Winfried Dulisch auf den Spuren von
Elvis Presley
Alle Pop-Stars besuchten schon mal Graceland in Memphis, Tennessee. Anschließend fuhren sie weiter zum Geburtsort des King of Rock ’n’ Roll
Die Eltern seiner Fans sahen mit ihm den „Untergang der christlich-abendländischen Kultur“ kommen. Oder sie beschimpften ihn zumindest als „Negermusiker“ und wussten oft gar nicht, wie richtig sie mit dieser Einschätzung lagen.
„Elvis ist unser bester Mitarbeiter“, erklärt die afroamerikanische Verkäuferin im Southern Folklore Shop an der Main Street in Memphis. Allein schon wegen der Hintergrundmusik – rabenschwarze Blues- und Boogie-Raritäten, die wohl nie den Weg nach Europa finden werden – lohnt sich ein Besuch in diesem Souvenirladen.
In einer Ecke steht hier ein Papp-Elvis. „Die Besucher lassen sich mit ihm fotografieren und werfen einen Dollar in die Spendendose. Elvis bringt immer noch mindestens zehn Dollar pro Tag“, erklärt die Verkäuferin. „Im Spätsommer können es auch schon mal 50 bis 100 Dollar sein.“ Dann kommen die Fans und gedenken seiner. Der King starb am 16. August 1977 in seiner Villa Graceland, Elvis Presley Boulevard 3717, Memphis, Tennessee, an … – ja, an was denn eigentlich?
Heartbreak Hotel
Das weiß doch jeder Elvis-Fan: Der King starb an gebrochenem Herzen. Ein Hotel in Memphis buhlt um jene Klientel, die genau das gleiche Herzeleid verspürt; der Beherbergungsbetrieb firmiert als Heartbreak Hotel. Dabei war ausgerechnet dieser Song der erste, den der King 230 Meilen weiter nördlich in Nashville für das weltweit operierende RCA-Label eingespielt hatte. Der Kreißsaal des Rock ’n’ Roll – das Aufnahmestudio von Sun Records – steht aber an der Union Avenue, Ecke Sam Phillips Avenue, in Memphis.
Der Plattenproduzent Sam Phillips hatte hier in den Fifties die kreativen Köpfe rauchen lassen. Zum Beispiel den von Jerry Lee Lewis, der noch immer nicht genau weiß, ob er ein lammfrommer Gospel-Sänger oder ein sadistischer Boogie-Woogie-Klavierverstimmer ist. Oder Johnny Cash, der die höchste Auszeichnung erhielt, mit der ein glaubwürdiger Sänger gewürdigt werden kann: Er genoss in der Countrymusic-Kathedrale Grand Ole Opry von Nashville ein Auftrittsverbot, das erst kurz vor seinem Tod aufgehoben wurde.
Heute besuchen Pop-Fans – nicht nur die Elvis-Verehrer – das Sun Studio und bewundern die Tonbandmaschinen und andere Produktionsmittel. Jane White, Pressesprecherin dieser Kultstätte, erzählt: „Wenn Musiker hierhin kommen, fangen sie automatisch an zu singen. Außer Bob Dylan. Er hat dort, wo Elvis bei seiner ersten Plattenaufnahme gestanden hatte, einfach nur den Boden geküsst.“
That’s Alright Mama
B.B. King und andere Blues-Größen waren ebenfalls Stammgäste im Sun Studio und inspirierten weiße Nachahmer. 1954 ermunterte Sam Phillips einen 20-jährigen Lastwagenfahrer, den Blues-Oldie „That’s Alright Mama“ zu singen – eine Minute und siebenundfünfzig Sekunden später hatte die globale Jugendkultur ihre Unschuld verloren und Elvis Aaron Presley seinen ersten Hit im Kasten. Afroamerikanische Musikhistoriker nennen lieber 1951 als Geburtsdatum des Rock ’n’ Roll: da produzierte Sam Phillips den Boogie „Rocket 88“ mit Ike Turner’s Band – genau jener Ike, den die Pop-Welt heute als koksenden und prügelnden Ehemann von Tina Turner kennt.
Im Memphis Rock ’n’ Soul Museum beginnt die Popularmusik-Geschichte des Mississippi Delta bei der Memphis Jug Band. Dieses Grüppchen mit ständig wechselndem Personal kreierte in den 1920ern jenen Sound, der 30 Jahre später den britischen Skiffle-Boom auslöste. Schräg gegenüber vom Museum steht das Verwaltungsgebäude der Gitarrenmanufaktur Gibson. Noch ein paar Schritte weiter liegt jene Beale Street, wo der junge Elvis den Straßenmusikern die Zutaten für seine Melange aus weißem Country und afroamerikanischem Blues abgelauscht hatte.
