Audio Physic Avantera
Von Überschriften, die in die Irre führen können, Lautsprechern, die einen wieder auf den rechten Weg bringen, und der Frage, was wir mit unserem Hobby denn eigentlich anstellen.
In aller Kürze:
Audio Physic Avantera – Aufstellen, anschließen, los. So leicht landet man im audiophilen Himmel. Mit etwas Mühe bei der Positionierung lassen sich dann die Wolken noch rosa färben. Was für ein großartiger Lautsprecher!
Ein Arzt der Uniklinik Tübingen hat mir das mit unseren Ohren einmal so erklärt: Könnten wir so gut sehen, wie wir hören, wäre es kein Problem, eine nur von einer Kerze beleuchtete Zeitung zu lesen, die auf dem Mond liegt. Da das mit der Zeitung ab einem bestimmten Alter schon eine Hürde darstellt, wenn plötzlich die Arme zu kurz werden, können wir uns wohl darauf einigen, dass wir mit unseren Ohren über ziemlich grandiose Werkzeuge verfügen, deren Pflege und allgemein gute Behandlung uns ein zentrales Anliegen sein sollte. Und doch lassen wir uns beim Kauf gerade von Lautsprechern immer wieder von unseren Augen leiten, die uns mit einem eleganten oder martialischen (ganz nach Wunsch) Aussehen und mit verführerischen Firmenlogos betören. Immer wieder bestätigen mir Händler, dass es ihnen einige Mühe bereitet, ihre Kunden bei einem Termin auf das Hören zu fokussieren …
Damit streifen wir eigentlich schon zwei der drei eingangs angeschnittenen Themen: wie wir unser Hobby angehen und diese ominösen Lautsprecher, die uns zu einer Art Seelenheil verhelfen sollen. Bleiben wir noch etwas beim Hobby. Schon öfters haben wir es im Kollegenkreis thematisiert, und doch kann man es nicht oft genug in die Welt tragen: Leute, hört mehr hin und vertraut auf eure Ohren. Wie hübsch die Box X ist oder wie begeistert sich ein Autor (auch ich) über Lautsprecher Y äußerte, wird belanglos, wenn man nach der ersten Euphorie und den Vorführungen für die HiFi-begeisterten Freunde endlich allein vor seiner Anlage sitzt und sich bang fragt, in welchen Sumpf man denn nun sein sauer verdientes Geld versenkt hat.
Für mich sind sehr neutrale Lautsprecher, die sich eines eigenen Kommentars enthalten, der beste Weg, um immer wieder zurück zum Glück zu finden. Denn bei einer solchen Beschäftigung, bei der alle zwei Monate neue und oftmals unter normalen Umständen unerreichbare Geräte angeliefert werden, wandelt man eigentlich dauerhaft durch einen Garten der Versuchungen und erliegt ihnen oft genug – man ist ja auch nur Mensch. Lautsprecher, die nicht klingen, sondern die Musik durchreichen, werfen mich auch gleichzeitig auf meine eigene Wahrnehmung zurück, da sie mich nicht mit Geschmacksverstärkern betäuben. Es ist eine Art Reinigung der Sinne und gleichzeitig ein Mehr an Musik, denn ich höre eher die Intention des Musikers als die des Entwicklers.
Langer Vorrede kurzer Sinn: Die Audio Physic Avantera sind das Paradebeispiel eines solchen Lautsprechers. Und ich werde im Folgenden auch gar nicht verzweifelt versuchen, eine Spannung aufrechtzuhalten und Informationen dramaturgisch wertvoll zu streuen. Nein, diese Lautsprecher gehören – wohlgemerkt in meinem Umfeld und bei meinen Ohren – zu den besten, die ich bislang erleben durfte. Diese Erkenntnis reifte nicht nach langer Beschäftigung heran, sondern traf mich bereits nach wenigen Sekunden wie ein Schlag.
