Raidho X1 – The Artist is Present
Wie klein können große Lautsprecher werden? Eine überraschende Antwort aus Dänemark, dem Land der Wahrheit
Lars Kristensen hatte schon immer ein Faible für große Musik aus zu kleinen Lautsprechern. Der ehemalige Frontmann des US-Kabelherstellers Nordost verewigte sich in den Annalen des High-End-Messewesens, als er einen diabolischen Plan in die Tat umsetzte und unter dem Deckmantel einer Kabelvorführung ein Paar wehrloser Kompaktboxen den Trommel-Berserkern Safri Duo zum Fraß vorwarf. Warum danach keine Tieftönermembranen von der Wand zu kratzen waren, ist ein bis heute ungelöstes Rätsel.
Michael Børresen ist dagegen eher der stille, konstruktive Typ. Als ihn vor gut zwölf Jahren das Schicksal an einem Hotdog-Stand mit seinem alten Freund Lars zusammenführte, bestand sein Tagwerk noch vornehmlich aus dem Bau von Gepäcktrolleys für Flughäfen. Daran, sein Hobby Lautsprecherbau zu professionalisieren, hatte er bis dato keinen Gedanken verschwendet – vielleicht weil seine volle Aufmerksamkeit dem Bändchenhochtöner galt, den er gerade fertig entwickelt hatte. Kristensen hörte aufmerksam zu und verstand sofort. Kurz darauf gründeten die beiden Freunde das Unternehmen Raidho. Der Rest ist Geschichte.
Eine Raidho-Box folgt sehr klaren Design-Ideen. Børresen liefert eine schöne Einführung in seine Philosophie, als er meine Frage nach dem Grund für die etwas spezielle Aufstellungsempfehlung für seine Lautsprecher – mindestens drei Meter auseinander und einen Meter von der Rückwand entfernt – so beantwortet: „Wenn Lautsprecher sehr störungsarm sind, kann die Basisbreite vergrößert werden, ohne dass dies die Stabilität der Abbildung beeinträchtigt. Das ist der Schlüssel zu allen Raidho-Lautsprechern und der Hauptgrund, warum sie so einen tiefschwarzen Hintergrund bieten und warum die Musik dermaßen den Raum füllt, anstatt in der Box festzustecken.“ Man merke sich die Stichwörter: Störungsarm, Stabilität der Abbildung, tiefschwarzer Hintergrund und raumfüllende Musik.
Die zierliche, mit 5000 Euro alles andere als billige, im Vergleich mit dem Rest der Familie aber zumindest erschwingliche Kompaktbox namens X1, die 2014 das Neonlicht der Fachmessen erblickte, folgt diesen Grundsätzen nicht weniger als ihre Schwestern. Ein innen stark verstrebtes Bassreflexgehäuse aus MDF beherbergt eine geschlossene Kammer für das legendäre Børresen-Bändchen mit rekordverdächtiger 0,02 Gramm leichter Membran und starken Neodym-Magneten. Darunter liegt der Tiefmitteltöner mit Keramik-Sandwichmembran. In einem 60 Stunden dauernden elektrochemischen Prozess wird die Oberfläche des Aluminiumkonus in Aluminiumoxid umgewandelt, bis von der ursprünglichen Metallstruktur nur noch eine Mittelschicht von einem Drittel der Gesamtdicke übrig bleibt. Das Resultat ist das Beste aus zwei Welten: die überragende Härte von Keramik, die die Eigenresonanz der Membran weit über den Arbeitsbereich des Chassis hebt, gepaart mit der hohen inneren Dämpfung einer Sandwichstruktur. Zusammen mit dem ausgeklügelten, auf Einzelmagnete anstelle der üblichen Ringe setzenden „offenen“ Antrieb ergibt dies ein Chassis, dem sein Erbauer quasi ideale Eigenschaften zuschreibt, die keiner korrigierenden Eingriffe seitens der Frequenzweiche bedürfen. So fällt Letztere, glaubt man Børresen, regelrecht simpel aus: „Die Weiche ist eine traditionelle Zweiwege-Weiche zweiter Ordnung mit guten Bauteilen.“
