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The Swinging Mr. Rogers

The Swinging Mr. Rogers

Die heimlichen Meisterwerke des Jazz, 1955

The Swinging Mr. Rogers

Der Trompeter Shorty Rogers galt als der Kopf und die Zentralfigur der West-Coast-Szene.

Diese Szene war nicht nur geografisch definiert (Schwerpunkt: Los Angeles), sondern verfolgte in den 1950er Jahren eine ganz eigene Jazz-Stilistik. Im sogenannten „West Coast Jazz“, einem Ableger des dynamisch gebremsten New Yorker Cool Jazz, befassten sich die Musiker nämlich gerne mit kontrapunktischen, tonalen und formalen Experimenten. Solche Experimente wurden inspiriert von der zeitgenössischen Konzertmusik (Strawinsky, Schönberg, Bartók usw.) und der in Mode gekommenen Faszination für Bach und Barock. Sie wurden außerdem gespeist von der Kreativität der Hollywood-Arrangeure und dem „Progressive Jazz“ des Bigbandleiters Stan Kenton. Shorty Rogers, der eigentlich aus New York stammte, hatte bei Kenton das Arrangieren gelernt und war durch den Komponisten Leith Stevens auch in die Filmmusik-Branche gelangt. Außerdem gab er Unterricht – die halbe West-Coast-Szene schien zu seinen Studenten zu gehören.

Seit 1951 machte Rogers eigene Platten. Er bevorzugte Oktett- und Nonettbesetzungen (nach dem Vorbild von Miles Davis’ Capitol Orchestra) oder Bigbands. Seine Formationen nannte er „Shorty Rogers and his Giants“ – der „kleine“ Rogers und seine Riesen. Da Club-Tourneen mit diesen großen Besetzungen aber kaum zu realisieren waren, arbeitete er live vorzugsweise mit einem Quintett, zu dem auch Jimmy Giuffre und Shelly Manne gehörten. Weil diese drei – Rogers, Giuffre, Manne – als das „Triumvirat“ des West Coast Jazz galten, war Rogers’ Quintett quasi die All-Star-Band der Szene. So hat man das auch an der Ostküste wahrgenommen. Die Idee, mit diesem „Arbeitsquintett“ Schallplatten zu machen, kam aus New York – vom Label Atlantic.

The Swinging Mr. Rogers war das erste Album des Quintetts und wurde Rogers’ größter Erfolg. Nie zuvor hatte man seine Musik so konzise, leicht und überzeugend gehört. Die eingespielte Band macht die acht Stücke zu etwas Ganzem, einem einheitlichen, kühlen, mühelos wirkenden Statement.

The Swinging Mr. Rogers

Ihre Improvisationen sind flüssig, die Band swingt unwiderstehlich, aber alles bleibt sanft und leise, und die kleinen Experimente (Fugatostellen, Kontrapunktik, Stoptimes) sind ganz unaufdringlich eingestreut. Den Anfang des Albums bildet ein Arrangement von „Isn’t It Romantic“ mit Kanon- und Echo-Elementen. Der Schluss des Albums ist ein kontrapunktisch durchkomponierter Blues-Chorus mit Bach-Anklang. Rogers improvisiert auf der Trompete durchgehend kühl und geschmeidig, Giuffre setzt abwechselnd seine drei Instrumente ein (Baritonsax, Tenorsax, Klarinette), Manne ist wie immer ein Künstler an den Brushes und Sticks. Und Pete Jolly (Piano) und Curtis Counce (Bass) sorgen für den fröhlich pulsierenden Swing – fast wie Count Basie und Walter Page.

Der Hit des Albums ist der Opener der B-Seite, das achtminütige „Martians Go Home“. Es ist ein minimalistischer Blues, das Thema nur ein Kürzel, der Beat stoppt immer wieder. Dann startet Giuffre zu einem seiner körperlosen, gehauchten Klarinettensoli, das Schlagzeug markiert teilweise nur punktuell, die Dynamik ist ganz unten – ein Anti-Blues, anti-expressiv. Diese Reduktion und Verknappung hat etwas bizarr Fremdartiges, daher der außerirdische Bezug im Titel. Ein Kritiker meinte damals, „Martians Go Home“ müsse als „Stückname des Jahres“ ausgezeichnet werden. Aufgrund des großen Erfolgs ließ Rogers auf den nächsten Platten dann eine ganze Serie „marsianischer“ Stücke folgen: „Martians Stay Home“, „Martians Come Back“, „March Of The Martians“ oder „Martians Lullaby“.

Shorty Rogers and his Giants – The Swinging Mr. Rogers auf discogs.com.

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