Ich hatte die Audio-Physic-Boxen im Wohnzimmer aufgebaut, allerdings noch nicht ausgerichtet, sie mit guten Kabeln an einen gerade dort stehenden Vollverstärker angeschlossen und wollte sie erst einmal sich selbst überlassen, damit sie mit ein wenig Dauerlauf ihre Sicken lockern können. Man weiß ja, wie sensibel diese hochgezüchteten Boliden sind. Über Tidal ließ ich eine CD laufen, die ich selbst gemastert habe. Schon bei den ersten Tönen war ich verblüfft von dieser unglaublichen Durchsichtigkeit und Verfärbungsarmut. Nach drei Takten wiesen mich die Avantera aber auf einen kleinen Schnittfehler hin, der mir beim Mastern nicht aufgefallen war. Ich hörte das Master sofort noch einmal im Studio und musste feststellen, dass diese Lautsprecher in einem akustisch nicht bearbeiteten Wohnzimmer akkurater arbeiteten als meine aktuellen Studiomonitore in einer professionellen Akustik. Das ist starker Tobak.
Wer jetzt vermutet, dass diese akustischen Lupen nur Erbsen zählen können und beim emotionalen Zugang zur Musik versagen, hat sich für den Holzweg entschieden. Denn das Gegenteil ist der Fall. Wenn keiner Nuance, die ein wirklich guter Musiker in sein Spiel einbringen kann, nichts mehr im Wege steht, erreicht man Höhen, die einem mit reduzierten Übertragungen verwehrt bleiben. Diese nicht so junge Erkenntnis wurde von den Avantera jeden Tag aufs Neue bestätigt. Ständig hörte ich feinste Differenzierungen im Anschlag guter Pianisten, die mir vorher nicht – oder zumindest nicht in dem Maße – aufgefallen waren. Wenn man nicht mehr nur eine schöne Linie, sondern das ganze feinst ausgestaltete Relief hört, wird Musik tatsächlich auch im Wohnzimmer dreidimensional.
Wie erreicht der Kopf hinter diesen Lautsprechern, Manfred Diestertich, diese unglaubliche Klarheit in der Darstellung? Über dieses Thema könnte man problemlos Bücher schreiben, jeder noch so ausführliche Artikel würde von der Informationsflut gesprengt, denn wirklich jedes Detail dieser Lautsprecher wurde bei Audio Physic erst einmal in Frage gestellt und neu durchdacht. Carsten Barnbeck hat in seinem Artikel über das größere Schwestermodell Cardeas schon einiges berichtet, was genauso auch für die Avantera gilt. Deshalb werde ich versuchen, ein paar Dinge zu beleuchten, die weniger ausführlich benannt wurden.
Damit eine schlanke Box, die sich akustisch nicht im Weg steht, dennoch über genügend Volumen für eine souveräne Basswiedergabe verfügt, wurden sämtliche Verstrebungen im Innern aus Keramikschaum hergestellt. Weit steifer als eine MDF-Strebe beansprucht dieses Material aufgrund der offenen Struktur gerade einmal nur fünfzehn Prozent von dessen Volumen. Auf diese Weise schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Das Innenvolumen wächst, ohne die Außenmaße zu verändern, und man kann das Gehäuse deutlich steifer auslegen. Ganz nebenbei erfüllt diese Keramik einen so guten Job als Diffusor, dass in den oberen Bereichen weitgehend, im Bass vollständig auf Dämmmaterial verzichtet werden kann. Was, wie wir alle wissen, durchaus der Spielfreude und Direktheit eines Lautsprechers zugutekommen kann.
Vor Jahren schon machte sich Diestertich über die Platzierung der Bauteile auf den Frequenzweichen Gedanken. Obwohl sich messtechnisch rein gar nichts tat, konnte man sehr wohl hören, ob der zweite Kondensator (Weichen dritter Ordnung) wie üblich vor oder nun hinter dem Hochtöner saß. Mittlerweile sind alle Wege entsprechend aufgebaut, im Bass natürlich nicht mit Kondensatoren, sondern mit Spulen.
