Classidelity: J. v. Immerseel/Anima Eterna Brugge
Sinfonischen Rösser, die immer und immer wieder zur Schlachtbank geführt werden? Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in der Instrumentation Ravels gehören dazu. Interessant ist, dass die Überflutung vor allem den Tonträgermarkt betrifft, nicht aber das städtische Konzertleben. Der Grund: Es handelt sich um ein sinfonisches Showpiece ersten Ranges. Orchester und Dirigent können in allen Facetten auftrumpfen und die Plattenfirmen haben einen Verkaufsrenner, der die heimische Stereoanlage so richtig zum Röhren bringt. Warum also eine Besprechung einer erneuten Einspielung? Ganz einfach: So hat man das Werk noch nicht gehört. Ursprünglich auf die Originalklangästhetik des 18. Jahrhunderts spezialisiert, treten Immerseel und seine Musiker seit einigen Jahren an, das russische und französische Repertoire des späten 19. Jahrhunderts neu auszuleuchten; und in neuem Licht leuchtet hier fast alles. Bereits die einleitende Trompetenfanfare hat einen fahlen, beinahe schon morbiden Charme und macht klar: Hier ist nicht strahlender sinfonischer Glanz, vielmehr das Untergründige, das Archaische der Komposition im Blick. Es knarzt und rumpelt in den Kontrabässen und Fagotten, Klangfarben tauchen auf, die man von diesem Werk noch nicht kannte. Dabei sind die Tempi keineswegs rasant, wie man es häufig von Originalklangexperten kennt, sondern immer ruhig ausleuchtend auf den Charakter der Bilder bezogen. Deshalb: Vergessen Sie für einen Moment ihre bisherigen Aufnahmen von Reiner bis Rattle und hören Sie Mussorgsky/Ravel in Reinkultur. Und vergessen Sie bitte auch nicht Ravels Ma Mere L’oye!