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Interview mit Björn Wagner

Björn Wagner im FIDELITY-Interview

HOT SHIT!

Björn Wagner im FIDELITY-Interview

Björn Wagner ist Bandleader von The Mighty Mocambos und der Bacao Rhythm and Steel Band: zwei Funk-Gruppen aus Hamburg, deren Werke von DJs auf der ganzen Welt aufgelegt werden. Seine Interpretation von 50 Cents Hiphop-Klassiker „P.I.M.P.“ schaffte es jüngst sogar in den Soundtrack des Oscar-prämierten Films Anatomie eines Falls. Im Interview mit FIDELITY erzählt Wagner, wie man mit Steeldrums Gangsta-Rap-Songs spielt, warum er die Musik eines Computerspiels covert – und wieso er das Titelthema des Films Beverly Hills Cop so liebt.

Dritter Stock in einem Haus aus den dreißiger Jahren. Draußen regnet es, Hamburger Sommer. Dreizimmerwohnung, im Wohnzimmer stehen ein Mischpult und ein Keyboard. Aus dem Kinderzimmer dringt leise Musik – welche, ist nicht zu erkennen. Björn Wagner lässt sich aufs Sofa fallen. Vor ein paar Tagen erst hat er ein Heimspiel mit seiner Bacao Rhythm and Steel Band gehabt, bei dem der studierte Musikwissenschaftler vor allem Steeldrum spielt, das Nationalinstrument des Inselstaats Trinidad und Tobago. Das Konzert war ausverkauft, die Menge wogte, am Ende lieferten sich die Mitglieder einer Breakdance-Truppe im Publikum einen bejubelten Tanzwettbewerb.

Interview mit Björn Wagner

FIDELITY: Björn, zunächst mal müssen wir etwas klären. Bist du tatsächlich Frontmann von vier Bands? Den Mighty Mocambos, der Bacao Rhythm and Steel Band – und von Mo & the Winchester Seven sowie dem Mocambo Astronautic Sound Orchestra? Diese Namen tauchen alle immer wieder auf.

Björn Wagner: (lacht) Ja, das ist verwirrend. Genau das war unser Plan in der Frühphase, damals waren wir fast noch Teenager: die Welt im Unklaren lassen, wer wir sind. Wir hatten sogar noch viel mehr Namen, zum Beispiel auch „Mombasa University Band“. So haben das viele frühe Funkbands gemacht. Singles veröffentlichen, ohne Cover-Art, nur mit Bandnamen, Songtitel und Logo des Labels beschriftet.

Ihr seid dann aber vom Erfolg überholt worden.

Kann man so sagen. Wir hatten, mehr aus Spaß, eine Coverversion des Songs „The Message“ von Grandmaster Flash eingespielt und die dann auf einem eher obskuren finnischen Vinyl-Label veröffentlicht. Wir besaßen zwar selbst unser Label Mocambo Records, aber das macht man dann so: veröffentlicht auch auf befreundeten Labels. Irgendein Finne hat dann eigenmächtig „Mighty Mo and the Winchester Seven“ als Bandname draufgeschrieben. Tja, und plötzlich waren wir aus dem Nichts in DJ-Kreisen total angesagt. Allerdings dachten alle, The Next Message sei die Single irgendeiner in Vergessenheit geratenen Funkband aus New York oder so. Dass wir eine deutsche Band aus Hamburg sind, konnte sich niemand vorstellen. Danach landeten wir dann irgendwie beim Namen „The Mighty Mocambos“.

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Und dann dachtet ihr: „Was fehlt noch? Ah, Steeldrums!“?

Die Steeldrums lernte ich während eines Auslandssemesters in Trinidad und Tobago kennen. Ich bin ja Musikwissenschaftler, und dieser swingende Klang der Steeldrum hat mich fasziniert. Außerdem ist die Steeldrum evolutionsmäßig eines der jüngsten Instrumente der Welt. In Trinidad und Tobago traten sich die Musikwissenschaftler quasi auf die Füße. Wieder zu Hause dachte ich: Mal gucken, was geht … Daraus entstand die Bacao Rhythm and Steel Band. Eine Schwesterband der Mocambos, mit teils denselben Musikern. So können wir uns in verschiedenen Klangwelten bewegen, möchte ich mal sagen. Die Mighty Mocambos, das ist unsere klassische Funkband. Mit Bläsern, mit funky Gitarre, auch mit Sängerin. Da spielen wir Deep Funk, Rare Funk.

