Focal & The Driver & The Drivers
In Frankreich ist vieles anders. Und größer. Zum Beispiel Lautsprecherfirmen.
Frankreich ist ein großes Land. Das wird mir so richtig klar, als wir nach der Landung in Lyon weiter nach Bourbon-Lancy transportiert werden. Die Fahrt in die Provinz dauert doppelt so lang wie der Flug, führt durch saftig-hügelige Landschaften. Weiße Kühe enmasse. Und Weinstöcke. Dann wieder Kühe, Weinstöcke, Kühe. An manchen Ecken kommen wir mit dem Shuttlebus sogar zweimal vorbei. Das liegt an der „interessanten“ Navigation unseres Chauffeurs. Der selbstverständlich kein Englisch spricht, geschweige denn Deutsch versteht. Zum Glück begleitet uns Françoise Bardon, Focals charmante Marketingleiterin. Sie ist die Schnittstelle zwischen dem „Driver“ und seinen Fahrgästen, bereitet uns aber auch auf das erste Ziel vor – selbstverständlich in Englisch. Nicht erst seit der Kooperation mit Naim Audio ist Englisch auch bei Focal Geschäftssprache.
Frankreichs größte Lautsprecherfirma besteht im Prinzip aus zwei „business units“. Zum Einstieg besuchen wir die kleinere Einheit, die Gehäusefabrik Guy HF, eine ehemalige Möbelmanufaktur, in Bourbon-Lancy. Das Örtchen lockt mit Thermalbädern und Barockarchitektur, mit Käse und Wein – eine kleine Perle mitten im Burgund, etwa zwei Autostunden vom Firmen-Hauptsitz in St. Etienne entfernt.
Zwei große Lackierräume dominieren die zentrale Halle. Nach Jahrzehnten intensiver Nutzung sind sie derart „abgerockt“, dass Betriebsleiter Christian Bou-chiquet schon kräftig zupacken, gar den Fuß zu Hilfe nehmen muss, um die großen Türen zu den Lackräumen wieder ordentlich zu schließen. Monsieur Bouchiquet war früher „Möbelfürsorger“ am marokkanischen Königshaus und begrüßt ausdrücklich, dass die Gehäusemanufaktur noch in diesem Jahr in neue, sehr viel großzügigere Räumlichkeiten umziehen kann. Dann ist Schluss mit den „Leerkilometern“ innerhalb des unübersichtlichen Gebäudekomplexes.
Am nächsten Tag führt uns „The Driver“ zu „The Drivers“, chauffiert uns also ins Hauptwerk. Ein paar interessante Fahrmanöver später landen wir tatsächlich im Gewerbegebiet von St. Etienne. Das großzügig verglaste Hauptgebäude trägt unübersehbar den Focal/JMlab-Schriftzug, drumherum gruppieren sich weitere Gebäude für Entwicklung, Treiberfertigung, Montage, Lager, Verwaltung. Ein ausführlicher Rundgang durch die Treiber-Produktion zeigt überdeutlich, dass hier zeitgemäße Effizienz auf handwerkliche Top-Qualität trifft. Die ehrgeizigen Focalisten haben nicht nur die Maschinen und Werkzeuge für die Chassisproduktion selbst entwickelt, sondern auch die Transportbänder für Hunderte von Membranen, fertigen Treibern und ganzen Lautsprechern, die hier täglich quer durch die Hallen schweben. Insbesondere der jüngste Wurf, die innovative Hanf-Sandwichmembran, hat sich als weiterer Volltreffer entpuppt.
Überhaupt genießt Focal (bzw. JMlab) seit Jahrzehnten einen exzellenten Ruf, der zum Großteil auf den hauseigenen Treibern beruht. Firmengründer Jaques Mahul (das „JM“ in „JMlab“), der sich kürzlich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat, brachte beispielsweise die berühmte Inverskalotte auf den Markt. Experten in Reinraum-Schutzanzügen fertigen sie hier in einer Spezialabteilung (Fotos verboten!) auch aus sündteurem Beryllium. Gérard Chrétien, Mahuls langjähriger Compagnon und amtierender Focal-Chef, hat sichtliches Vergnügen daran, uns nach einer theoretischen Einführung die hauseigenen Spezialitäten auch im schicken 70-qm-Hörstudio praktisch zu demonstrieren. „Focal entwickelt und baut seine Treiber selbst, um optimale
Kontrolle über den Klang zu haben.“ Und der ist, mit Verlaub, grandios. Erstmals höre ich die vier großen Utopia-Modelle in Ruhe und bin begeistert – nicht nur vom Klang im akustisch optimierten Demoraum, sondern auch davon, dass sich Chrétien, der „directeur général“ einer 230-Mann-Firma, trotz aller Technikbesessenheit eine tiefe Hingabe zur Musik bewahrt hat. Auch mischt er als Mitorganisator und Sponsor beim größten Jazzfestival Frankreichs mit. Seine Begeisterung dafür spiegelt sich, wenn Sie mich fragen, auch in den Produkten von Focal hörbar wider.
Das Credo der Firma, „dynamique“, Substanz und ausgeprägte Räumlichkeit, wird zum Beispiel mit sensationell leichtfüßigen, supertief abgestimmten Tieftönern mit Monsterantrieb und regelbarem Coupling verwirklicht. Die passende Beryllium-Hochtonmembran wiederum ist dünner als ein Haar und, so Chrétien, jeder Diamantmembran hörbar überlegen. Man glaubt ihm sofort, das Klangerlebnis im Demoraum ist sensationell gut.
Unser Focal-Trip endet im schicken, farbenfrohen Focal-Showroom direkt neben dem weißen Seminarraum. Der Gesamteindruck von Focal ist nunmehr gefestigt: Weltklasse-Treiber, enormes Know-how und totale Qualitätskontrolle führen tatsächlich zu entsprechenden Produkten.
Unseren Rückflug ab Lyon erreichen wir übrigens noch in time – trotz bizarrer Doppel- und Dreifach-Kapriolen unseres wortkargen Drivers.