Über die grandiosen Mitteltöner, die dank neu entwickelter Sicken wie die Konushochtöner ohne Zentrierspinnen auskommen, hat Kollege Barnbeck bereits berichtet. Mittlerweile ist die Entwicklung dieser Chassis so weit fortgeschritten, dass Mitten und Höhen von exakt gleich arbeitenden Treibern dargestellt werden. Welche Homogenität das bringt, kann jeder bezeugen, der einmal gute Monitore von PMC, ATC oder Neumann gehört hat, wo dieser gesamte Bereich von Kalotten abgedeckt wird. Anderer Weg, gleiche Geschlossenheit.
Ob der ausgeklügelte Materialmix der Gehäuse, die Magnetfüße, die Anordnung der Chassis in der Front, die Anbringung der Glasplatten, die entkoppelten Anschlussterminals … bei diesen Lautsprechern könnte man ewig weiterschreiben und hätte im Zweifel noch nicht alle Innovationen genannt, die Manfred Diestertich und sein Team im Laufe der Jahre erdacht haben.
Für uns Hörer ist allerdings der daraus resultierende Klang viel wichtiger, die wunderbaren Erlebnisse mit Musik, die auf uns warten. Selten habe ich eine realistisch aufgenommene Opernbühne (Richard Wagner: Tristan und Isolde, Wiener Staatsoper, Christian Thielemann) so glaubhaft in meinem Wohnzimmer gehört wie über die Audio Physic Avantera. Ihr gelingt es mehr als den meisten anderen Lautsprechern, neben Breite und Tiefe auch eine ziemlich genaue Höhe der Schallereignisse abzubilden. Plötzlich gibt es weniger Überschneidungen zwischen Orchester und Sängern, weil das Orchester hörbar tiefer sitzt, die Sänger jetzt freier in der oberen Region agieren.
Sollen wir gleich noch ein Vorurteil aushebeln? Ok, bitte sehr: Das oben Geschilderte klappt nicht nur bei Klassik. Jeder wirklich gute Musiker und jede handwerklich saubere Produktion profitiert von dieser Offenheit. Chet Baker wirkt jetzt noch verlorener, die Beastie Boys rotzen noch derber, Angus Young bekommt einen weiteren Orden für seine rechte Hand, und wie immer kann man vor Prince nur niederknien.
Fehlt noch die Auflösung der Überschrift. Nun, es ist natürlich vermessen, einen Lautsprecher für mehr als 20 000 Euro als Underdog zu bezeichnen. Und dennoch schlüpft er in diese Rolle, wenn man mit highendig schillernder Konkurrenz zu einem Mehrfachen dieses Preises vergleicht. Dann wird der bodenständige und sauber durchentwickelte Underdog aus dem Sauerland plötzlich zum Star.
Info
Lautsprecher Audio Physic Avantera
Konzept: passiver Standlautsprecher mit innenliegenden Woofern
Bestückung: 28-cm-Woofer (im Inneren der Box), 18-cm-Tiefmitteltöner, 15-cm-Mitteltöner HHCM SL+, 39-mm-Tweeter HHCT III+
Impedanz: 4 Ω
Empfohlene Verstärkerleistung: 40 bis 250 W
Frequenzgang: 27 Hz bis 40 kHz
Wirkungsgrad: 89 dB
Lieferumfang: Speaker Set VCF V Magnetic Plus M8, Glasblende schwarz
Maße (B/H/T): 10/123/43 cm
Gewicht: 45 kg
Garantiezeit: 5 Jahre
Paarpreis: um 23 900 €
Kontakt
Audio Physic
Deutschland
Almerfeldweg 38
59929 Brilon
Telefon +49 2961 961 70
info@audiophysic.com
Mitspieler
Plattenspieler: Transrotor Apollon TMD mit SME 5, SME 3012 u. a.
Tonabnehmer: Clearaudio Talisman und Stradivari V2, Ortofon Vienna und Jubilee, Denon DL-103
CD-Player: Mark Levinson No. 390S
DAC: Merging Technologies
Vorverstärker: Crane Song Avocet
Endverstärker: Digitalendstufe auf ICE Power basierend, Accuphase P-4200
Vollverstärker: Lavardin IT
Lautsprecher: Spendor Classic 3/5, Wilson Audio Sasha DAW
Kabel: u. a. Vovox