Burmester – Die ungeahnten Auswirkungen defekter Verstärker
Mitunter sind es bestimmte, wiederkehrende Umstände, die im Leben den Anstoß zu entscheidenden Weichenstellungen geben.
Im Fall von Dieter Burmester war es die Empfindlichkeit von Röhrenverstärkern, die zunächst die Wahl seiner Ausbildung bestimmte und später dazu führen sollte, dass er zum Gründer einer der weltweit renommiertesten HiFi-Firmen wurde.
Bereits mit 15 hatte der im niedersächsischen Lüchow aufgewachsene Dieter Burmester sich für Technik interessiert und an Radios herumgebastelt, vor allem aber leidenschaftlich gern Musik gemacht. Möglicherweise wäre sein Leben anders verlaufen, wenn er sich nicht für den E-Bass entschieden hätte. Jedenfalls trugen die häufigen Defekte des Röhrenverstärkers seines Instruments nicht unwesentlich zu seiner Entscheidung bei, eine Lehre zum Radio- und Fernsehtechniker zu absolvieren, die ihn in die Lage versetzte, eigene Röhrenverstärker für die Auftritte zu bauen. Rund anderthalb Jahrzehnte später, nach zwei Jahren als professioneller Musiker, einem Elektrotechnikstudium und der Gründung eines Ingenieurbüros für Computerinterfaces und Schaltungstechnik für medizinische Messgeräte in Berlin, war es dann der Ausfall des Röhrenvorverstärkers seiner Quad-Anlage, der ihn dazu brachte, sich nach einem neuen Verstärker umzusehen. Wäre Dieter Burmester nicht so anspruchsvoll und zugleich kreativ gewesen, hätte er sich aber wohl nicht dazu entschlossen, selbst einen zu konstruieren. Da ein HiFi-Verstärker mit Röhrentechnik für ihn angesichts der relativ starken Verzerrungen, des geringen Dämpfungsfaktors gegenüber Tieftonmembranen und der schnellen Alterung nicht mehr in Frage kam, versah Burmester das Gerät nach dem Vorbild moderner Messinstrumente mit einer innovativen Operationsverstärkertechnik. Letztlich waren es dieser Qualitätsanspruch und Innovationsgeist, die 1978 zur Gründung der Burmester Audiosysteme GmbH führen sollten und bis heute ihre Grundlagen bilden: die Kompromisslosigkeit bei Komponentenauswahl und Verarbeitungsqualität in Verbindung mit dem Grundsatz, etwas nur dann herauszubringen, wenn es gegenüber den Produkten der Mitbewerber eine klare technische Verbesserung darstellt.
Nur in einem sehr speziellen Fall sollte Dieter Burmester von dieser Maxime abweichen. Beim Entwerfen des Schriftzugs für seine Firma, der auf den ersten Blick mit hoher Qualität und Sorgfalt assoziierbar sein sollte, hatte er die typischen Schreibschriften englischer Traditionsfirmen vor Augen – zumindest glaubte er das. Als ihm Jahre später eine alte Postkarte in die Hände fiel, stellte er allerdings verblüfft fest, dass es sich bei dem geschwungenen Schriftzug auf den Burmester-Geräten tatsächlich um jenen seines längst verstorbenen Vaters handelt (der hierauf laut dem Firmengründer, wenn er es noch erlebt hätte, sicherlich stolz gewesen wäre).
Eigentlich hatte Dieter Burmester es gar nicht für möglich gehalten, als unbekannter Newcomer überhaupt einen Fuß auf den von großen Firmen beherrschten HiFi-Markt setzen zu können. Als er eine Bank um einen Kredit für die Firmengründung bat, war er daher nicht sonderlich erstaunt, dass man sich dort von seiner Geschäftsidee nicht überzeugt zeigte. Infolge des großen Anklangs, auf den sein erster selbst konstruierter Verstärker bei seinen audiophilen Freunden gestoßen war, hatte er sich zu seiner Überraschung trotz eines Preises, der nahe dem eines Kleinwagens lag, mit immer neuen Bestellungen konfrontiert gesehen und in seiner Werkstatt zunächst 20 Geräte gebaut. Durch Mundpropaganda erfuhr ein Händler davon und erbot sich, den Verstärker in seinem Geschäft zu präsentieren, was wiederum einer bekannten HiFi-Zeitschrift zu Ohren kam, die ihn in einem Test in höchsten Tönen lobte. Angesichts der stetig wachsenden Nachfrage war ein Bankkredit für die Unternehmensgründung letztlich nicht mehr erforderlich.
