VPI Scout II + Periphery Ring – Die wunderbare Welt der Schwerkraft
Viele Legenden sind Schaumschläger, sie gewinnen nur dank vernebelter Erinnerungen an Statur. Manche aber werden mit der Zeit tatsächlich immer besser.
Es ist eine nette, unspektakuläre Routine: Seit vielen Jahren kommt mein stets gut gelaunter Paketbote ein- bis zweimal in der Woche zu mir und übergibt mir mit einem strahlenden Lächeln zumeist recht kompakte Päckchen. Vielleicht ist seine gute Laune ja darin begründet, dass es meistens wirklich kleine Päckchen sind? Neulich war er nämlich deutlich anders drauf, als er ein zuvor von FIDELITY angekündigtes Paket anlieferte. Bereits beim Öffnen der Tür nehme ich nicht nur einen leicht verschwitzen Paketboten wahr, sondern auch – erstmals in all den Jahren – eine Sackkarre, beladen mit einem gewichtigen Paket: Der VPI Scout II ist da! Und der Paketbote findet erst beim Rückzug – mit leerer Sackkarre – sein Lächeln wieder.
Selbstverständlich sollte man sich zuvor schon um eine passende Stellfläche für den US-Plattenspieler gekümmert haben. Doch leichte Tische oder dünne Sperrholzbretter, wie sie häufig in Racks zu finden sind, mag der satte 18 Kilo schwere Scout II nicht. Viel besser ist da beispielsweise eine massive Schieferplatte, die nicht nur klanglich, sondern auch optisch sehr gut zur schwarzen Zarge des Masselaufwerks passt. Kontakt zur Stellfläche stellt der Scout II über vier Aluminiumkegel mit eingelassenen halbrunden Gummifüßchen her. Sie sorgen für den kippelfreien Stand der rund 35 Millimeter dicken MDF-Zarge mit der an ihrer Unterseite verschraubten Drei-Millimeter-Stahlplatte. Sobald die Zarge mittels Dosenlibelle optimal ausgerichtet ist, kann der schwere Plattenteller auf das Lager gesetzt werden. Der fette Teller des Scout II ist übrigens der einzige echte Unterschied zum Scout 1.1., dem kleineren und günstigeren Bruder. VPI lockt ja grundsätzlich mit vielfältigen Aufrüstungsoptionen für seine Plattenspieler, doch wir werden noch sehen, dass der Teller des Scout II keineswegs nur schwerer ist als der vom Scout 1.1, sondern auch einen ganz entscheidenden Funktionsvorteil besitzt. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
Der durchzugsstarke Antriebsmotor wohnt sinnvollerweise in einem eigenen Gehäuse und wird in die passende Aussparung der Zarge gestellt. Abschließend legt man den Rundriemen um Teller und Motorpulley, der die gewünschte Umdrehungszahl über unterschiedliche Durchmesser definiert. Auch hier erkennt man die Liebe zur Perfektion, denn die beiden Geschwindigkeiten (33 1/3 und 45 U/min) lassen sich am Pulley durch minimal abgestufte Durchmesser feinfühlig einstellen.
Der nächste logische Schritt ist, einen passenden Tonabnehmer in den Scout-Arm zu montieren. Das ist mithilfe der mitgelieferten Schablone recht einfach zu bewerkstelligen. Etwas kniffeliger ist das Ausrichten der Lateralbalance. Zwar bietet das ebenfalls mitgelieferte Aluminiumstäbchen, das auf dem Headshell abgelegt wird, gewisse Fluchtlinien, wesentlich genauer lässt es sich allerdings mit dem Justageblock von Millennium Audio ausrichten. Falls man den gerade nicht zur Hand hat, tut’s auch das gute alte Geodreieck aus der Schule. Übrigens lässt sich mit beiden Werkzeugen auch gut der vertikale Abtastwinkel einstellen. Sind Lateralbalance und Auflagekraft über das exzentrisch gebohrte Gegengewicht erst einmal eingestellt, lässt sich das Tonarmrohr des Scout-Arms – eine klassische Einpunktkonstruktion – binnen weniger Sekunden gegen ein anderes Exemplar mit vorjustiertem Abtaster tauschen. Sehr praktisch!
Von einigermaßen geschickten Händen aufgestellt, sollte bereits nach einer knappen halben Stunde die erste LP auf dem Plattenteller liegen können. Ein durchaus klangentscheidendes Detail bei der Aufstellung ist, das ein kleines mitgeliefertes Gummiplättchen unter das Label der Schallplatte gelegt und erst dann die Plattenklemme aufgeschraubt wird. Die Platte liegt dann, sofern sie keine massiven Höhenschläge aufweist, absolut plan auf dem Teller auf. Als Belohnung winkt direkt nach dem Absenken der Nadel in die Rille der LP ein überaus sauberer und absolut stimmiger, großzügiger Klang, der sich nicht nur über die Basisbreite der Lautsprecher erstreckt, sondern auch die Tiefe des Aufnahmeraumes in voller Pracht ausbreitet. Bei Cassandra Wilsons „Strange Fruit“ etwa, das auf ihrem Album New Moon Daughter gleich als Einstieg zu hören ist, wird der gezupfte Bass zu einem wahren Feuerwerk, die hart angerissenen Gitarrenseiten scheinen aus den Lautsprechern zu springen, als ob sich die Musiker im Wohnzimmer befinden. Die ohnehin besser als gute Raumdarstellung des VPI stellt dann die etwas später einsetzende Trompete stimmig und stabil ganz weit hinten in den Raum. Aber auch mit klassischen Aufnahmen weiß der Scout II bestens umzugehen: Er verleiht ihnen in den passenden Momenten die benötigte Ruhe, um feinste Details aufzuzeigen, und die Durchzugskraft in lauten Passagen, wenn es angemessen ist.
