Backes & Müller BM Line 20 – Rebell in Nadelstreifen
Muskeln, Grips und feine Manieren – Backes & Müller verpackt alles zusammen in einem aparten Designeranzug. Und lässt dann ein wohlgeratenes Tier von der Kette.
Flightcases? Jawoll, Flightcases. Die Spedition liefert uns die Lieblingsrollkoffer gestandener Roadies. Zwei robuste Cases, groß wie Omas Anrichte und unheimlich praktisch, um zum Beispiel ein Bierchen darauf abzustellen. Oder einen Kasten. Oder drei, sechs, zwölf Kästen – kein Problem bei solchen XL-Maßen. Die Anlieferung der BM Line 20 von Backes & Müller macht jedenfalls schon vor dem Auspacken klar, woher hier der Wind weht: Profitechnik statt Kindergarten. Bierbank statt Designerdeko. L-A-U-T-S-P-R-E-C-H-E-R statt Böxchen. Ich mag das.
Flightcases flößen mir ganz grundsätzlich ein gewisses Grundvertrauen ein. Diese Profikoffer, die auch harte Beanspruchungen gerne verschrammt, aber standhaft überstehen, sind meine Freunde. Häufig genug umhüllen und schützen sie wahre Pretiosen – wie die Backes & Müller BM Line 20, ein „mittleres“ Modell aus dem Programm der Aktivlautsprecher-Spezialisten. Ab damit in den Hörraum.
Zu zweit schrauben wir an den Flügelmuttern des ersten Flightcases, lupfen und zupfen den Deckel ab, treten nach erfolgter Enthüllung zurück und staunen nicht schlecht: dass ein so großer Schallwandler tatsächlich richtig elegant aussehen kann. Die zwischen Herrn Schulz und Herrn Brockmann immer wieder aufflackernde Diskussion („Welcher halbwegs große Lautsprecher sieht eigentlich wirklich gut aus?“) entscheidet die Backes & Müller BM Line 20 definitiv für sich. Sie ist ein willkommener Zugang in unserer virtuellen „Galerie gut aussehender Lautsprecher“, jetzt wo sie leibhaftig vor uns steht. Ein recht seltenes Erlebnis.
Keineswegs alle Objekte der Begierde, die auf dem Bildschirm oder im Hochglanzprospekt einen tollen ersten Eindruck vermitteln, können diesen in natura halten. Die BM Line 20 schon. Stilsicher und wohlproportioniert ragt sie in die Höhe. Und praktisch jede Linie, jede Fläche sorgt mit einer zarten Verrundung oder Anwinklung für dezente Spannung im Auftritt. So erzeugen die recht stattlichen Grundmaße der 20er – stramme 72 Kilo bei gut einsvierzig Gardemaß – einen rundum eleganten Eindruck. Das schlichtweg superbe Hochglanzfurnier der Seitenwangen tut ein Übriges, um den Sinnen auch dann Unterhaltung zu bieten, wenn die Line 20 einmal nicht Musik spielt. Überhaupt darf die absolut makellose Lackierung sehr wohl auch als Aushängeschild dafür herhalten, was Backes & Müller im Kern ausmacht. Der selbstgewählte Begriff „audiophile Manufaktur“ ist ja nicht aus der Luft gegriffen; das ziemlich gnadenlose Qualitätsverständnis der Firma spiegelt sich zweifellos auch im Klavierlack wider. Das ist nicht „der gute Hochglanzlack“ vom Kfz-Schrauber nebenan, der uns so gern fälschlicherweise als „Klavierlack“ untergejubelt wird. Nein, das hier ist meisterhafte Mehrschicht-Polierkunst zum Sichdrinspiegeln und Verlieben.
Falls Sie es genau wissen wollen: Die gezeigte Ausführung nennt sich „Ebenholz Grigio Klavierlack“. Zur rundum eindrucksvollen Oberflächen-Mixtur unserer BM Line 20 zählen übrigens auch Nextel-Mattlack und Corian-Leisten auf der Front, nicht zu vergessen die sichtbaren Membranen der Chassis; hier ist Kohlefaser das dominierende Material der Wahl. Deutlich nüchterner geht’s nur auf der Rückseite zu. Zwei Aluminium-Elemente sind dort fixiert, eines davon mit den typischen Backes-&-Müller-Erkennungsmerkmalen bestückt: Anschlussfeld, Regler und Schalter sowie Kühlkörper der integrierten Elektronik.
