table beim besten Willen nicht übelnehmen, nicht wahr? Dass er dabei noch nicht in jenen hehren Gefilden wildert, die erst mit der Drei- oder Viertausend-Euro-Klasse erreicht werden, ist einsichtig. Doch dass er auf seinem Niveau allein schon wegen des hochwertigen Tonarms jede Menge Klangvorteile für sich verbuchen darf, ist stets unüberhörbar. Meine Tipps dazu: Belasten Sie den Antrieb und das Lager nicht mit einer schweren Plattenklemme und spendieren Sie einen wirklich anerkannt guten MM/MC-Phono-Amp. Denn falls einmal Hochrüstung angesagt ist, kann man ohne Weiteres zu einem hochwertigen MC-Abtaster greifen, ohne den Round Table damit zu überfordern.
Musical Fidelity Round Table
Prinzip: Riemengetriebener Plattenspieler mit Tonarm und System
Geschwindigkeiten: 33, 45 U/min
Tonarm: 9″, kardanisch, gerade, mittelschwer
Besonderheiten: Komplettpaket mit AT 95E, Phonokabel, Filzmatte, Anschlussbox, Steckernetzteil, Synchronmotor
Ausführungen: MDF lackiert in Schwarz oder Rot
Maße (B/H/T): 48/10/34 cm
Gewicht: 6 kg
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis inkl. Tonarm und System: 900 €
Reichmann AudioSysteme
Jürgen Reichmann
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