John Doyle, Direktor vom Rock ’n’ Soul Museum, bedauert: „Heute spielt die Musik nicht mehr auf der Straße, sondern in den Clubs.“ Zum Beispiel im berühmtesten Blues-Club der Welt: B.B. King’s Restaurant and Blues Club, 143 Beale Street, Memphis. „Aber wenn du wirklich wissen willst, wo der Blues herkommt, dann geh in das Cotton Museum, keine fünf Minuten entfernt von hier.“
Danke für diesen Tipp. Hier versteht auch der Nicht-Amerikaner, welche kulturelle Leistung die Baumwollpflücker vollbrachten, wenn sie nach Feierabend ihre afrikanischen Rhythmen mit den Melodien europäischer Einwanderer vermengten.
Blue Suede Shoes
Auf dem Weg zum Cotton Museum liegt im Parterre des Peabody Hotels die Herrenausstatter-Boutique der Lansky Brothers. Die Hoflieferanten des Rock ’n’ Roll-Hochadels firmieren als „Clothier to the King“. Im Schaufenster hängen Blousons und Hemden, bei denen der Fashion-Freak mit der Zunge schnalzt: Aaah, typisch Elvis. Der eigentliche Hingucker ist aber ein Paar blaue Wildlederschuhe – laut Geschäftsführer Hal J. Lansky „ein beliebtes Souvenir vor allem für britische Teddy Boys und deutsche Rockabilly-Fans“.
Mr. Presley scheint sich verdammt wohl gefühlt zu haben in den Klamotten der Brüder Lansky, denn an den Wänden ihrer Boutique hängen Gitarren, die der dankbare Kunde seinem Einkleider geschenkt hatte. Aber was ist das alles im Vergleich zu den Cadillacs und anderen Schlitten, die er verschenkt hatte an seinen Clan, der ihn auf Graceland von der schnöden Welt abschirmte.
Welcome To My World
Hier am Elvis Presley Boulevard lebte und starb der Namensgeber dieser Straße. Zum Gedenken an seinen Todestag kommen die Fans jedes Jahr Mitte August zur Hausnummer 3717 und zelebrieren eine Mischung aus Trauerfeier, Karneval, Sommerfest und Abschied von der ewigen Jugend.
Die Villa Graceland und das dazugehörige Anwesen sind heute eine nationale Gedenkstätte – und keineswegs nur für Elvis-Freaks. Hier hängen viele Bühnen-Outfits, mit denen er seine Korpulenz zu kaschieren versuchte. Die Kellerwände sind gekachelt mit goldenen Schallplatten. Und auf der gegenüberliegenden Straßenseite bewundern die Straßenkreuzer-Fans im Elvis Car Museum jene chromblitzenden Oldies, mit denen der schüchterne Junge aus Tupelo, Mississippi sein Ego aufpolierte.
Tupelo Mississippi Flash
Wer dem King aber wirklich ganz nahe kommen will, der muss anderthalb Autostunden runter nach Südosten fahren. In Tupelo, einem Städtchen im Bundesstaat Mississippi, interessiert sich niemand für den Las-Vegas-Showstar und Hollywood-Schnulzenheini Elvis. Hier wird leise und behutsam an seine Kindheit und Jugend erinnert.
Allenfalls der Hardware Store an der Main Street in Tupelo macht ein bisschen Rummel um die Tatsache, dass Mama Presley ihrem Sohn hier 1945 seine erste Gitarre kaufte. Heute kommen Elvis-Imitatoren aus aller Welt in diesen 1926 gegründeten Familienbetrieb und lassen sich vom Geschäftsführer erzählen, wie das damals war: „Der Junge wünschte sich eigentlich ein Gewehr. Die Mama hat zum Glück nicht auf ihn gehört.“
Crying In The Chapel
Unmittelbar neben seinem Geburtshaus – eine Holzhütte mit zwei Zimmerchen – ließ der zu Ruhm und Geld gekommene Hüftenwackler E. A. Presley eine Kirche bauen. Darin zeigt eine Videoshow, wo und wie der King beten und singen gelernt hatte. Brautpaare aus aller Welt heiraten hier und führen anschließend garantiert eine glücklichere Ehe als Elvis und Priscilla Presley.
REISETIPPS MEMPHIS & MISSISSIPPI
Flugverbindungen nach Memphis/TN:
Delta Air Lines fliegt ab Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und München (Zwischenstopp in Atlanta/Georgia)
Hotel-Tipps:
Peabody – das berühmteste Grandhotel der Mississippi-Region bietet nostalgischen Südstaaten-Flair (www.peabodymemphis.com)
River Inn – das Boutique-Hotel punktet mit seinem Blick auf den Mississippi und europäisch anmutendem Komfort (www.riverinnmemphis.com)
Sleep Inn – zentral, aber ruhig gelegenes Komfort-Hotel mit einer Haltestelle der nostalgischen Straßenbahn vor der Tür (www.sleepinn.com)
Kostenlose Reiseinformationen über Memphis und den Staat Mississippi: www.memphis-mississippi.de
Die „amtliche“ Presley-Website: www.elvis.com