FIDELITY Vintage: EMT 948. Wenn der Klang aus der Tondose kommt.
Vom Rückwärtsläufer zum Fader Start …
Manche Tonstudiogeräte haben durchaus das Zeug, als High-End in die Wohnzimmer der Audiophilen zu gelangen. So findet neben klassischen Tonbandmaschinen von Studer oder Telefunken auch so mancher Plattenspieler der Firma Elektro-Mess-Technik Franz aus dem Schwarzwaldort Lahr seinen Platz im HiFi-Regal – zum Beispiel der Stations-Plattenspieler EMT 948.
Im Jahr 1940 gründete der Elektroingenieur Wilhelm Franz in Berlin eine Firma, die sich mit Messtechnik für den Rundfunk beschäftigte. Bedingt durch den II. Weltkrieg und die drohende Zerstörung seines Werkes in Berlin verlegte er seine Firma allerdings nur drei Jahre später in den kleinen Ort Lahr im Schwarzwald. Dort begann er auch mit der Herstellung von Plattenspielern. 1966 erwarb Wilhelm Franz, zusammen mit seinem Bruder Walter, zusätzlich die Mehrheit an der Schweizer Firma Thorens. Dies führte dazu, dass nun auch diese Plattenspieler in Deutschland gebaut wurden. Daher ist eine Ähnlichkeit zwischen Thorens- und EMT-Plattenspielern auch heute noch sehr auffällig.
Musik wird zelebriert
Jeder richtige Highender, der sich mit der Plattenspielertechnik beschäftigt, weiß, dass es an vielen Stellen eines solchen Gerätes auf’s Milligramm oder den Mikrometer ankommt. Schwere Masselaufwerke bewegen geräuschlos eine 180-Gramm-Scheibe, aus deren Rille ein feingeschliffener Diamant seine Vibrationen an winzige Spulen weitergibt, deren millionstel Bruchteile von Volt in speziellen Verstärkern zu hörbarer Musik gemacht werden. Hochglanzverchromt und auf speziellen Füßen steht diese Maschine dann als Blickfang im Regal, umgeben von Geräten in massiven Gehäusen, schwungvoll beschriftet mit dezent leuchtenden Lämpchen, die für den Musikgenuss eine heimelige Atmosphäre schaffen. Diese Verstärker, vom begeisterten Highender in vielen langen Sitzungen liebevoll auf sein HiFi-System abgeglichen, bekommen einen Ehrenplatz in der Manege audiophiler Kostbarkeiten.
Shades of Grey
Im Tonstudio ist der Alltag grau. „Hochglanzchrom“ trägt dort den Namen „RAL 70-32“ und hört auf die technische Bezeichnung „kieselgrau“ – eine Normfarbe, mit der in den 70ern und 80ern fast alle Studiogeräte lackiert werden. So fügt sich auch der „Stations-Plattenspieler EMT 948“, wie es auf Radiodeutsch heißt, unauffällig in so manche Regie. Der EMT 948 konnte wahlweise als Tischgerät oder, wenn er zu bestimmten Sendungen aus der Ecke geholt werden musste, im Rollwagen „RAL 70-43“ – natürlich in „Verkehrsgrau B“ – eingebaut werden. Die speziellen Füße waren dann Lenkrollen, feststellbar. Statt als Masselaufwerk war dieser Plattenspieler als Direkttriebler aufgebaut. Sein Plattenteller aus speziellem Aluminium wiegt ohne Gummimatte nur etwa 200 Gramm; die Gummimatte selbst bringt gut 550 Gramm auf die Waage. Es ließe sich nun vergnüglich darüber streiten, ob es sich vielleicht doch um ein direktgetriebenes Masselaufwerk handelt …
Der Motor selbst macht einen sehr robusten Eindruck. Kein Wunder, muss er doch – und das ist Studiotechnik! – den Plattenteller mit aufliegender Gummimatte, Schallplatte und Nadel in der Rille innerhalb von 0,2 Sekunden auf Solldrehzahl bringen, ohne auch nur den Hauch eines Leierns zu erzeugen. Diese Zeit vergeht nämlich, wenn der Toningenieur an seinem Mischpult, an das der Plattenspieler natürlich angeschlossen ist, den Regler von „Aus“ auf „0dB“ reißt. Sobald der Regler die Stellung „Aus“ verlässt, schließt ein Kontakt und startet den Plattenspieler, dessen Nadel 200 Millisekunden vor dem ersten Takt des zu spielenden Titels in der Rille liegt. Den Beginn des Titels hatte der Tonkollege vorher gefunden, indem er die Platte solange hat rückwärts (!) laufen lassen, bis der erste Ton unter der Nadel war. Jetzt wurde der Teller angehalten und mit dem Finger von der kleinen Markierung mit der Aufschrift „33“ oder – entsprechend „45“ – zum Punkt (rechts) zurückgedreht. Diese Strecke legt der Teller mit Platte in 0,2 Sekunden zurück. Das Ganze nennt man im Studio „Eincuen“.
