2222+ Recording – Raumklang mit dem fulminanten Paukenschlag …
FIDELITY-Autor Claus Volke im Gespräch mit Werner Dabringhaus (Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG)
Vor rund zwölf Jahren führte Werner Dabringhaus vom Label MDG seine Sechskanaltechnik „2+2+2 Recording“ vor, die seither viele Musikbegeisterte weltweit fasziniert. Nun hat der Tonmeister diese Technik noch einmal um zwei Kanäle erweitert. Das Ergebnis heißt nun „2222+“ und nimmt den Hörer mit einer sehr natürlichen Räumlichkeit sofort gefangen – freie Platzwahl inklusive.
Mitten in der malerischen Residenzstadt Detmold steht eine eher unscheinbare alte Villa, in der das Herz des audiophilen Klassik-Labels MDG (Musikproduktion Dabringhaus und Grimm) schlägt. Zum Stil des Hauses gehört, für jede Aufnahme erst einmal einen passenden Raum auszuwählen, um der Komposition und der Besetzung gerecht zu werden: Sinfonisches wird in ausgesuchten Konzertsälen aufgenommen, Orgelwerke führen oft in die entlegensten Regionen, und für Kammermusik-Produktionen wählt man vorzugsweise die akustisch fein austarierte Fürstliche Reitbahn in Bad Arolsen oder den Konzertsaal der Abtei Marienmünster. Sodann wird mit nur wenigen Mikrofonen und puristischer Technik an der Interpretation gefeilt …
… und plötzlich finde ich mich inmitten der historischen Stadthalle Wuppertal wieder. Auf den Rängen rund um mich herum wird heftig applaudiert. Hier Bruckners Nullte Sinfonie in der Beethovenhalle in Bonn, da der Wechsel zu Mozarts Klavierkonzert 451 mit Christian Zacharias im Metropol, Lausanne, dort der Festsaal des Schosses Esterhazy in Eisenstadt mit dem original Haydn-Klang …
Wirklich verblüffend, wie realistisch die verschiedenen komplexen Klangräume mit dem „2222+“-System im Hörraum abgebildet werden.
FIDELITY: Herr Dabringhaus, wie kamen Sie auf die Idee für „2+2+2 Recording“?
Werner Dabringhaus, MDG: Mit der Entwicklung der DVD-Audio bzw. der Super Audio CD bekamen wir plötzlich die Möglichkeit, mehr als die herkömmlichen beiden Stereokanäle zu übertragen. Doch was tun mit den zusätzlichen Übertragungswegen? Die Videowelt hatte sich ja unmittelbar mit der 5.1-Surroundtechnik verschworen – eigentlich eine Adaption der Quadrofonie aus den 70er Jahren, die einen beträchtlichen Zugewinn an Räumlichkeit bot. Dabei half der Centerkanal das Problem der fehlerhaften Ortung zu lösen, indem die Dialoge durch einen zusätzlichen Monolautsprecher in der Mitte der Leinwand zu orten sind.
Was war der entscheidende Ansatz?
Tatsächlich wollten wir ursprünglich quadrofon einsteigen und die beiden weiteren Kanäle einfach unbenutzt lassen, denn wer gewohnt ist, auf dem exakten Stereo-Punkt zu hören, der benötigt keinen zusätzlichen Monolautsprecher in der Mitte. Nun hört der Mensch seit je her dreidimensional – wir hören den Vogel oben auf dem Ast und überprüfen allenfalls mit den Augen, ob er da auch wirklich ist. Dieses 3D-Hören ist unsere Natur – und wir wollten einfach diese Dimension bei der Musikwiedergabe zu Hause genauso schaffen. Daraus wurde „2+2+2 Recording“ …
… mit aktuell weit mehr als 100 Titeln im Katalog.
Ja – und dem Vorteil, dass eine „2+2+2“-Aufnahme ohne weitere Maßnahmen auch in 5.1 oder 5.0, in quadro oder stereo abgespielt werden kann – sie ist also zu all diesen Formaten abwärtskompatibel nutzbar.
Was ist in der Praxis zu beachten?