Interessanter aber ist, was hinter all diesen Elementen steckt. Es kann ja wohl kaum Zufall sein, dass zum Beispiel die markanten Leisten auf der Schallwand einen Teil der vier Konusmembranen „einfach so“ abdecken, nur weil’s spannend ausschaut. Zudem gehören die Treiber von Backes & Müller bekanntermaßen zum Besten, was der Markt zu bieten hat. Oder besser: was nicht auf dem Markt zu haben ist. So sind sämtliche verwendeten Treiber Spezialanfertigungen, die ausschließlich von oder für B&M hergestellt werden. Und damit nicht genug: Vor dem Einbau werden alle Chassis im eigenen Hause modifiziert und innerhalb des kompletten Schallwandlersystems – also das Stereopaar als akustische Einheit – exakt aufeinander abgestimmt.
Basis dieser Feinabstimmung ist ein ausgefuchstes Zusammenwirken von integrierter Elektronik, Treibern und Gehäusekonstruktion. Die beiden Tieftöner etwa werden nicht „nur“ von ihrem eigenen Verstärkermodul direkt angesteuert, ihr Ein- und Ausschwingverhalten wird zusätzlich kontrolliert und geregelt. Diese Methode der Membranregelung hatte 1973 entscheidenden Anteil an der Gründung des Unternehmens und auch am Stellenwert, den B&M im Laufe der vier Jahrzehnte erlangte. Heute steht zur Verdeutlichung ein griffiges „DMC“ im Prospekt. Das Kürzel beschreibt eben jene Schaltung, die – selbstredend in zeitgemäßer Umsetzung – auch in der BM Line 20 zu finden ist: Jedes Lautsprecherchassis ist aus technischer Sicht ein Linearmotor, dessen Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung man während der Musikwiedergabe per Sensor messen kann. Das patentierte DMC sorgt im Bassbereich mit einer analogen Kontrollschaltung dafür, dass entstehende Abweichungen vom vorgegebenen Ideal von entsprechend angesteuerten Endstufen praktisch in Echtzeit korrigiert werden.
Für die Mittel- und Hochtöner wiederum hat B&M eine ebenfalls patentierte Schaltung namens „FIRTEC“ entwickelt. Sie basiert auf einem digitalen Signalprozessor (DSP) und hochpräzisen Algorithmen, die bei der A/D- und D/A-Wandlung den Frequenzbereich oberhalb der (analog geregelten) Basslagen vorausberechnet und die beteiligten Treiber „zeitrichtig“ und damit phasenoptimiert einbindet. Die Messdaten dazu sind beeindruckend deutlich. Entscheidenden Anteil am perfekten Zusammenspiel aller Treiber hat natürlich auch deren Positionierung auf respektive innerhalb der Schallwand. So stellen laut Backes & Müller die beiden Konusmitteltöner und der Hochtöner in gemeinsamer Betrachtung einen Quasi-Koaxialtreiber dar, der als akustische Einheit für eine herausragende Abbildungspräzision und Räumlichkeit sorgen soll. Auch die bereits erwähnten Wangen auf der Front sowie die kleinen Schallführungen um die jeweiligen Treiber herum spielen als „Waveguide“ eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Abstimmung. Das hierzu gefundene Kürzel „DvX“ wird von B&M neudeutsch mit „Sweetspotvergrößerung“ übersetzt, was mich auf noch lustvolleres Hörvergnügen hoffen lässt. Denn DvX soll dank koaxialer und zugleich gerichteter Schallabstrahlung erstaunlich nahe Hörabstände sowie eine Aufstellung auch an akustisch eher ungünstigen Positionen erlauben. Wir werden sehen.
