Avantgarde Acoustic XA Integrated Amplifier – Harte Schale …
Avantgarde Acoustic hat sich einmal gründlich des Themas Vollverstärker angenommen. Herausgekommen ist der XA Integrated.
Es hätte so leicht sein können: Von den Daten auf dem Papier und seiner äußeren Erscheinung her polarisiert der XA Integrated von Avantgarde Acoustic – und bietet dabei reichlich Angriffsfläche. Denn er ist gewaltig groß, mit einem knappen Zentner schon so schwer, dass man ihn fast als Immobilie bezeichnen kann. Bei seinem Design war, ich formuliere es bewusst wertfrei, Zurückhaltung nicht das Gebot der Stunde. Die kapitalen Griffe vorne und (!) hinten, der massige Drehknopf für die Lautstärkeregelung, die tiefen Kühlkörperschluchten – nein, der XA haut ordentlich auf den Putz. Dem gegenüber steht eine vergleichsweise bescheidene Ausgangsleistung von zweimal 120 Watt (laut Hersteller), was angesichts des unbekümmerten Materialeinsatzes schon wieder verwundert. Und der Preis! Selbstbewusste 11 500 beziehungsweise 12 200 Euro in der hier gezeigten Version mit Holzfront bedürfen einer soliden Erklärung.
Es hätte so leicht sein können, diesen Verstärker mit einem launigen Artikel abzukanzeln, was einer weiten Leserschaft sicherlich Freude bereitet hätte. Das hätte geklappt, wenn ich den Verstärker nicht auch noch hätte spielen lassen … Aber zu viel soll noch nicht verraten werden.Rein äußerlich ist der XA Integrated also ein Statement. Die riesigen Griffe an der Front erweisen sich jedoch schon beim ersten Anheben als echter Segen. Denn dank ihrer lässt sich der Verstärker trotz seiner 43 Kilogramm vergleichsweise leicht bewegen und an seinem Einsatzort platzieren. Das Kühlgebirge ist ebenso anwenderfreundlich, denn es zeichnet sich durch das Fehlen jeglicher scharfer Kanten und Ecken aus – ein Feature, das man sich bei vielen teuren Verstärkern vergeblich wünscht. Die Holzfront ist tadellos verarbeitet und, abhängig vom persönlichen Geschmack, entweder ein echter Hingucker oder ein Anlass, sich unter den zahlreichen anderen Optionen für die Front umzuschauen. Der große Drehknopf fällt für meinen Geschmack allerdings etwas rau aus und dürfte auch etwas seidiger drehen. Massiv fühlt er sich schon an, allerdings bleibt dieses luxuriöse „Löffel-im-Honigglas“-Gefühl aus. Technisch ist das natürlich völlig irrelevant, allerdings bewegen wir uns in einer Preisklasse, in der das schlichte Abhaken der erforderlichen technischen Parameter nur die halbe Miete ist.
Ansonsten gibt es noch fünf satt rastende Kippschalter für die Eingangswahl und einen Standby-Schalter. Erfreulicherweise findet sich auf der Rückseite ein „echter“ Netzschalter. Kein verstecktes Standby also, sondern harte Trennung vom Stromnetz. Danke.
Die Rückseite bietet Platz für die üblichen Verdächtigen: zwei symmetrische und drei unsymmetrische Eingänge sowie ein Satz Polklemmen für den Anschluss der Lautsprecherkabel. Alles in fraglos bester Qualität und so großzügig über die Fläche verteilt, dass man auch sperrige und dickere Kabel mühelos anbringen kann. Lobenswert ist auch die kapitale Rändelmutter, mittels derer man gegebenenfalls zusätzliche Massekabel befestigen kann. Wer viel mit Analogequipment spielt, weiß ein solches kleines Extra zu schätzen. Das massive Gehäuse soll übrigens zu einem großen Teil der Vermeidung klangschädlicher Mikrofonieeffekte dienen. In wieweit sich Mikrofonie wirklich hörbar auf Transistorschaltungen auswirkt, vermag ich nicht zu beurteilen – eine gewisse Skepsis bleibt meinerseits bestehen. Zwar schätze ich jedes engagierte Bemühen um den guten Klang, zu diesem Punkt hätte ich irgendwann dann doch mal gerne einen Beweis. Zweifellos kann man allerdings attestieren, dass Avantgarde Acoustic sich dieses Themas mit ausgesuchter Gründlichkeit angenommen hat. Die ineinandergreifenden massiven Aluminiumschalen der XA-Serie, zu der auch der Integrated Amp gehört, sind in ihrer Ausführung schon beispielhaft kompromisslos.
