FIDELITY zu Gast bei Peter Qvortrup, Audio Note – Brighton Up My Life!
Audio Note bündelt seine vielen kleineren Produktionsstätten und zieht endlich unter ein gemeinsames, größeres Dach. FIDELITY kommt pünktlich zum Umzug. Aber nicht zum Helfen. Vielmehr ist „Stören und Hören“ angesagt!
Selbstverständlich werde ich nicht mithelfen! Seit dem eigenen Umzug vor ein paar Jahren ist es endgültig vorbei mit meiner Hilfsbereitschaft in Sachen Schlepperei. Wenn mich jemand zur „Umzugsparty“ einlädt, stehe ich gern für Logistik oder Shuttleservice zur Verfügung. Aber richtig anpacken – das sollen die jungen Leute, am besten die Profis. Mir reicht das übliche HiFi-Geschleppe völlig.
Warum also reise ich nach England zu Audio Note? Ich bin dort mit Peter Qvortrup verabredet, weiß aber, dass seine Firma gerade mitten im großen Umzug steckt. Ganz schön gefährlich. Doch mich lockt ein digitaler Geniestreich, ein spezieller D/A-Wandler.
Wie – das Digitale ist Ihnen völlig egal? Dann haben Sie noch nicht den „Ladder DAC“ von Audio Note gehört. Ein erster Prototyp dieses Digital-Analog-Wandlers, der nach dem ebenso uralten wie puristischen „R2R-Prinzip“ funktioniert, hat mich auf der letztjährigen hifideluxe sofort begeistert. Der eigentlich „nicht vorzeigbare Prototyp“, den Peter Qvortrup im Handgepäck mit sich führte und ansonsten versteckt hielt, wurde auf der hifideluxe nur für ein paar kurze Minuten in die Demoanlage eingeschleust, extra für den neugierigen Journalisten CB. Und was der dort vom – leider völlig unbezahlbaren – Prototypen gehört hat, lässt ihn seither nicht mehr los.
Mittlerweile gibt es bereits eine zweite „entscheidende Verbesserung“ und einen entsprechend aufgebrezelten Prototypen – den sollte ich mal hören! Der „Ladder DAC 2.0“ sei zwar genauso wenig vorzeigbar wie das Handgepäck von letzten Jahr, klanglich aber nochmals auf einem ganz anderen Level. Ich gebe gerne zu, dass ich in diesem speziellen Fall wieder so richtig heiß auf digitale Musikwiedergabe geworden bin. Klar, dass die Performance einer Digitalmaschine überhaupt nichts (mehr) mit „digital“ oder „Wiedergabe“, sondern ausschließlich mit Musik zu tun haben soll, das behaupten andere Hersteller von ihren Spitzenmodellen natürlich auch. Doch ganz ehrlich: Audio-Note-Produkte mögen im Vergleich zu den meisten Hightech-Apparaten harmlos wirken, aber wartet nur, bis die Musik einsetzt, Freunde – diese M–U–S–I–K!
Kennengelernt habe ich Audio Note als pulsierenden Organismus, strukturell an „Instrumentenbau à la carte“ erinnernd. Neben der klassischen Manufaktur-Fertigung umfasst er jede Menge penible Tüftelei und extrem tief reichende Materialforschung, dazu endlose Hörtests und eine gesunde Portion kreatives Chaos – plus genialisches Momentum hier und da. Und weil all dies eben nicht an einem einzigen zentralen Ort stattfindet, sondern auf viele kleine Standorte in der Region Brighton verteilt ist, fährt ein Teil des AN-Teams für den interdisziplinären Austausch ganz schön viele Kilometer zusammen. Immerhin, dem Fuhrpark der Firma scheint das nichts auszumachen, besteht er doch zu fast 100 Prozent aus Mercedes-Youngtimern. Qvortrup liebt „things that are properly designed“, was unter anderem auch „reliable and serviceable“ bedeutet. So ist der Chef nebenbei auch ständig auf der Jagd nach neuen Alten – mit Stern auf der Haube und ordentlich Hubraum darunter.
„Wie viele Mercedes-Cars besitzen Sie eigentlich, Mr. Q?“ Peter Qvortrup hat mich am Flughafen mit einem schwarzen AMG-Kombi aufgesammelt und überlegt. „Keine Ahnung, vielleicht fünfundzwanzig?“ Es gibt derzeit Wichtigeres, als den Fuhrpark durchzuzählen. Was ohnehin nicht so ganz einfach ist: Ein paar Perlen parken in einer Garage weiter draußen in East Sussex, zudem stehen meist zwei, drei Kombis der Baureihe 124 beim Stammschrauber zum Service. Und irgendein exotisches Rechtslenkerschnäppchen wird wohl auch gerade wieder von Japan nach Brighton unterwegs sein. Ja, das Thema Auto ist nett, hat aber keine Priorität. Speziell in diesen Wochen hat der Fuhrpark schlicht zu funktionieren.
