Illustration: Ralf Wolff-Boenisch
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, lautet der Leitspruch des Aufklärungsphilosophen Immanuel Kant, in dem er vergaß, eine Mindestgröße für diesen Verstand zu benennen, unter der man doch besser darauf verzichten sollte. „… ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt!“, entgegnete die anarchistische Vordenkerin Pippi Langstrumpf rund 200 Jahre später. Eine viel einfachere und reizvollere Maxime, aber noch anfälliger für kapitale Irrtümer, wie z. B., dass zwei mal drei vier ergibt.
Es muss mitten in den Siebzigern gewesen sein, als ein HiFi-Händler den ersten Satz kostspieliger Kabel verkaufte. Obwohl das Ohm’sche Gesetz damals noch in Kraft war, bestimmten klingende Kabel bald den Szene-Talk. Inzwischen haben wir uns längst daran gewöhnt, mehr oder weniger plausible Erklärungen wurden zahlreich nachgeliefert – da ist für jeden eine dabei. Mit Autosuggestion sogar für den, der es immer noch nicht hört. Mittlerweile lebt ein nicht unbeträchtlicher Teil der HiFi-Branche vom Zubehör. Manches davon verfügt über physikalische Grundlagen, anderes (noch) nicht, wirkt (dafür) aber, und wieder anderes glänzt zumindest schön. Eigentlich ist die Welt noch in bester Ordnung, Neues bedeutet Fortschritt und Herausforderung, HiFi bildet die Speerspitze der empirischen Wissenschaft.
Nun sollte man annehmen, dass sich HiFi-Technik grundsätzlich an Kant orientiert, aber da trügt der oberflächliche Eindruck. Seit einigen Jahren drängt das Irrationale in die Branche. In der Grauzone zwischen Schamanismus und Scharlatanerie ersetzen Alchemisten mit ihrem Latein am Ende angelangte Physiker. Begründet mit hanebüchenen, explizit gegenaufklärerischen Beweisen aus der Pseudo- oder Alternativwissenschaft wird Luft aktiviert und Licht appliziert, Photonen werden entweder freigesetzt oder an- und abgelagert. Dabei ist Licht so flüchtig – immer wenn ich es ausschalte, ist es schneller verschwunden, als ich schauen kann; ich habe keine Ahnung, wohin es sich verkriecht. Man kann es auch nur in offenen oder transparenten Behältnissen transportieren. Es in geschlossene Räume zu tragen, auf dass es sich dort anreichere, mutet unmöglich an. Ich erinnere diesbezüglich an alte Berichte der Bürger von Schilda.
Vielleicht werde ich in Zukunft mein Recht wahrnehmen, Sachverhalte, die nicht in mein Weltbild passen, einfach zu ignorieren. Eine andere Möglichkeit wäre, sie zu nutzen, ohne an den theoretischen Überbau zu glauben. Auch Pippi Langstrumpf gelangt ja schließlich, indem sie zu vier noch einmal drei addiert, zum korrekten Ergebnis neun – wenn auch der Lösungsweg haarsträubend ist.