Mag es auch einen ausgesprochen schicken und filigranen Ständer für die X1 geben, der im selben hochglänzenden klavierlackähnlichen Finish daherkommt und die Box perfekt ergänzt, so ist Raidhos Kleinste doch durchaus auch als Monitor gedacht. Und zwar im ernsthaften, ursprünglichen Sinn des Wortes: als Arbeitsgerät, als akustisches Kontrollinstrument. Darum ist die Unterseite des Gehäuses mit schwarzem Filz bezogen. So lässt sich der Lautsprecher klapperfrei auf einem Mischpult platzieren. Spikes sucht der erfahrene Highender an Box und Ständer übrigens vergebens. Diese Art der Ankopplung hält Børresen für kontraproduktiv. Er favorisiert stattdessen Entkopplung und Leichtbau für seine Lautsprecheruntersätze. Wo anfangen bei der Klangbeschreibung? Hier zum Einstieg die wichtigsten Erkenntnisse aus den mitunter verwirrenden ersten Wochen mit den Raidhos. Erstens: Die X1 ist kein Lars-Kristensen-Akustiksprengsatz. Sie kann laut, und sie vollbringt bei erhöhtem Pegel auch einige ganz großartige Dinge. Den Party-Percussion-Dance-Techno von Safri Duo habe ich dann aber doch wieder ins Regal gestellt. Zweitens: Kleine Boxen müssen nicht für kleine Räume geschaffen sein. Das Paar X1 will tatsächlich viel Luft um sich herum. Dafür darf der Hörer auch gerne mit den Däninnen ins gleichseitige Dreieck in den Nahfeld-Clinch. Drittens: Der persönliche Maßstab für „genügend Bass“ kann durch eine Begegnung mit den Raidhos nachhaltig erschüttert werden. Qualität geht vor Quantität – da erteilt die X1 eine überaus eindrucksvolle Lektion. Viertens: Lautstärkerpotis müssen an den wirkungsgradschwachen Raidhos um bis zu „eine volle Stunde“ weiter aufgedreht werden als mit üblichen Um-die-89-Dezibel-Kandidaten. Trotzdem erklingt die Musik freier, dynamischer und offener. Kurz: Die Raidho X1 sind für wundervolle Überraschungen gut.
Wie fortfahren mit der Klangbeschreibung? Naheliegend wäre eine Ode an die Chassis. Aber Einzelkomponenten herauszugreifen wäre falsch angesichts des überragenden Gesamteindrucks, den die Kompakten in meinem Raum hinterlassen. Die hochohmigen, sich mit einem fast linealglatten Impedanzverlauf schmückenden Boxen lassen meine vertrauten Naim-Verstärker wie nach einer Verjüngungskur tönen: allerfeinst aufgefächert in den Klangfarben, springlebendig in der Basswiedergabe wie überhaupt in der dynamischen Ansprache, räumlich bis zur Auflösung der Rückwand. Ich erkenne die Amps kaum wieder – beziehungsweise erkenne ich die fantastische Qualität meines dps-Analoglaufwerks, so scheint’s mir, erst jetzt vollkommen. Die Raidhos führen mühelos die eherne Souveränität des Münchner Drehers und das famose Auflösungsvermögen des montierten Lyra Kleos vor – und, tja, die Überlegenheit des Analogzweigs gegenüber dem zwar hochmusikalischen, im Vergleich aber nun fast etwas brav klingenden CD-Player. Wobei sich der Electrocompaniet EMC 1 Up wieder bestens in Szene setzt, als eine CD des Cellisten Alban Gerhardt auf dem Programm steht. Der Virtuose hatte mir einige Stunden zuvor noch selbst auf seinem Ausnahmeinstrument – ein gigantisches, vielfach geflicktes, holzwurmzerfressenes, dreihundert Jahre altes Monster aus der Werkstatt von Matteo Goffriller – vorgespielt. Ja, genau dieser glockig strahlende Ton ist auf der CD eingefangen. Ich sehe Gerhardt vor mir, spüre die Attacke des Bogens, nehme hautnah die Streichgeräusche wahr. Wie schaffen diese Böxchen es bloß, eine solche fast holografische Präsenz herzustellen?
Erlebnisse dieser Art werden zur Regel in den Wochen mit den Raidhos. Plastizität, Unmittelbarkeit, Dreidimensionalität, kurz: ein packendes „Es passiert jetzt und hier“ Gefühl ist der hervorstechende Charakterzug der kleinen Monitore.
