Mäusepunk
Neulich verkündete ich die Gründung meiner ersten eigenen Band: Beyond Büchsenschinken.
Nun sitze ich seit zwei Monaten neben meinem Maileingangskörbchen und warte auf Angebote von Plattenlabels, Bookings, Fanpost. Etwas zäh, der Durchbruch, das muss ich zugeben. Aber vermutlich logisch, habe ich ja neben dem von einem Algorithmus kreierten Bandnamen, dem Titel der ersten Single (Master Of Büchsenschinken), des ersten Albums (dito) sowie dem Motto der ersten Stadionwelttournee (wieder dito) nicht viel vorzuweisen – einen tatsächlichen Song hinterm Single-Titel zum Beispiel oder die Fertigkeit, ein Instrument zu bedienen. Das allerdings hat Generationen von Punk-, Schlager- oder Eurovision-Song-Contest-Interpreten nicht davon abgehalten, Bühnen zu betreten und dem Volk Töne um die Ohren zu schaufeln, und das würde auch mich als Vertreter des neuen Nischen-Genres „Atonaler Free-Punk aus Altona“ nicht hindern.
Um meine Metamorphose zum Bandleader zu beschleunigen, werbe ich jetzt um ein weiteres, ein zweites Bandmitglied. Das stand bisher anderweitig unter Vertrag, jetzt aber jüngst nicht mehr. Sollte mir die Verpflichtung gelingen, und ich wüsste nicht, warum nicht, wäre das ein echter Kracher. Es handelt sich um einen autodidaktisch geschulten Multiinstrumentalisten, der selbst mit Pfannen, Töpfen und sogar einer, nun ja, „lebendigen“ Ente durchaus harmonisch zu musizieren weiß. Der gut gelaunt jede Genregrenze sprengt. Und der wiederum andere so für seine Kunst zu begeistern weiß, dass sie sich ohne Murren, Knurren oder ohne auch nur ein erstauntes „Muh“ zu äußern im Sinne der Kunst in das große Ganze einspannen lassen. Ich spreche natürlich vom unvergleichlichen Steamboat Willie. Der ist bereits seit 1928 on tour, nur war er leider bis Ende 2023 vertraglich an die Walt Disney Company gebunden. Seit dem 1. Januar aber ist Steamboat Willie, den jede und jeder heute nur als Micky Maus kennt, „zum Allgemeingut geworden“, wie es trocken im Urheberrecht heißt. 95 Jahre nach dem ersten Auftritt verfallen alle vertraglichen Pflichten. Das bedeutet, dass Steamboat Willie nun der kreative Kopf von Beyond Büchsenschinken werden darf, ohne dass ich eine Abmahnung aus Disneyland fürchten müsste.
Und das wäre künstlerisch so vielversprechend. Man schaue nur auf Steamboat Willies erstes Musikvideo aus eben jenem Jahr 1928, mit dem übrigens auch – intelligentes Crossmarketing – dem Genre Zeichentrickfilm zum Durchbruch verholfen wurde. Dort agiert Willie, noch ohne seinen Künstlernamen Micky Maus, als Kapitän eines Dampfschiffes. In der Kombüse kommt es dann zum Band-Bash einer echt tierischen Besatzung. Die Ziege frisst Notenblätter und Gitarre, wird dann aber folgerichtig von Steamboat Willie in eine Drehorgel verwandelt, der Schwanz als Drehhebel, das Maul als Lautsprecher. Als One-Mouse-Band dient Willie selbst der eigene Schwanz als Drumstick-Halter, die Pfannensammlung als Percussions-Batterie, eine Katze wird zum Alphorn, die Ente (Donald, ick hör’ dir trapsen) zum Dudelsack unterm Arm und, man halte sich fest ob dieser frühen Freejazz-Ahnung, das prachtvolle Gebiss der stetig weiterkauenden Kuh wird zum Xylofon.
Nun, das wäre der richtige Punk für Beyond Büchsenschinken. Ich warte auf Antwort aus Entenhausen.
PS: Unnützes Wissen, Teil 36:
Steamboat Willie aus dem Jahr 1928 war der erste Auftritt von Micky Maus und Minnie Maus – nur hießen sie hier noch nicht so. Eigentlich sollten die Rechte für die Steamboat Willie-Maus schon 1984 an die Allgemeinheit übergehen. Disney aber stritt für eine Verlängerung und eine Reform, die heute auch als „Micky-Maus-Schutzgesetz“ bekannt ist – die aber jetzt auslief. Das bedeutet, diese alte, schwarz-weiße Willie-Micky-Version darf kopiert, aufgeführt und wiederverwendet werden, ohne dass der Urheber die Erlaubnis erteilen muss oder Gebühren fällig werden. Wo das hinführen kann, zeigt der Fall Winnie Puh. Der Bär wurde 2022 Allgemeingut – und dadurch vom niedlichen Kinderstar zum Horrordarsteller im britischen Slasher-Film Winnie the Poo – Blood and Honey.