Bereits an diesem Punkt des Hörtests vermisse ich rein gar nichts – und wäre damit eigentlich auch schon zufrieden am Ende angelangt … würde da nicht noch ein weiteres, flaches Paket auf mich warten, das quasi im Schatten des – im wahrsten Sinne – großen Scout II eintraf: der „Periphery Ring“. Echte VPI-Kenner werden diese „Ring Clamp“ sicher schon länger kennen, wird sie doch beim großen Laufwerk HRX serienmäßig mitgeliefert und – na klar – als Aufrüst-Option für diverse Plattenspieler des Hauses angeboten. Dafür jedoch muss mindestens der Plattenteller des Scout II vorhanden sein. Ein Scout 1.1 beispielsweise ist für den Periphery Ring nicht geeignet, weil dessen Plattenteller der entscheidende kleine „Kragen“ zum präzisen Auflegen schlicht fehlt.
Über den nicht gerade geringen Preis der Ring Clamp – ein stabiler vierstelliger Eurobetrag – lässt sich allerdings nur so lange diskutieren und spekulieren, bis man den Ring selbst in den Händen hält. Denn nur dann „begreift“ man im Wortsinne, dass der Periphery Ring nicht einfach aus einem massiven Aluminiumblock heraus gedreht wurde, sondern auch auf allerfeinste Art verarbeitet ist. In der Szene wird glaubhaft gemunkelt, dass zehn solcher Ringe gefertigt werden müssen, um am Schluss zwei perfekt rundlaufende Exemplare zu erhalten. Diese bekommen dann auf der Innenseite drei fleece-ähnliche Pads aufgeklebt, die ein sanftes Aufsetzen auf den hochglanzpolierten VPI-Plattenteller ermöglichen.
Der Begriff „Peripherie“ definiert übrigens die gekrümmte Begrenzungslinie einer geometrischen Figur, meist der eines Kreises. Das passt hier wirklich gut: Nach dem Aufsetzen des Periphery Rings auf den Aluminiumteller des Scout II, der extra dafür den besagten winzigen Kragen an seinem Rand bietet, sieht der Scout II nicht nur gleich erwachsener aus, sondern zeigt auch, dass die zusätzliche Schwungmasse des Tellers sich auch klanglich positiv bemerkbar macht. Was meine Meinung untermauert, dass Laufwerke mit zu leichten Plattentellern meist recht ausgedünnt und nervös erscheinen. Eine Erhöhung der Masse des Plattentellers verursacht fast immer eine harmonischere und ruhigere Abbildung der Musik. Im bereits erwähnten Song von Cassandra Wilson wirkt beispielsweise nicht nur der gezupfte Bass noch eine ordentliche Nuance schwärzer und die scharf angerissene Gitarre mitreißender, sondern auch die markante Stimme noch klarer konturiert.
Der Periphery Ring entfaltet übrigens auch „eine Etage höher“ seine wohltuende Wirkung: Er lässt sich wahlweise nämlich direkt auf den Außenrand der abzuspielenden Schallplatte legen. Erneut wird auch hier die perfekte Passgenauigkeit des Rings deutlich: Man muss sich in keinster Weise Sorgen um das empfindliche Vinyl oder gar den Tonabnehmer machen. Im Zusammenspiel mit dem schon erwähnten kleinen Gummipad unter dem Label der LP und der aufgeschraubten Plattenklemme erweckt der aufgelegte Periphery Ring den Eindruck, dass Schallplatte und Plattenteller nun wie aus einem Guss sind. Das symbiotische Zusammenwirken funktioniert sogar bei LPs mit leichtem Höhenschlag, die sonst den Tonabnehmer nach so manchem Schlagloch beinahe abheben lassen, überraschend gut.
Aus klanglicher Sicht gefällt mir die „Obenauf-Option“ sogar noch besser. Auf dem Rand des Vinyls drapiert, bringt der kostbare Ring noch ein bisschen mehr Ordnung auf die virtuelle Bühne, staffelt die ohnehin vorzügliche räumliche Abbildung des Scout II noch feiner. Er bewirkt insgesamt eine deutlich intensivere und kontrollierte Performance. Auch die Abtastfähigkeit des Tonabnehmers gewinnt durch den Periphery Ring an Stabilität und Kontrolle und hebt den derart geadelten Scout II nun endgültig auf ein Niveau, das ich ihm trotz seiner hervorragenden Grundkonstruktion eigentlich gar nicht zugetraut hätte.
Plattenspieler
VPI Scout II + Scout Tonarm
Prinzip: Masselaufwerk mit Riemenantrieb und Einpunktlager-Tonarm
Geschwindigkeiten: 33 1/3 und 45 U/min
Besonderheiten: separater Motor, manuelle Geschwindigkeitswahl per Umlegen des Riemens; sehr einfacher Tonarmwechsel; Plattenteller für „Periphery Ring“ geeignet, diverse Upgrades möglich
Tonarm: 9“ effektive Länge, Einpunktdrehkonstruktion, mittelschwer
Gewicht: 18 kg
Maße (B/H/T): 48/38/17 cm
Garantiezeit: 2 Jahre
Preis: 3250 €
Zubehör
VPI Periphery Ring
Prinzip: Präzisionsring zur Außenauflage für spezielle VPI-Plattenteller
Material: hochglanzpoliertes Aluminium, aus dem vollen Material gedreht
Durchmesser (innen/außen): 300/343 mm
Gewicht: 1,8 kg
Preis: 1150 €
H.E.A.R. GmbH
Arnd Rischmüller
Rappstraße 9a
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