Das macht sie zur zweiten Wahl all jener, die vor allem „schön Musik hören“ wollen. Sorry, falsche Baustelle. Die Raidhos sind der Wahrheit verpflichtet. Monitore eben. Auf einer Aufnahme mit Chormusik lassen sie keinen Zweifel daran, dass die Sänger nicht sitzen, sondern stehen. Bei komplexen Mixen dröseln sie die Klangschichten auf, dass man in Echtzeit mitschreiben könnte. Da macht sich das perfekte Zusammenspiel des ultraschnellen Bändchens mit dem Konuschassis bemerkbar. Niemals schmiert etwas zu, vor allem die Sprachdeutlichkeit bei Sängern ist bestechend, egal, was um sie herum geschieht. Am Bass ist überraschend wenig auszusetzen. Wunder werden hier nicht vollbracht, Børresen selbst nennt durchaus ehrlich 60 Hertz als Minus-drei-Dezibel-Punkt – das gilt manchem noch als tiefer Mittelton. Aber der subjektive Eindruck ist der von schlackenloser Durchzeichnung und Respekt gebietendem Punch. Meine Theorie: Die Obertöne, die ja jeden Basston erst definieren, kommen hier ausnehmend klar und unverzerrt, sodass sich das Gehirn die Grundnote müheloser dazurechnet als bei einem voluminöseren, aber unsauberer agierenden Konkurrenten.
Erstaunlich, wie wenig ich dieser Tage meine Standlautsprecher vermisse. Ja, ich ertappe mich immer wieder beim Gedanken ,Damit könnte ich leben‘. Was für mich die Raidhos zu etwas Besonderem macht, ist der einzigartige Eindruck von Offenheit und Präsenz, die sie allen akustischen Instrumenten und Stimmen verleihen. Als ob Børresen und Kristensen da auf eine Formel gestoßen wären, ein Geheimrezept, wie sich Klänge aus der Kiste „entkisten“ lassen. Ähnliches kannte ich bisher nur von Nicht-Boxen wie reinen Folienwandlern. Denen ging dann aber wieder dieser springlebendige Kick ab, der die X1 auszeichnet.
Ein paar Musiktipps zum Schluss? Bitte: Das Gemeinschaftsprojekt unter dem Titel For The Stars von Anne Sofie von Otter und Elvis Costello. Track zwei, „Baby Plays Around“. Wie da die hauptberufliche Opernsängerin von Otter ihr Organ auf Schummerlicht dimmt, um die traurige Geschichte der fremdgehenden Ehefrau zu erzählen – man hält unwillkürlich selbst den Atem an und leidet mit. Oder etwas völlig anderes: 180 Gramm Vinyl vom Label Sommelier du Son, eine Aufnahme aus dem Zisterzienser-Kloster in Noirlac in Südfrankreich, die Platte heißt Soyeusement – Live in Noirlac. Beginnt die Platte noch mit feinem Renaissance-Jazz (Michel Godard bläst das Serpent), werden die Dinge mit dem Auftritt des Stimmakrobaten Gavino Murgia unversehens, nun ja, merkwürdig. Und das muss man einfach erlebt haben, wie die Raidhos die kehlkopfschnarrende Performance Murgias, die fünf Minuten lang rein aus dem linken Kanal tönt und wirklich nicht leicht zu verdauen ist, vollkommen mühelos in den Hörraum transportieren und ohne mit der Wimper zu zucken die dynamisch höchst anspruchsvollen Passagen mit maximaler Intensität, aber eben nicht anstrengend, zu etwas absolut Hörenswertem machen. Das ist ganz große High-End-Kunst.
Kompaktlautsprecher Raidho X1
Prinzip: 2-Wege-Kompaktlautsprecher, Bassreflex
Wirkungsgrad (1 W/1 m): 85 dB
Nennimpedanz: 6 Ω
Bestückung: Bändchenhochtöner, Konus-Tiefmitteltontreiber mit 100-mm-Keramikmembran
Trennfrequenz: 3,5 kHz
Besonderheiten: Single-Wiring ausschließlich mit Bananenstecker, vorbereitet für Verschraubung mit hauseigenem Ständer, keine Frontabdeckung
Ausführung: Klavierlack schwarz
Maße ohne Ständer (B/H/T): 14,5/32/23 cm
Gewicht: 8 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Paarpreis: 5000 € (Lautsprecher), 500 € (Ständer)
Gaudios KG
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