Nach dem unvorhergesehenen Erfolg seines ersten Vorverstärkers lag es für den Entwickler nahe, als nächstes die erste HiFi-Endstufe mit symmetrischer Signalführung auf den Markt zu bringen. Wie sich allerdings herausstellte, war er damit der Zeit so weit voraus, dass es eines gewissen Aufwands bedurfte, zunächst den Händlern und Journalisten die Vorzüge dieser Technik zu erläutern. In Anbetracht der mangelnden Kenntnisse darüber sah sich Dieter Burmester sogar genötigt, einführende Artikel zum Thema in Fachzeitschriften wie etwa den frühen Ausgaben der HiFi exklusiv aus dem Jahr 1987 zu veröffentlichen. Nicht ohne Genugtuung nimmt er daher zur Kenntnis, dass seine Pionierarbeit offensichtlich sehr erfolgreich war – sind symmetrische Anschlüsse ab einer gewissen Preisklasse heute doch längst eine Selbstverständlichkeit.
Ebenfalls 1987 folgte ein CD-Player mit Upsampling-Funktion, dessen D/A-Wandler nicht wie sonst üblich in Form eines integrierten Schaltkreises, sondern aufwendig aus Einzelelementen kombiniert wurde und technisch wie klanglich bereits mit heutigen modernsten D/A-Wandlungstechniken vergleichbar war. Vier Jahre später konstruierte Dieter Burmester dann das erste riemengetriebene CD-Laufwerk. Durch die Trennung von Lager und Motor wird dabei die Übertragung von Vibrationen der Antriebsmechanik auf die CD, die zu Phasenjitter, dem Verfälschen der Frequenzanteile des digital ausgelesenen Signals, führen können, unterbunden. Für die Einhaltung der korrekten Rotationsgeschwindigkeit der CD sorgt ein Mikrocontroller. Das Ergebnis dieser Konstruktion war ein merklich runderer, weniger metallischer Klang. Es sollte allerdings noch 15 Jahre dauern, bis zu Dieter Burmesters Befriedigung auch messtechnisch nachgewiesen werden konnte, dass riemengetriebene CD-Spieler die mit Abstand geringsten Jitter-Werte aufweisen.
1994 erweiterte Burmester sein Sortiment auf Lautsprecher, nachdem er sich zuvor bei der Präsentation seiner Geräte auf Messen regelmäßig darüber geärgert hatte, dass Leute, die seine Firma nicht kannten, immer als Erstes nach den von anderen Herstellern ausgeliehenen Lautsprechern gefragt hatten. Da er die üblichen Kalotten nie hatte leiden können, verwendete er als Hochtöner einen Air-Motion-Transformer, dessen ziehharmonikaartig gefaltete Membran durch den bei Anlegung eines Magnetfeldes entstehenden Strom hin und her bewegt wird. Als weitere Besonderheit wählte er für den Mitteltonbereich ein ungewöhnlich großes Chassis mit 17 Zentimetern Durchmesser, um mehr Luft in Bewegung zu bringen und Dynamik zu erzeugen, ein Design, das im Laufe der Jahre ebenfalls von vielen anderen Herstellern übernommen werden sollte. Aktuell arbeitet man bei Burmester an einem In-Wall-Boxenprogramm.