Seit der Einführung der Stereofonie gibt es nur noch einen optimalen Hörplatz, exakt an der Spitze des berühmten Stereodreiecks. Wenn man den Abstand und die Basisbreite der beiden Lautsprecher überprüft hat, so ist es ganz einfach, die Surround-Norm nach ITU für die beiden hinteren Lautsprecher und den Center zu erfüllen: Sie befinden sich genau auf dem Kreis (Radius = Basisbreite) um den Hörplatz herum. Die dritte Dimension bei „2+2+2 Recording“ wird erreicht, indem exakt über den Stereo-Lautsprechern ein weiteres Paar vorne aufgestellt wird, das um die halbe Stereo-Basisbreite erhöht ist.
Bereits Ihre „2+2+2“-Technologie verblüfft durch eine sehr natürliche dreidimensionale Klangwiedergabe, und das mit nur drei Paar Lautsprechern. Jetzt wollen Sie acht Lautsprecher im Raum platzieren?
Bei der „2222+“-Ausbaustufe werden auch die hinteren Boxen durch ein zusätzliches erhöhtes Paar ergänzt.
Das wird sicherlich dann sehr interessant, wenn man Werke hört, bei denen Klänge räumlich verteilt von vorne und von hinten aufgeführt werden?
Ja, das kann bei Renaissance-Musik wie z.B. von Schütz, Gabrieli, aber auch bei Mahler, Schostakowitsch, Verdi oder in der zeitgenössischen Musik jederzeit der Fall sein. Ich erinnere mich an ein Konzert mit der Haydn Philharmonie. Man gab die Ouvertüre zu „La fedeltà premiata“, bei dem die beiden Hornisten ihr Solo immer von anderen Ecken des Saales gespielt haben – zunächst als einmalige Überraschung für den Dirigenten Adam Fischer gedacht, dann aber zur Gaudi des Publikums immer wieder. Wir haben es dann exakt so auch produziert – Haydn hätte sicher seinen Spaß gehabt.
Und dann gibt es auf dieser Aufnahme ja auch noch den „lautesten“ Paukenschlag der Aufnahmegeschichte …
Es gibt eine nette Erklärung dazu: Als Adam Fischer als kleiner Junge die Sinfonie im Konzert gehört hatte, war er enttäuscht; die Pauke sei viel zu leise. Also ging sein Papa mit ihm zum Maestro, welcher sagte: „Weißt Du was: Wenn Du mal groß bist, wirst Du Dirigent – und dann machst Du das besser“. Nun, genau das hat er gemacht, und den Erfolg kann man jetzt zu Hause überprüfen. Und glauben Sie mir: Das ist der originale Kalbfellklang – ohne jede Manipulation.
Aber was für Lautsprecher nehme ich? Immerhin haben sich viele Musikliebhaber lange damit auseinandergesetzt, „ihren“ Stereoklang zu optimieren.
Nun, „2222+“ ist nach wie vor ein stereofones Verfahren. Also können die hochwertigen Stereolautsprecher weiter benutzt werden und bleiben klangbestimmend. Grundsätzlich eignen sich alle Lautsprecher für das „2222+“-System, es empfiehlt sich aber, für die Boxen der oberen Positionen möglichst dasselbe Fabrikat wie das der Stereo-Lautsprecher zu wählen. Kein Problem ist, die oberen Lautsprecher kleiner als die unteren zu wählen, denn für den Tiefbass sind sie sowieso nicht zuständig. Viel wichtiger ist, dass die Anlage einmal vom Fachmann eingemessen wird, damit alle Lautsprecher mit demselben Pegel spielen. Wenn das geschehen ist, genießt der Hörer überall im Raum besten und natürlichen 3D-Klang.
Überall?
Ja, es besteht freie Platzwahl, wie im Konzertsaal – einer der wichtigen Vorteile von „2222+ Recording“.
Wie verhält es sich mit der Elektronik?
Fast jeder 7.1-Receiver hat einen Vorverstärkerausgang, an den Sie Ihre bestehende Stereo-Kette aus Endstufe und Lautsprecher anschließen können. Alle anderen Lautsprecher werden dann unmittelbar an den 7.1-Receiver angeschlossen.
Und welches Equipment braucht man für den 8-kanaligen Musikgenuss?