Im Innern hat man sich bei Avantgarde Acoustic in besonderem Maße der Filterung des eingehenden Netzstromes gewidmet. Allein optisch ist das schon eine Ansage: Uns ist noch in keinem Gerät ein derart massiv und sicher eingepackter Trafo untergekommen. Dagegen sehen selbst die mit Neopren ummantelten Umspanner von Accuphase noch schlank aus. Aber abseits der freilich im Gehäuse verborgenen „Anmach“-Optik soll das Ganze ja auch etwas bringen. Um möglichst saubere Arbeitsbedingungen für die nachfolgenden Verstärkerschaltungen zu garantieren, filtert Avantgarde Acoustic die anliegende Spannung schon vor der Umspannung gleich zweimal. Nach dem Trafo wird ein weiteres Mal gefiltert, um etwaige HF-Einstreuungen, die letztlich von der Verstärkerschaltung mitbearbeitet werden, spätestens hier zu entfernen. Danach werden die Gleichspannungen der einzelnen Abnehmer aktiv geregelt, um auch wirklich immer das gleiche Versorgungsniveau anbieten zu können.
Die Verstärkerschaltung selbst ist bis auf die Leistungsstufe komplett in Class A ausgeführt. Matthias Ruff, der Entwickler dieses Verstärkers, stuft die Übernahmeverzerrungen üblicher Schaltungen als besonders klangschädlich ein. Diese Verzerrungen entstehen, wenn in einem Verstärker, der nicht single-ended aufgebaut ist, ein Transistor die Arbeit bei Erreichen der Nulllinie zwischen positiver und negativer Halbwelle an seinen Gegenspieler abgibt. Die Transistoren legen also – in stark vereinfachter Darstellung – nach einer kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit einen Kaltstart hin, wenn ihr Arbeitspensum wieder ansteht. Und dieser Kaltstart verläuft nun einmal etwas holperig. Lässt man die Transistoren in einer Art höherem „Standgas“ laufen, sind sie schon warm und zerren deutlich weniger. Für Leistungsstufen bedeutet diese Schaltung allerdings einen immensen Stromverbrauch und eine beachtliche Verlustwärme. Daher arbeitet die letzte Sektion des XA Integrated auch nur bis zu einem Watt im Class-A-Modus, bevor es in Class B weitergeht.
Das liebste Kind der Messtechniker, die Über-alles-Gegenkopplung, fand keinen Weg in den Avantgarde Acoustic. Sorgt ihr Einsatz bei statischen Sinussignalen und an Lastwiderständen für erstklassige Messwerte, ist ihre Wirkung an komplexen Lasten (= Lautsprecher) und mit dynamischem Datenmaterial (= Musik) nicht vollständig erforscht und wird nach wie vor heiß diskutiert. Auffällig ist jedoch, dass immer wieder besonders sorgsam und mit großem Aufwand realisierte Verstärkerkonzepte, in denen auf diese Art der Korrektur verzichtet wird, mit einem subjektiv besonders reinen und geschmeidigen Klang begeistern können. Um es kurz zu machen: Ja, auch der Avantgarde Acoustic XA Integrated schafft dieses Kunststück. Für ein erstes Hören wird er von einem Mark Levinson 390S symmetrisch versorgt und bedient Diapasons grandiose Adamantes 25th. Und nein, ich habe nicht weiter mit der Aufstellung, verschiedenen Racks und Untersetzern experimentiert. Das Trumm steht schlicht auf dem Boden.
Was dann allerdings aus den Lautsprechern kommt, will so gar nicht zum martialischen Äußeren unseres Kandidaten passen. Gute Streichquartettaufnahmen sind oft eine Nagelprobe, in einer so fokussierten Klanglichkeit fällt jede Einmischung leicht auf. Der XA Integrated verkneift sich aber vollständig das bei potenten Verstärkern weit verbreitete Vergrößern des Cellos (Beethoven, späte Quartette, Takacs Quartett, Decca), zeichnet vielmehr mit kundiger und sensibler Hand feinste klangliche Nuancen nach und platziert das Instrument zudem in einem Raum, der weiter und gleichzeitig natürlicher wirkt, als ich es von den meisten anderen Verstärkern kenne. Gerade beim Raum fällt auf, dass es hier bei aller Größe nicht um das übliche Cinemascope-Format geht, sondern die Weite aus einer gesteigerten Natürlichkeit zu resultieren scheint. Sie merken, ich ringe um Worte. Ein Bild mag verdeutlichen, was gemeint ist: Während viele gute Verstärker einen Blick aus der Regie in den Aufnahmeraum ermöglichen, scheint in diesem Fall das Fensterglas zu fehlen. Die Treue und feine Aufschlüsselung der Klangfarben macht es bei einem Quartett mit den klanglich im Prinzip sehr ähnlichen Instrumenten leicht, einzelne Stimmen zu identifizieren und zu verfolgen. Auch bei Stimmkreuzungen bleibt die Übersicht und somit das Verständnis des Geschehens gewahrt.