Besonders interessant innerhalb des Mittelhochton-Treibertrios scheint mir übrigens der Hochtöner zu sein. Er ist auffallend groß. Die Kalotte durchmisst erstaunliche 37 Millimeter, also rund das Anderthalbfache der heute üblichen Größe von 25 Millimetern. Was in den Siebzigern noch als veritabler – und gut klingender – Mitteltöner gehandelt und üblicherweise von einem weiteren (kleinen) Hochtöner begleitet wurde, kann heutzutage aufgrund erheblich besserer Materialien und Fertigungsmöglichkeiten bis deutlich über die Hörgrenze hinaus eingesetzt werden. Sagt Johannes Siegler, Mastermind und geschäftsführender Gesellschafter von B&M. Und was Johannes Siegler sagt, das gilt. Der musikbegeisterte Chefkonstrukteur ist ausgewiesener Fachmann für digitale Anwendungen in der Elektroakustik, zudem kann er auf enormes Know-how in allen Beschallungsfragen zurückgreifen, denn er ist auch in der professionellen Audiotechnik für Studio und Bühne zu Hause. Und dort wird ein deutlich gradlinigerer – um nicht zu sagen: schonungsloser – Umgang mit technischen Parametern gepflegt, als in der vergleichsweise blumigen und indifferenten High-End-Szene üblich ist. Daher gleich noch einmal: Was Johannes Siegler sagt, das gilt.
Der B&M-Chef sagt übrigens auch, dass die B&M 20 einen gradlinig abgestimmten, „berechenbaren“ und – sieht man vom grundsätzlichen Platzbedarf einmal ab – in jedem Raum unkompliziert einzubindenden Schallwandler darstellt. Um diese Eigenschaften zu erreichen, investiert seine audiophile Manufaktur in Saarbücken jede Menge Technik, Know-how und Erfahrung, verbunden mit jeder Menge Feinstjustage, bis das hörbare Ergebnis auch wirklich so neutral und unverfälscht rüberkommt, wie es B&M schon immer definiert hat (siehe FIDELITY Nr. 15, Ausgabe 5/2014, „Technologieführer aus Tradition“).
Ich will nicht verheimlichen, dass ich mit klassischer Musik sicherlich schon charmantere Schallwandler als die BM Line 20 erlebt habe, doch liebreizender Charme ist ganz sicher nicht das alles überragende Entwicklungsziel bei B&M gewesen. War es bei Aktivspezialisten noch nie, kann es auch gar nicht sein. Denn „charmant“ bedeutet immer auch, jemanden um den Finger wickeln, ihn manipulieren zu wollen mit Dingen, die eigentlich gar nicht da sind. Und derlei Verfälschung des eingehenden Signals – der zu spielenden Musik – kommt insbesondere bei engagierten Entwicklern von Aktivlautsprechern überhaupt nicht in die Tüte.
Was bei großartigen High-End-Produkten letztlich zählt, ist die größtmögliche Annäherung ans Originalsignal, die möglichst exakte Reproduktion von gespeicherter Musik – und das gilt für Hard- wie für Software. Es zählt, was von der (hoffentlich großen) Kunstfertigkeit aller am musikalischen Produkt Beteiligten beim Zuhörer ankommt, was ihn innerlich bewegt. Und dazu brauche ich persönlich nun wirklich keinen Charmebolzen, sondern bevorzuge eine ehrliche Haut wie diesen begnadeten Musikvermittler. Die BM 20 beweist wahre Charakterstärke, indem sie mich mit ihrer trockenen, lässigen Wucht voll in die Musik eintauchen lässt. Sie bereitet mir zudem auch auf lange Sicht größtes Hörvergnügen, indem sie sich dabei eines eigenen „charmanten Kommentars“ zuverlässig enthält. Danke! Denn dadurch kommt der wirkliche Charme jeder gespielten Musik um so klarer zum Vorschein. Und, ja, auch bei Klassik in jeder Form.