Mit seiner jüngsten Produktlinie reizt Burmester die Möglichkeiten digitaler Musikwiedergabe konsequent aus: Die Musiccenter bieten nicht nur die Möglichkeit, CDs auf mehrere Terabyte große, gespiegelte Festplatten zu rippen und WAV-, Flac- oder Mp3-Dateien mit einer Auflösung von bis zu 24 Bit und 196 kHz wiederzugeben, sondern spielen auch Internetradio ab und laden bei Bedarf Albumcover und Titelinformationen aus dem Netz. Zudem sind die Geräte LAN-fähig und lassen sich auch über den Webbrowser sowie per App vom I-Pad, I-Pod oder I-Phone aus steuern. Das größere, zur Spitzenkategorie Reference Line gehörende Modell 111 dient zudem auch als Vorverstärker. Nach dem Aufkaufen einer Softwarefirma von ehemaligen Apple-Mitarbeitern entwickelte Burmester genau auf die Gerätefunktionen abgestimmte, auf Linux basierende Programme und Algorithmen, die bei Bedarf an künftige Anwendungen und Kundenwünsche angepasst werden können. Noch für 2015 wird ein Gerät angekündigt, das sich auf Streamingfunktionen konzentrieren soll.
Eine weitere neue Entwicklung, deren Markteinführung man für die nahe Zukunft plant, ist ein elektronisches Bauelement, durch das sich ein digitales Musiksignal so modifizieren lässt, dass es laut Dieter Burmester klanglich von einer analogen Schallplatte nicht zu unterscheiden ist. Burmester, dem digital-analoge Glaubenskriege fernliegen, möchte damit ein maximales Maß an Freiheit beim Ausleben der individuellen Hörgewohnheiten ermöglichen. Entscheidend sei nicht, ob die besondere Aura und Wärme des Schallplattenklangs letztlich das Resultat von bestimmten technischen Unvollkommenheiten wie den Echos benachbarter Rillen bei hohen Amplituden oder der nur bedingten Übersprechdämpfung zwischen dem linken und rechten Kanal sei, sondern allein der damit verbundene Musikgenuss. Zudem sei es durchaus plausibel, dass der gegenüber der CD deutlich geringere Dynamikumfang der Schallplatte diese letztlich zum besseren Wohnzimmer-Medium mache, da leise Tonanteile auf einer CD bei Zimmerlautstärke und Außengeräuschen mitunter unter der Hörgrenze bleiben könnten.
Seit 2002 ist der Automotive-Bereich zu einem weiteren bedeutenden Geschäftsfeld geworden. Nachdem Burmester die Musikanlage für den 2005 auf den Markt gebrachten Bugatti Veyron 16.4 entwickelt hatte, ergaben sich auch Kooperationen mit Porsche und Mercedes, die seit 2009 bzw. 2013 verschiedene Fahrzeugklassen mit von Burmester konstruierten Surround-Soundsystemen ausstatten.
Heute beschäftigt das Unternehmen 50 Mitarbeiter. Sämtliche elektronischen Baugruppen werden in den Werkstätten in Berlin-Schöneberg in Handarbeit hergestellt; nicht selbst gefertigte Bauteile wie Gehäuse für Lautsprecher und andere Geräte stammen zu etwa 95 Prozent von deutschen Zulieferern. Der wichtigste Einzelmarkt der in 43 Ländern vertretenen Firma ist nach wie vor Deutschland, sehr hohe Zuwachsraten verzeichnet man in jüngerer Zeit in Asien.
Der unverhoffte Erfolg als High-End-Pionier brachte es für Dieter Burmester allerdings mit sich, dass er heute eher selten dazu kommt, selbst Musik zu machen. Wäre seine Zeit als Berufsmusiker, in der er mit einer Beatband, die sich zunächst The Echoes und dann Some Folks nannte, durch verschiedene bundesdeutsche Clubs gezogen war, seinerzeit nicht so jäh durch die Einberufung zum Bund unterbrochen worden, und hätte er sich nach dem 18-monatigen Wehrdienst nicht entschlossen, Elektrotechnik in Berlin zu studieren – wer weiß, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. War er zunächst noch neben dem Studium mit der Soulband The Odd Persons aufgetreten, hatte er sich 1968, als seine Bandkollegen Bruno Frenzel und Bernd Noske ihm vorschlugen, wieder hauptberuflich Musik zu machen, dazu entschlossen, sich lieber auf das Studium zu konzentrieren. Später sollten Noske und Frenzel zu prägenden Mitgliedern der legendären Krautrockband Birth Control und Frenzel zum Mitautor von deren größtem Erfolg „Gamma Ray“ werden.
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