Vorbereitung ist alles
Der liebevolle Abgleich des Phonoentzerrers auf das Tonabnehmersystem geschieht zuvor im EMT-Werk. Denn dort hat man die meiste Erfahrung mit Entzerrung und Verstärkung – und mit Betriebssicherheit. Durch seine mit der Rundfunkmesstechnik gesammelten Erfahrungen konnte Wilhelm Franz einen Plattenspieler entwickeln, der mit seinen sämtlichen Eigenschaften lückenlos in die damalige Studioumgebung passte. Dazu gehörte auch die Konstruktion eines eigenen Systems: die Tondose „TSD 15“. Diese wurde quasi mit dem Aufkommen der Schallplatten-Stereotechnik entwickelt; sie wird übrigens auch heute noch hergestellt. Auf diese Tondose wurde auch der direkt im Plattenspieler einzuschiebende Verstärker optimiert. Da das System ein MC-Typ mit einer Ausgangsspannung von ca. 1mV ist, kommen am Eingang Übertrager zur Anwendung; hier findet auch die nötige RIAA-Entzerrung statt. Die Ausgangsspannung des Plattenspielers wird dann auf einer gesonderten Platine erzeugt, beträgt sie doch etwa 1,55 Volt (+6dBu Studiopegel) bei einem Ausgangswiderstand von ca. 30 Ohm – es könnte ja sein, dass die Studioverkabelung bis zum Mischpult etwa 30 Meter oder mehr beträgt – symmetrisch natürlich. Weitere Platinen dienen der aufwändigen Motorsteuerung, dem elektronischen Tonarm-Lift und einem kleinen Kopfhörerverstärker für das Cueing. Der Plattenspieler ist also ein „Stand-Alone“-Gerät mit allem Drum&Dran für den „Plug&Play“-Betrieb.
Praktische Zaubertricks
Die Plattentellerauflage ist aus einfachem Gummi, hat es aber in sich. Denn im Studio muss es immer schnell gehen. So auch das Abnehmen und Auflegen einer Schallplatte, selbst wenn diese unterschiedliche Durchmesser haben. So befinden sich „Griffmulden“ für diese gängigen Größen im Umfang der Matte; 17-, 25- und 30-cm-Schallplatten lassen sich quasi im Tellerumdrehen abnehmen. Und dann gibt es ja noch die kleinen Singles mit dem großen Mittelloch. Auch dieses kleine Problem
lässt sich durch einen geschickten Dreh in der Mitte des Tellers lösen: Der „Puck“ – bei den meisten Spielern ein Zubehörteil, nach dem immer gesucht werden muss – „entspringt“ beim EMT 948 aus der Mitte. Das Versenken übernimmt dann die nächste Platte mit kleinem Mittelloch. Und wer als Highender die Justage von Überhang und Kröpfung selbst vornehmen will, der drehe doch einfach mal die Gummimatte um: Hier befindet sich das Messfeld, mit dem diese Einstellungen schnell und unkompliziert ausgeführt werden können.
Ausgleichende Physik
Antiskating und Auflagegewicht brauchen eigentlich nicht sonderlich erwähnt zu werden. Die Einstellung erfolgt beim 948 auf einfachste Weise durch Gegengewicht (Skating) und Feder (Auflagekraft).
Skating, ein weiterer kleiner Stolperstein der Physik, nennt sich der Umstand, dass ein Abtastsystem, das auf der sich drehenden Platte liegt, stets nach innen gezogen wird, erzeugt durch die Reibung zwischen Nadel und Platte. Bei Stereo-Wiedergabe hat das zur Folge, dass die Nadel den linken Kanal stärker abtastet als den rechten. Ausgleichen lässt sich dies durch eine Vorrichtung, die den Tonarm mit der gleichen Kraft nach außen zieht, wie er nach innen wandern würde. Realisiert wird das entweder durch eine entsprechende Feder oder ein Gegengewicht, das über einen Hebelmechanismus wirkt und den Arm nach außen zieht.
Der besondere Reiz des EMT 948 liegt in seiner absoluten Schlichtheit, die gerade bei genauerem Hinsehen erkennen lässt, dass mit ihm die Schallplatten-Wiedergabetechnik bis in die letzte Neigung einer Rillenflanke durchdacht und realisiert wurde. Da verschwindet auch schon mal das „Techno-Design“ hinter der puren Musik von der Platte, die dann exakt so klingt, wie die Aufführung hinter dem Regiefenster.