So habe ich etwa bei meiner geliebten Fledermaus-Einspielung selten derart gegrinst wie mit der Backes & Müller 20. Warum? Weil die humorvolle Dialogregie, aber auch die herrlich dreidimensionale Raumdarstellung so selbstverständlich in meinem Wohnzimmer stattfindet, dass ich nicht die geringste Mühe habe, der offensichtlich lustvollen Inszenierung bis in die hinterste Bühnenecke zu folgen. Normalerweise keine leichte Aufgabe für eine Musikmaschine. Die BM 20 löst sie schlicht bravourös, sozusagen in akustischem 3-D. Bei dieser Gelegenheit kommt auch eine erstaunliche Eigenschaft zum Tragen – dass man nämlich näher an der Zwanziger sitzen darf, als eigentlich empfehlenswert wäre. DvX wirkt tatsächlich! Gleichwohl ist ein angemessen großer Raum und ein entsprechender Hörabstand vorteilhaft, um ein paar echte Schokoladenseiten der B&M noch besser, geradezu physisch greifbar zu erleben. Denn man kann es mit der Schönen auch so richtig krachen lassen, sowohl im stilvoll kultivierten Sinne mit massiv besetzten Orchestern und Bigbands, aber auch mit den harten Rockern dieser Welt oder mit Electronica der herzhaften Art. Die schöne, starke BM Line 20 offenbart in jedem Fall ein derart breitbandiges, auch in puncto Dynamik unglaublich ausgedehntes und – völlig unabhängig vom gewünschten Pegel – gleichbleibend durchhörbares Klangbild, dass Austoben ebenso Spaß macht wie Entspannen. Dabei lasse ich persönlich die Bass- und Höhenregler immer auf null – sowohl Hörraum als auch Wohnzimmer scheinen akustisch okay zu sein …
Als wohlgeratener Spross eines begnadeten Entwickler-Teams ist die BM Line 20 natürlich auch mühelos in der Lage, den Klangcharakter ihrer jeweiligen Zuspieler zu enttarnen. Selbst subtilste Klangunterschiede der Hardware können zweifelsfrei ein- und zugeordnet werden. So empfiehlt sich beispielsweise der röhrenbestückte Ayon CD3sx als kraftstrotzender, charakterstarker Signallieferant, der ein geradezu erdiges Musik-Erlebnis garantiert. Ein Soulution 541 wiederum besticht mit unfassbarer Disziplin, mit Ausdehnung und Feinsinn bis zum Horizont. Wer also mit dieser B&M „musikalischen“ Charme erleben will, sucht und findet in Nullkommanix seine Favoriten für Hard- und Software. Sobald damit die BM Line 20 von der Leine gelassen wird, geht auch die persönliche High-End-Sonne auf. Und sie wird auf lange, lange Sicht nicht mehr untergehen.
Backes & Müller BMLine 20
Prinzip: aktiver Standlautsprecher, geschlossen
Leistung der integrierten Verstärker: jeweils 180 W für Bass-, Mittelton- und Hochton-Zweig
Eingang analog: symmetrisch (XLR)
Eingang digital: AES/EBU (XLR)
A/D-Wandler: 24 bit D/A-Wandler: 24 bit/192 kHz
Bestückung: 2 x 25-cm-Tieftöner mit Kohlefasermembran, 2 x 12-cm-Mitteltöner mit Kohlefasermembran, 37-mm-Kalottenhochtöner
Besonderheiten: alle Chassis aktiv geregelt, analoges DMC für die Bässe, digitale FIRTEC-Entzerrung für Mitteltöner; Mittel- und Hochtöner in Koaxial-Konfiguration (DvX), Verstärkermodule in MOSFET-Transistorschaltung, Eingangspegel-, Bass- und Höhenregler, optional digitale Steuerung der Endstufe
Ausführungen: massives Sandwichgehäuse, in vielen individuellen Gehäuseausführungen und Finishes lieferbar (z.B. Testmuster: Ebenholz Grigio Klavierlack)
Maße (B/H/T): 35/140/48 cm
Gewicht: 72 kg
Garantiezeit: 4 Jahre, Verlängerung auf 8 Jahre (und mehr) gegen Aufpreis
Paarpreis: ab 30.000 €
Backes & Müller High End Audio Produktionsgesellschaft mbH
Altenkesselerstraße 17/D1
66115 Saarbrücken
Telefon 0681 7616809
Musicserver: Burmester 151
CD-Player: Audio Note CDT-3, Ayon CD-3Sx, Soulution 541
DAC: Audio Note DAC 3
Vorverstärker: T+A P 3000 HV
Kabel: Audio Note, HMS, Vovox
Zubehör: Subbase Shambala, Composant S und Ècho LS