Spur halten für mehr Raum! – Die Geheimnisse der Tonbandmaschine, Teil 2
Die 1960er Jahre: Die magnetische Tonaufnahme gewinnt an Qualität. Der Kopfspalt wird enger, die Bandgeschwindigkeit nimmt weiter ab, das Band wird noch dünner und die Spieldauer steigt. Und auf das Viertelzoll-Band passen mehrere Spuren nebeneinander: Die Stereofonie bekommt Raum.
Kopf und Zahl: Ein Kopf für alles, oder je einer für Aufnahme und Wiedergabe? Ein entscheidendes Kriterium für die Qualität von Aufnahme und Wiedergabe liegt im Eisen, aus dem der Tonkopf besteht. Das Material muss dem Audiosignal ohne große Verluste (hervorgerufen durch den sogenannten „remanenten Magnetismus“) folgen können. Die Schwingungen bedeuten ja nichts anderes als eine ständige Ummagnetisierung – bis zu 19 000 Mal in der Sekunde für die höchsten Töne. Für den ständigen Wechsel zwischen Nord- und Südpol des Magneten ist außerdem noch die Spule notwendig, die zusätzlich Platz benötigt und im Kopf untergebracht werden muss.
Üblich sind Kopfkerne aus Weicheisen oder Ferrit. Weicheisen bietet hervorragende Werte, was das Rauschen anbetrifft, ist aber, wie der Name schon sagt, weich und nutzt daher schneller durch das vorbeigleitende Band ab. Ferrit hingegen ist sehr hart, rauscht aber um 2 bis 3 dB mehr. Zur weiteren Herabsetzung etwaiger Verluste ist der Weicheisen-Kopfkern zusätzlich aus dünnen Lamellen geschichtet, eine Fertigungsweise, die bereits vom Transformatoren- und Übertragerbau bekannt ist. Hierbei sollte der Spalt absolut gerade sein, denn die Qualität der Aufzeichnung hängt nicht allein von der Breite des Spalts, sondern auch von der Ebenheit der Kante ab, an der das magnetisierte Band den Kopf verlässt. Außerdem befindet sich auf der Rückseite des Kopfes ein zusätzlicher Luftspalt, der für eine gleichmäßigere Magnetisierung des Bandes und für eine Herabsetzung des remanenten Magnetismus sorgt, der zusätzlich ein Rauschen erzeugt. In preiswerteren Geräten wurde ein sogenannter „Kombikopf“ für Aufnahme und Wiedergabe verwendet und mit einem umschaltbaren Verstärker verbunden.
Eine Spur von Luxus
Bei anspruchsvolleren Geräten, besonders bei Maschinen für den professionellen Einsatz, sind ein kompletter Aufnahmezweig und ein davon unabhängiger Wiedergabezweig vorhanden. Damit ist es problemlos möglich, die Qualität einer gerade laufenden Aufnahme in Sekundenbruchteilen durch den Wiedergabezweig zu kontrollieren. Diese „Hinterbandkontrolle“ beruhigt den Tonmann, dass alles wie gewünscht auf dem Band ist; heutige Digitalgeräte verzichten in den meisten Fällen auf eine solche „Beruhigung“. Darüber hinaus wird es möglich, die analoge Aufnahmequalität individuell einzustellen, also die Maschine auf einen bestimmten Bandtyp einzumessen und besondere Qualitäten zu bieten. Zusammengefasst sind für die Köpfe folgende Kriterien wichtig:
• kleinste Spaltbreite für höchste Frequenzen
• geringe Eigenkapazität, damit in Verbindung mit der Induktivität keine Resonanzen im Hörbereich entstehen, für einen ausgeglichenen Frequenzgang
• gute magnetische Abschirmung gegenüber äußeren Störfeldern, um Brummen zu verhindern
Fast wie beim Plattenspieler
Wenn beim Wiedergabevorgang ein Band mit verschiedenen Frequenzen, aber gleich starkem Magnetismus am Kopf vorbeiläuft, so steigt mit steigender Frequenz gemäß dem Induktionsgesetz die induzierte Spannung – bei doppelter Frequenz ergibt das auch etwa die doppelte Spannung. Dies geht aber, physikalisch bedingt, nicht linear über den gesamten hörbaren Frequenzbereich vor sich – ab einer bestimmten Frequenz rücken die auf dem Band befindlichen Magnetpole so nah zusammen, dass sie in der Schicht des Bandes verschwinden und keine Induktion nach außen in den Kopf hinein erzeugen. Das Gerät bleibt stumm. Die frequenzmäßig resultierende Spannung am Kopf hat zu höheren Frequenzen den in Bild 3 dargestellten Verlauf. Hier kann mit der entsprechenden Entzerrung im Wiedergabeverstärker eingegriffen und der Frequenzgang recht gut linearisiert werden.