Die Qualitäten der räumlichen Darstellung verlangen aber nach komplexerem Material: einem großen Orchester. Die EMI-Produktion der Neunten Sinfonie von Gustav Mahler mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern hat hier einiges zu bieten. Die einzelnen Gruppen des Orchesters werden vom XA sicher und randscharf platziert, phänomenal ist die Darstellung der Raumtiefe bei dem kurzen Paukensolo im ersten Satz. Von weit, weit hinten kommen die Einzelschläge, die wiederum klanglich mit faszinierender Natürlichkeit im Raum stehen. Sie haben alles, was eine Berliner Pauke mit Naturfell ausmacht. Großartig.
Dass der XA Integrated auch im größten Getümmel die Übersicht behält, beweist er mit dem zweiten Teil der Achten Sinfonie von Gustav Mahler, diesmal mit Michael Tilson Thomas und dem San Francisco Symphony Orchestra. Es gibt wohl nur wenige Tonmeister, die so ausgefuchst mit großen Mengen an Stützen umgehen können wie die vier Partner des Tritonus Studios in Stuttgart. Sie schaffen es auch bei größten Partituren, jede Stimme hörbar zu machen, ohne dass der Gesamtklang ins Artifizielle abdriftet. So auch bei dieser Einspielung. Die in nur zwei Konzerten entstandene Liveaufnahme bringt Details ans Licht, die man im Konzertsaal in der Regel nicht erleben wird. Der XA führt mühelos durch die Partitur, auch während der massivsten Passagen klingt es stets offen und frei, nichts klingt „dicht“.
Nach all diesen schönen Erlebnissen soll wenigstens noch kurz geklärt werden, wie sich der XA bei modernerer Kost verhält. Eine wilde Fahrt mit Dead Can Dance, Miles Davis, Beastie Boys, Al Jarreau, Talking Heads und Prince bringt keine neue Erkenntnis: Der Integrierte von Avantgarde Acoustic lässt auch hier nichts anbrennen. Massive Tieftonattacken kommen so locker und natürlich, dass man ihm schon fast ein Verrunden der Impulse unterstellen könnte. Hört man jedoch genauer zu, merkt man, dass die sehr reine, artefaktfreie Wiedergabe derart unaufdringlich klingt, dass man lediglich die sonst so oft servierten Geschmacksverstärker vermisst.
Nun dürfte klar sein: Der Avantgarde Accoustic XA Integrated ist trotz (oder vielleicht gerade wegen) seiner beeindruckenden Physis kein Haudrauf – ganz im Gegenteil. Selten habe ich einen Vollverstärker erlebt, der geschmeidiger, eleganter, ausgewogener und detailverliebter mit den ihm anvertrauten Signalen umgeht. Werde ich eine Träne im Auge haben, wenn er wieder geht? – Eine reicht nicht.
Avantgarde Acoustic XA Integrated Amplifier
Funktionsprinzip: Vollverstärker
Leistung (4 Ω): 2 x 120 W
Eingänge: 2 x symmetrisch (XLR), 3 x unsymmetrisch (Cinch)
Ausgänge: 1 Paar Lautsprecher (Schraubklemmen)
Besonderheiten: mehrfach gefilterte Stromversorgung, pro Eingang zwei Verstärkungsfaktoren wählbar, Vollmetall-Fernbedienung; zweischaliges „Unibody“-Alu-Gussgehäuse, Helligkeit von LEDs und Hinterleuchtung einstellbar
Ausführung: Frontpaneel Schwarz oder Silber eloxiert, optional Hochglanzlack oder Holzpaneel (Aufpreis 700 €), Bügel, Griffe und Bedienleiste Schwarz oder Silber eloxiert, Gehäuse Pulverlack schwarz
Maße (B/H/T): 49/19/49 cm
Gewicht: 43 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Preis: 11 500 €
Avantgarde Acoustic
Nibelungenstraße 349
64686 Lautertal-Reichenbach
Telefon 06254 306100
Mitspieler
Plattenspieler: Transrotor Apollon
Tonarm: SME V
Phonoverstärker: ifi iPhono
CD-Player: Mark Levinson 390S
Diverse Computer und Music Player
Verstärker: Lavardin IT
Lautsprecher: Diapason Adamantes 25th, Spendor S3/5SE
Raum: 31 qm, akustisch mit Diffusoren und Absorbern auf sinnvoll kurze Nachhallzeiten und weitgehend frequenzunabhängige Diffusion gebracht