Das musst du kurz erklären.

Deep Funk ist eine ziemlich ursprüngliche Spielart des Funks, die Ende der sechziger Jahre in den USA aufkam. Meist als Singles auf seltsamen Labels veröffentlicht. Diese 45er-Kultur, da geht es pur um den Sound. Marketing, Bekanntheitsgrad – völlig egal. Die Musik ist das, was zählt. Hot shit, um den sich heute die DJs reißen. Mit der Bacao Rhythm and Steel Band wiederum können wir einen ganz anderen Sound erschaffen. Wir haben drei bis vier Steeldrums am Start. Im Prinzip sind wir eine Funkband, die statt Bläsersektion und Gesang eine Steeldrum-Section hat.

Ihr spielt Hiphop-Klassiker von 50 Cent, Drake oder Snoop Dog mit karibischen Steeldrums nach. Dieses Nischengenre besetzt ihr vermutlich allein.

Ich bin selbst erstaunt, dass das niemand anderes macht. Tatsächlich spielen die allermeisten Steeldrum-Musiker in eher folkloristischen Calypso-Bands, mit diesem ewig fröhlichen Insel-Karibik-Sound. Für mich ist die Steeldrum einfach ein Instrument, so wie eine Gitarre. Ein Werkzeug des künstlerischen Ausdrucks. Warum soll man eine Steeldrum nicht einsetzen wie ein Vibrafon zum Beispiel? Wie einen Dreier-Bläsersatz? Wir wollen keine Karibik-Touristen-Klischees bedienen. Wir ziehen uns auf der Bühne auch keine lustigen Hawaiihemden an.

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Dafür tragt ihr Ölarbeiteranzüge …

Wir nehmen uns selbst nicht hundertprozentig ernst. Aber das darf man nicht verwechseln: Das Instrument Steeldrum nehme ich ernst!

Und die roten Anzüge?

Die Steeldrum oder Steelpan war ursprünglich ein Instrument des Protests. Die britischen Kolonialherren hatten den Menschen auf Trinidad früher das Musizieren mit afrikanischen Trommeln verboten. Also baute man sich alternative Trommeln aus Ölfässern, von denen gab es genug wegen der Ölindustrie.

Wie kommt man dazu, Hip-Hop mit Steeldrums zu spielen?

Es fing mit dem Song „P.I.M.P.“ von 50 Cent an. Der hat ja, was für das Genre ungewöhnlich ist, auch einen Steeldrum-Sound, allerdings mit dem Keyboard gespielt. Es lag nahe, sich den Song mal vorzunehmen. Das Interessante war dann, dass die Leute dachten, unsere Version wäre ein rares Funk-Instrumental, das 50 Cent gesampelt hätte. War aber andersherum.

Auch die neue Platte BRSB erschien jetzt wieder auf dem renommierten New Yorker Label Big Crown, und wieder spielt ihr neben eigenen Songs jede Menge Coverversionen, Snoop Dogs „Nuthin But A G Thang“, Drakes „Hotline Bling“. Warum funktioniert das so gut?

Weil es ein anderes Genre ist. Es macht wenig Sinn, mit einer Funkband Funksongs zu covern. Das Cover klingt dann meist fast wie das Original, nur eben nicht so gut. Eine Hiphop-Nummer, die vielleicht schon einen funky Loop hat, neu und live einzuspielen – das ist interessant.

Erstaunlich, dass ein Gangsta-Rap-Stück ohne Gangsta-Rap-Gesangsspur noch funktioniert.

Wir dekonstruieren den Hip-Hop. Wir nehmen die synthetisch erzeugten Beats und führen sie in eine organische Struktur zurück. Wir spielen auch Loop-basiert, wiederholen typische Motive, denn das erzeugt eine hypnotische Wirkung. Wenn du beim Hip-Hop die Rap-Spur entfernst, dann wird’s in der Regel erst einmal sehr langweilig. Wenn aber die Steeldrum die Gesangsspur übernimmt, dann geht’s ab.

Ich war neulich bei einem eurer Konzerte. Da ging eine Gruppe Breakdancer ab.

Wir sind beliebt in der Szene. Wir spielen oft bei Dance-Battles. Da treffen zwei Welten aufeinander, der Funk und die Hiphop-Breakdance-Szene mit den B-Boys und B-Girls.