Doch damit nicht genug, was die Qualität der Höhenwiedergabe anbelangt, ein weiterer Effekt sorgt für eine begrenzte Wiedergabe von hohen Frequenzen: der Spalteffekt. Hierbei kommt der Begriff „Bandwellenlänge“ zum Tragen. Es handelt sich bei diesem Begriff um die Beschreibung der Abhängigkeit zwischen der maximal aufzeichenbaren Frequenz, der Bandgeschwindigkeit und der Spaltbreite des Wiedergabekopfes. Wenn ein Band zum Beispiel mit der Geschwindigkeit von 9,5 cm/s läuft, so hat es bei 16 kHz eine Bandwellenlänge von 6 µm. (9,5 cm: 16 000 Hz = 0,0059 mm). Hat nun der Wiedergabekopf genau diese Spaltbreite, so passt ein kompletter magnetischer Wellenzug in den Spalt – es erfolgt keine Spannungsinduktion und demzufolge keine Wiedergabe. Der Spalt muss also entweder kleiner gemacht oder die Bandgeschwindigkeit erhöht werden.
Auch bei den tiefen Frequenzen verläuft nicht alles so aalglatt, wie man sich das wünscht, „untenrum“ gibt es dank der Physik ebenfalls Unzulänglichkeiten in der Linearität der Wiedergabe. Hier spielt uns abermals die Bandwellenlänge ins Handwerk. Es ist diesmal nicht der Spalt, der für Welligkeit sorgt, sondern das gesamte Kopfpaket, das mit dem Band in Berührung kommt. Hier wieder ein kleines Rechenbeispiel: Angenommen, das Band berührt den Kopf auf einer Länge von 5 mm und läuft an diesem mit einer Geschwindigkeit von 19 cm/s vorbei, so ergibt sich 19 cm : 5 mm = 38 Hz. Das heißt, bei 38 Hz hat der Frequenzverlauf ein Maximum und bei 76 Hz (ein gesamter Schwingungszug passt dann auf das Kopfpaket) folglich ein Minimum.
Spur halten und durchziehen
Wenn schon von tausendstel Millimetern die Rede ist, muss spätestens bei der Führung des Bandes am Kopf höchste Präzision gefordert werden. Besonders exakte Bandführungen bestehen dann schon gern mal aus Edelsteinen oder zumindest aus Edelstahl. Wenn das Band – auch „Schnürsenkel“ genannt – kilometerweise an diesen Führungen vorbeigleitet, wirkt es durchaus wie eine Säge. Die Führungselemente zeigen einen Einschliff, die Präzision geht langsam, aber sicher verloren. Das ist bei der Schallplatte etwas leichter: Durch die Rille wird die Nadel zwangsgeführt, und die Einstellung einer Skatingkraft ist ein Klacks gegenüber der Einstellung einer Bandführung.
Ebenso wie die Schallplatte gleichmäßig unter der Nadel gedreht werden muss, so ist auch der Transport des Bandes vor den Köpfen ein direktes Qualitätskriterium für guten Klang. Vom Direkttriebler über den Riemenantrieb oder gar das Reibrad bis zum Masselaufwerk finden wir auch hier alles, was gegen „wow and flutter“ immun macht. Jeder Hersteller bringt da seine ureigenen Erfahrungen ein und sorgt auf seine Weise für einen gleichmäßigen Antrieb. Man sieht diese Antriebe allerdings nicht, denn sie befinden sich unterhalb der Deckplatte.
Eine Frage der Breite
In den 1940er Jahren, das Tonband war noch nicht einmal aus der Pubertät heraus, hatte der findige Tonmeister der RRG (Reichs-Rundfunk-Gesellschaft) Albrecht Krüger in Berlin eine umwälzende Idee: Statt das Band in seiner ganzen Breite mit nur einem Signal („Spur“), also in Mono zu bespielen, sollten doch auch zwei Spuren übereinander für Stereo möglich sein. Toningenieur Alan D. Blumlein war schon in den 1930er Jahren die Idee gekommen, zwei Mikrofone so anzuordnen, dass eines nur nach links, das andere nur nach rechts „hört“, also aufnimmt. Blumlein hatte damit eine Stereomikrofon-Anordnung geschaffen, mit der Tonmeister Krüger jetzt perfekt aufnehmen konnte. Diese ersten Stereo-Aufnahmen fand man übrigens nach dem Mauerfall wieder und digitalisierte sie.
Die weitere Entwicklung in der Audiotechnik, ganz besonders in den 60er und 70er Jahren, brachte unter anderem das vielkanalige Mischpult ins Tonstudio – den Beatles sei Dank. Und warum nicht jedem dieser Kanäle eine eigene Magnetspur zur Verfügung stellen? Damit ließ sich einfach alles aufnehmen und später in Ruhe „abmischen“. So kam es, dass sich schließlich bis zu 32 Spuren auf einem Band drängelten. Der klassische „Senkel“ mit einer Breite von ¼ Zoll (6,35 mm) war dafür natürlich viel zu schmal, daher verbreiterte man die Audio-Autobahn bis auf das Achtfache: Es war die Geburt der Mehrspurtechnik, die schließlich bei einer Bandbreite von 2 Zoll (50,8 mm) endete.