„Und wie steht’s nun mit dem Umzug?“ Audio Note hat ein Gebäude im benachbarten Partridge Green gekauft, Baujahr 1970 und ganz ordentlich in Schuss. Das neue Hauptgebäude bietet rund viermal so viel Platz wie das bisherige, somit können endlich Produktion und Forschung, aber auch Trafo-, Übertrager- und Spulenwicklerei, Materiallager, Verwaltung und sogar eine Kantine unter ein gemeinsames Dach ziehen. Apropos: Unterm Dach des neuen Gebäudes soll es extra Stauraum geben, um kubikmeterweise Röhren- und Bauteil-Vorräte zu bunkern. Da fahren wir jetzt hin und schauen mal nach.
Vielversprechende Begrüßung: Die Alarmanlage ist aktiviert. Der Chef meistert den Zugangscode, eilt die erste Treppe hoch und siehe da: Ein Großteil der Schätze ist bereits unterm Dach verstaut und sorgfältig archiviert. “Mind your head”, warnt uns Colleen Murphy, die auf gar keinen Fall fotografiert werden möchte, vor den tiefer sitzenden Dachträgern am Rand. Colleen ist für die grundsätzliche Logistik des Umzugs zuständig – ein Wahnsinnsjob, den sie mit Bravour und eiserner Disziplin stemmt. Und Qvortrup, der hier vermutlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten seine Lieblingsröhren auf Anhieb findet, öffnet gleich einmal ein paar ziemlich große Pappschachteln: eine Röhre schöner als die andere, und das größte Exemplar würde jeden Leuchtturm schmücken. Wieder im Erdgeschoss. In den Einzelbüros des Managements stehen gigantische, aus 200 Jahre altem Möbelbestand gefertigte Schreibtische. Auf Qvortrups wachsen die ersten Papierstapel. Direkt daneben: eine gut erhaltene „Beau-Decca“-Musiktruhe mit magischem Auge und eingebautem Schellackplattenspieler.
Draußen in der einen Halle steht ein Dutzend neuer Arbeitstische parat, parallel wartet eine ganze Reihe internationaler Bestellungen auf finale Bestückung. Im benachbarten Klimaraum werden zahlreiche Messgeräte neu eingerichtet, Qvortrup aber strebt direkt zu einer waschmaschinengroßen Apparatur in einer hinteren Ecke. „Das Ding ist selbst gebaut, von A bis Z“, und zwar von „Marko The Marauder“ (dt.: „Plünderer“) für „Darko The Destroyer“ („Zerstörer“). Ja, auch die beiden AN-Neuzugänge aus Kroatien haben sich die höchste Anerkennung vom Chef – martialische Künstlernamen – redlich verdient. Darko Greguras ist als „Zauberlehrling von Hexenmeister Andy Grove“ (siehe FIDELITY Nr. 11, Ausgabe 1/2014) angestellt, als Digitalexperte treibt er auch den Ladder DAC voran. Marko Borovac wiederum beweist unglaubliches Geschick auf allen möglichen Gebieten, und sein klimatisierter Prüfautomat für spezielle Widerstände ist womöglich der entscheidende Schritt, um den Ladder DAC tatsächlich einmal in Serie fertigen zu können. Die unscheinbare Kiste erledigt das akribische, extrem zeitaufwendige Selektieren und Beschriften von Widerständen automatisch, sodass es plötzlich nicht völlig ausgeschlossen scheint, eine „vielleicht nur fünfstellige Summe“ für den Ladder DAC aufzurufen … Mir ist ein bisschen blümerant. Doch es kommt noch besser.
Wir fahren hinüber in die alte Fabrik. Dort läuft die Produktion weiterhin auf Hochtouren, vom bevorstehenden Umzug ist fast nichts zu spüren. Was ist denn in dieser Nebenkammer los? Zwei üppige Kupferblöcke, mit je zwei Röhren bestückt, besetzen ein wehrloses Schwerlastregal, darunter vier weitere Dickschiffe in Schwarz. Hexenmeister Andy Grove murmelt ein paar Eckdaten in seinen Bart: … Auftragsentwicklung für einen sehr guten Kunden … das Mögliche ausloten … Monos mit je zwei Netzteilen … Massivkupfergehäuse … maßgefertigte Trafos und Übertrager … de facto frei wählbare Röhrenbestückung … noch besser als Gaku-on … Setpreis sicherlich noch unter einer Million … – Ah, o. k., verstanden. Ich darf das eigentlich alles gar nicht wissen. Und der Versuch, einen der Ultra-Amps auch nur an einer Ecke anzuheben, scheitert kläglich.