Interview mit Björn Wagner

Snoop Dogs bekiffte Entspanntheit in „Nuthin But A G Thang“ ist ja wie gemacht für den eher milden, groovigen Sound einer Steeldrum.

Der Sound der Steeldrum ist recht weich. Töne klingen nach, das Metall vibriert. Anders als bei einer scharfen Bläsersektion. Diese Eigenheit harmonisiert gut mit dem Westcoast-Sound von Snoop Dog, von Tupac oder eben auch 50 Cent. Diese oft sehr hoch angesetzten Synthie-Sounds kann ich gut mit der Steeldrum aufgreifen und zum Beispiel mit einer Orgel doppeln. Ganz toll.

Ihr spielt auch gerne Soundtracks nach. Auf dem neuen Album BRSB die Titelmelodie der Netflix-Serie Stranger Things. Bei keinem eurer Konzerte darf das Beverly Hills Cop-Thema fehlen.

Als Instrumentalband hast du ja das Problem: Wie erzähle ich eine Geschichte, wenn ich keine Stimme habe? Bei Soundtracks aber gibt es hinter der Musik bereits eine Geschichte. Im Kopf der Hörer läuft dazu der Film, gerade bei prominenten Songs wie dem Thema von Beverly Hills Cop. Viele Leute kennen diese Songs. Gerade live ist es wichtig, ein paar schöne Aha-Momente zu schaffen.

Auf der CD-Version von BRSB findet sich ein Cover der Melodie des Commodore-64-Computerspiels „The Great Giana Sisters“. Darauf muss man erstmal kommen.

Ich habe früher so manchen Nachmittag vor meinem C64 verbracht, und damit war ich nicht allein. (lacht)

Sogar das WDR-Rundfunkorchester hat das Motiv schon eingespielt.

Echt? Ist auch eine super Melodie.

Komponiert übrigens vom Mozart der Computerspiele, Chris Hülsbeck.

Ein Meister seines Fachs. Arbeitet komplett unterm Radar der Öffentlichkeit, seine Werke aber kennt jeder. Und ideal für die Steeldrum. Klavier, linke Hand, rechte Hand. Mit so einer Bach-mäßigen, barocken Pianolinie. Mit den großen Pfannen der Drum spiele ich die linke Hand, mit den kleinen die höheren Töne der rechten Hand. Man kann auch Pianolinien gut dekonstruieren und neu erfinden, wie eine Rap-Spur.

Eins noch: Bei Youtube hat jemand einen Fünf-Stunden-Loop von eurer „P.I.M.P.“-Version gemacht, „als Untermalung, wenn man mal das Haus neu renovieren möchte“. 3500 Aufrufe in den ersten vier Wochen. Crazy?

Vermutlich. Ich höre ja auch gerne Musik beim Arbeiten, bei der Hausarbeit, und sicher auch, wenn ich die Wohnung renovieren würde. Aber dann eine schöne Playlist. Einen Song im Fünf-Stunden-Loop? Danke, nein.

Björn Wagner

Interview mit Björn Wagner

Eine Coverversion des Hiphop-Klassikers „P.I.M.P.“ von 50 Cent untermalt die Schlüsselszene des jüngst Oscar-prämierten Films Anatomie eines Falls. Eingespielt wurde das Stück von der Bacao Rhythm and Steel Band aus Hamburg, einer Funkband, die statt auf Bläser auf drei große Steeldrums setzt. Der Kopf dahinter: Musikwissenschaftler, Gitarrist und Percussionist Björn Wagner. Er spielt noch in einer zweiten Band, The Mighty Mocambos: authentischen Deep Funk, wie er in den sechziger Jahren vom jungen James Brown geschaffen wurde. Mit beiden Bands feiert er internationale Erfolge vor allem auch mit Coverversionen von Hiphop- und Filmmusikklassikern. Das aktuelle Album der Mighty Mocambos, Scénarios, wurde Ende 2022 veröffentlicht, die Bacao Rhythm and Steel Band hat jüngst ihr viertes Werk, BSRB, vorgestellt. Außerdem betreibt Wagner das auf Vinyl-Singles spezialisierte Plattenlabel Mocambo Records.

Interview mit Björn Wagner

www.mightymocambos.com

Bacao Rhythm and Steel Band auf Bandcamp

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