Es gibt ja längst Verstärker, die mehr als 5.1-Kanäle liefern. Für den ultimativen Heimkino-Genuss sind bereits Geräte mit zehn oder sogar zwölf hochwertigen Endstufen auf dem Markt. Sie lassen sich alle problemlos für die „2222+“-Technik einsetzen.
Und die Abspielgeräte?
Viele der heutigen Abspielgeräte sind Multitalente – und nur diese empfehlen wir: Sie können neben Blu-ray und DVD-Video auch DVD-Audio, SACD und CD wiedergeben. Sind die Aufnahmen einmal in der „2222+“-Technologie produziert, können sie ohne weiteres in den 3D-Wiedergabeformaten „2222+“ und „2+2+2 Recording“, aber auch in den 2D-Formaten wie 7.1, 5.1, Quadro und Stereo wiedergegeben werden. Umgekehrt lassen sich alle Stereo- und 5.1-Produktionen innerhalb des „2222+“-Setups wiedergeben.
Etwas komplizierter gestaltet es sich allerdings mit den Wiedergabegeräten. Mittlerweile hat sich als Nachfolgemedium der DVD die Blu-ray-Disc etabliert, die in der Lage ist, unkomprimiert 8-Kanal-Ton wiederzugeben. Allerdings ist einer der Kanäle derzeit nur als Effektkanal für den Anschluss eines Subwoofers definiert, der auf der Blu-ray-Disc zwar mit vollem Frequenzgang zur Verfügung steht, sich jedoch innerhalb der Verstärkerelektronik nur mit begrenztem Frequenzgang herauspicken lässt. Das ist zunächst einmal ein klarer Rückschritt, denn schon auf der SACD können wir seit Jahren alle sechs Kanäle gleichwertig für die „2+2+2“-Wiedergabe benutzen.
Die Lösung ist die neueste Generation Blu-ray-Audio: Über ein HDMI-Kabel mit dem Mehrkanalverstärker verbunden, können zunächst bei „2+2+2“-Wiedergabe die angeschlossenen Lautsprecher (vorne/oben) direkt angesprochen werden. Die 8-Kanal-Wiedergabe ermöglicht uns die „Auro 3D“-Technik, die in einem normalen DTS-5.1-Stream insgesamt bis zu 11.1 Kanäle unterbringen kann. Das Ganze funktioniert dank DTS-HD absolut verlustfrei und ist für unser klassisches „2222+“ in jedem Fall geeignet.
Ist die Blu-ray-Audio dann die Zukunft der Audioindustrie?
Wir müssen schauen, wie der Markt reagiert und ob für die kleinen Klassiklabel die Investition machbar sein wird, denn derzeit liegen sehr hohe Lizenzkosten auf dem Datenträger, etwa für einen nicht benötigten Video-Kopierschutz.
Ist dann Ihr „2222+ Recording“ eine Vision oder schon Realität?
Die Mehrkanalaufnahmen machen wir schon seit Jahren in „2222+ Recording“ – und haben sie bisher als „2+2+2“ auf der SACD bzw. DVD-Audio veröffentlicht. Alternativ steht das Download-Portal HD-Klassik.com zur Verfügung. Hier können Musikstücke mit bis zu acht Kanälen digital geladen werden.
Nun sind gerade die ersten beiden Blu-ray-Audio-Scheiben fertig geworden. Auf „Diabolo“ befindet sich neben 28 Musiktracks aus allen Bereichen und Besetzungen der Klassik auch noch ein umfangreiches Hörtest- und Einstellprogramm für jede Art von Wiedergabekonfiguration. Schließlich gibt es noch ein prall gefülltes Haydn-Portrait mit dem Wiener Klaviertrio, der Pianistin Jin Ju und der bisher unveröffentlichten Klaviervariation f-Moll Hob. XVII:6, der Haydn Philharmonie mit der Ouvertüre „La fedeltà premiata“, dem Trompetenkonzert mit Wolfgang Bauer und natürlich der Sinfonie 94 ‚Surprise’ …
… die mit dem fulminanten Paukenschlag!
Dabringhaus und Grimm Audiovision GmbH
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