„Was ist nun mit dem Ladder DAC?“ Nun, der ist wieder einmal als eine Art Wanderpokal im verzweigten Audio-Note-Netzwerk unterwegs. Andy Grove lötet derzeit nur noch schnell ein paar andere Elkos ein, übrigens Maßanfertigungen aus Japan. Bei Rubycon hat sich ein junger Entwickler als sehr kooperativ erwiesen, um den teils irrwitzig anmutenden Forderungen von Grove und Qvortrup zu entsprechen. Die beiden haben mit zahlreichen Prototypen und in endlosen Hörsitzungen ganz konkrete Vorstellungen entwickelt, wie das Bauteil beschaffen sein muss, um so gut wie die berühmten Black Gates zu klingen. Diese sind offiziell längst vergriffen, und irgendwann werden selbst die üppigsten AN-Vorräte zur Neige gegangen sein. Dann wird auch Ordnungsfee Colleen nicht mehr helfen können. Aber Vorsorge ist ja nun getroffen, die erste Charge der Elkos ist angekommen.
Um den Ladder DAC ernsthaft zu hören (ja, bitte!!!), verabreden wir uns beim einzigen Außenposten, der auch nach dem Umzug unverändert bleiben wird: der Hörraum bei Peter Qvortrup zu Hause, die letzte Instanz für einfach alles. Zuvor müssen wir nur noch kurz beim alten „Shop“ vorbeifahren. Die AN-Keimzelle in Brighton wird seit kurzem von Dale Linzey betrieben, der sie langsam in die „Audio Note Lounge“ verwandelt. Zur Feier der Wiederinbetriebnahme hat Dale, der sein Faible für sonnige Farben auch in dieser Ex-Räuberhöhle pflegt, gleich einmal einen Tomei-Amp in Sonnengelb lackieren lassen. Harmoniert übrigens prächtig mit den warmweißen Lampen, die hier die übermannshoch gestapelten LP-Vorräte erleuchten. Nun aber auf zur letzten Instanz. „Wer hat eigentlich den Ladder DAC im Handgepäck?“ Andy Grove stellt den begehrten Wandler im Hörraum des Chefs auf und sinniert noch ein paar Minuten über dem Edelbauteil-Konglomerat; ändern will er heute aber nix mehr. Warum auch! Der R2R Ladder DAC liefert bereits im kalten Zustand eine Performance, die mich nicht nur aufhorchen, sondern versinken lässt. Selbstverständlich klingt es hier, im Zweit-Allerheiligsten der Firma, sowieso schon mal besser als in einem Hotelzimmer, das ist mir schon klar. Doch als der doppelstöckig zusammengenagelte und dreidimensional verlötete „Prototyp 2.0“ allmählich auf Arbeitstemperatur kommt, kann ich nicht mehr anders, als im Rhythmus der Musik mit dem Kopf zu wackeln. Nein, nein, nein! Ich verstehe einfach nicht, wie verdammtnochmal gut Musik von der ach so schnöden und neuerdings verpönten CD klingen kann. Das ist der definitiv und mit ziemlichem Abstand beste „Sound“, den ich jemals von einer digitalen Quelle gehört habe. Er hat tatsächlich und wahrhaftig nicht das Geringste, nicht den Hauch einer Spur mit irgendwelchen Einsen und Nullen zu tun, klingt alles andere als künstlich oder unterkühlt oder zerhackt, was ja sonst gern von der Analog-Fraktion angebracht wird, um die Vorzüge der analogen Datenspeicherung und -auslese zu preisen. Diese organische Qualität der Wiedergabe erreicht locker die besten Live-Übertragungen oder superbe Masterbänder aus der Analogwelt! Überhaupt keine Frage, dass der Prototyp auf vergleichbar musikalischem Niveau spielt wie der fantastische D/A-Wandler „The Fifth Element“ (FIDELITY Nr. 4, Ausgabe 6/2012), der nicht ganz zufällig aus gleichem Hause stammt. Ich hoffe inständig, dass es später in einer möglichen Serienfertigung keine Rückschritte gibt. Außer im Preis natürlich.
Mein lieber Herr Gesangsverein, ist das gut! Diese unglaubliche Energie, diese nachdrückliche Autorität, diese prächtigen Klangfarben, dieser holografische Raum, dieses feingeistige Gespür für … einfach alles! Und vollkommen egal, welches Genre auf dem Programm steht. Es ist sogar – hier dringen wir zum Kern der Faszination vor – komplett wurscht, wie gut die jeweilige Aufnahme aus technischer Sicht ist. Die mirakulöse Musikmaschine stößt bereits mit dem ersten Bit das Fenster zur Musik auf, ach was: Sie ist schon längst da, hat zuvor alle Vorhänge einfach atomisiert und beamt mich nun durch Zeit und Raum direkt in die Musik hinein! Daher bereitet selbst der krasseste Stilwechsel keinerlei Probleme. Auf Electronica von Brandt Brauer Frick folgt David Coverdale unplugged, auf Esperanza Spalding ein gewisser Omar Suleyman, danach eine Schellacküberspielung (!) von Dirk Schäfer aus den 1930ern … unglaublich!
Also, wenn Sie mich ab sofort zum Umzugstermin einladen wollen, sorgen Sie doch einfach für ein umwerfendes Musikerlebnis. Ich störe dann gern.