Lichtbilder und Bremskräfte
Mittlerweile hatte man sich auf zwei Geschwindigkeiten geeinigt, mit denen das Band an den Köpfen vorbeigezogen wurde: 19,05 und 38,1 cm/s. Diese Werte stammen nicht etwa aus der Lostrommel, sondern haben einen wortwörtlich „einleuchtenden“ Hintergrund: Sie stehen in direktem Zusammenhang zur gleichzeitig mit der magnetischen Tonaufzeichnung aufkommenden Bildaufzeichnung. Das gebräuchlichste Filmmaterial für Wochenschau, Doku oder kleinem Spielfilm war 16 Millimeter breit. Wurde dieser Film nun mit 24 Bildern pro Sekunde gedreht und projiziert, so hatte er genau die Geschwindigkeit von 19,05 Zentimetern pro Sekunde. Was lag da näher, als den synchron zum Bild laufenden Ton mit der gleichen Geschwindigkeit aufzuzeichnen? Daher hat zum Beispiel die Nagra (siehe FIDELITY Nr. 9, Ausgabe 5/2013: „Das audiophile Schweizermesser“) bei genau dieser Geschwindigkeit die höchste Aufzeichnungsqualität. Und 38,1 cm/s waren einfach eine Verdoppelung der Geschwindigkeit, um für das Schneiden etwas mehr Platz zu haben. Dieses geschah tatsächlich mit einem Messer oder einer antimagnetischen Schere und wurde daher auch als „blutig“ bezeichnet.
Natürlich erforderte eine vergrößerte Breite des Bandmaterials auch kräftige Verbesserungen an der Mechanik: Je breiter das Band, desto schwieriger dessen Führung. Ein weiteres Qualitätsmerkmal war die Wickeleigenschaft der Tonbandmaschinen. Während es bei der Platte genügte, den Tonarm anzuheben und weiterzuschieben, musste das Band zum Abspielen eines weiteren Musiktitels an die entsprechende Stelle vor- oder zurückgespult werden. Daraus machten die Maschinenhersteller ebenfalls eine Aussage für technische Qualität: Wie lange braucht das Gerät, um 1000 Meter Band umzuspulen? Zwei Minuten sind angesagt!
Kunststoffe und die richtige Reife
Bei derart präzisionsgetriebener Gerätemechanik mochten die Bandhersteller nicht hintanstehen. Aus der Einhaltung einer gleichmäßigen Bandbreite einerseits und der Spezialbeschichtung mit dem zu magnetisierenden Material andererseits ergaben sich die verschiedensten Rezepturen. Jeder Hersteller hatte genau an dieser Stelle sein bestgehütetes Geheimnis, war doch gerade diese Rezeptur direkt verantwortlich für gleichmäßigen Ton und minimales Rauschen! Hinzu kam noch die Ruhe für die Reife. Der Abkühlungsprozess war hier genauso wichtig wie bei der Schallplatte; zu schnelles Abkühlen führte zu Verschmierungen und schlechten Wickeleigenschaften.
Taschenformat oder Pfannkuchen?
Schon früh erkannte man die Möglichkeit, einhergehend mit der Präzision bei der Kalandrierung (so heißt das gleichmäßige Auswalzen des Bandes auf eine bestimmte Dicke), die Bänder ohne jegliche Führung von außen aufzuwickeln. Sie hielten, allein stabilisiert durch ihre Breite, die Spule in Form. Derlei „freitragende Wickel“ waren Standard in der Rundfunk- und Plattenindustrie, konnte man doch ohne umständliches Fädeln schnell auf das Band zugreifen, es blitzschnell an den Köpfen vorbeiführen, auf den Aufwickelkern ziehen und sofort starten. Gerade das Viertelzoll-Band war extrem stabil auf der Spule, selbst bei einem Spulendurchmesser von 30 cm (12″). Der Tonbandfreund zu Hause musste sich allerdings mit Normalspulen abfinden, denn die Gefahr, dass ein Wickel abfiel, war einfach zu groß.
Gewickelt wurde im Studio übrigens auf den sogenannten AEG-Kern (nicht vollends überraschend von AEG erfunden), einen Blechteller, der in den angesagten Studios auch gern als Flaschenöffner für Kronkorken oder als Aschenbecher (Rauchen war da noch nicht verboten) eingesetzt wurde. Liebevoll gab man ihm den Namen „Bobby“. In der Digitaltechnik gibt’s so was ja nicht mehr: Softdrinks haben Schraubverschluss und Rauchen ist verboten!