Album-Doppel: Bill Evans/Jay-Jay Johanson
Am 25. Juni 1961 (es war ein Sonntag) wurde Jazzgeschichte geschrieben.
Es war der letzte Tag eines zweiwöchigen Engagements des Bill Evans Trios im New Yorker Jazzclub Village Vanguard. Als der Clubmanager das Okay gab, rückte Evans’ Produzent am Morgen mit einem Tontechniker an – und mit einem Ampex-Tonbandgerät, das man auf einem Tisch vor der Bühne platzierte. Fünf Sets des Trios wurden aufgezeichnet – zwei Sets bei der „Sonntagsmatinee“ am Nachmittag, drei Sets am späten Abend. 13 verschiedene Stücke spielte das Bill Evans Trio an diesem Sonntag, manche davon zweimal oder dreimal.
Keine zwei Wochen später, am 6. Juli 1961, kam der Bassist des Trios, Scott LaFaro, bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Er wurde nur 25 Jahre alt. Für Bill Evans, den empfindsamen, introvertierten Klavierkünstler, bedeutete dieser Verlust eine seelische Katastrophe. „Wenn du ein Spielkonzept entwickelt hast, das so sehr von den spezifischen Persönlichkeiten außergewöhnlicher Musiker abhängt, wie fängst du dann wieder an, wenn einer von ihnen nicht mehr da ist?“ Der Tod von Scott LaFaro warf Evans in eine tiefe Krise. Monatelang soll er kein Klavier mehr angerührt haben.
Das demokratische Trio
Das Besondere an Evans’ Trio mit Scott LaFaro und Paul Motian war die quasi gleichberechtigte Interaktion zwischen allen drei Musikern. Möglich wurde diese Stimmendemokratie durch Bill Evans’ sensibles Klavierspiel. Er war keiner, der am Piano mit möglichst vielen Noten auftrumpfte – stattdessen emanzipierte er die Subtilität. Der Jazzkritiker Gene Lees schrieb einmal: „Bill brachte einen Ton in den Jazz, der für Debussy und Ravel und moderne Harmonik geeignet war und den man von einem Walter Gieseking oder Emil Gilels kannte.“ Häufig nannte man Evans den „Chopin des Jazz“ – sein Spiel ließ Raum für die Gestaltungskraft der anderen. „Wenn der Bassist eine Figur hört, der er antworten möchte, warum sollte er dann weiterhin seine Vierviertel-Begleitung beibehalten?“, fragte Evans.
Zwei Studioplatten hatte die Band zuvor gemacht, die zweite erst Anfang des Jahres 1961. Dabei war dem Produzenten Orrin Keepnews bewusst geworden, auf welch einzigartige Weise dieses Trio „Gebiete der Kollaboration und des Interplays“ erschloss. Und Keepnews fürchtete, dass das Trio nicht mehr lange bestehen würde, weil es immer wieder Spannungen zwischen Evans und LaFaro gab (die keine musikalischen Gründe hatten). Daher ergriff er im Juni die Chance, die Formation im Village Vanguard mitzuschneiden.
Musikalisches Testament
Nach LaFaros plötzlichem Tod wurde das Livealbum Sunday At The Village Vanguard zügig zusammengestellt und erschien schon im Oktober. Es war Evans ein Anliegen, dass die Platte die Virtuosität LaFaros besonders betonen sollte. Daher wählte er sechs Stücke, in denen LaFaro ein Solo hatte oder gar als Komponist gefeaturt wurde. (Sein „Gloria’s Step“ wurde ein kleiner Standard.) Der Vermerk „Featuring Scott LaFaro“ macht das Album vollends zu einer Art von musikalischem Testament. (Sechs weitere Stücke vom 25. Juni 1961 sollten dann Anfang 1962 das Album Waltz For Debby bilden. Später erschien auch der gesamte Mitschnitt auf 3 CDs.)
Erst durch die Liveaufnahme von 1961 erkannten viele Journalisten, Musiker und Fans die besondere Bedeutung dieses Trios. Ira Gitler schrieb in den Liner Notes: „Die meisten Trios bestehen aus einem Bassisten und einem Schlagzeuger, die einem Pianisten rhythmische Unterstützung liefern. Hier aber gibt es eine Wechselbeziehung von melodischen und rhythmischen Phrasen, die alle aktiv einbezieht.“ Bis heute sind die Village-Vanguard-Aufnahmen legendär. Der Bassist Miroslav Vitous sprach vom „unglaublichsten Trio aller Zeiten“. Es gab kaum ein Pianotrio in den letzten 30 Jahren, das sich nicht darauf bezogen hätte. Sunday At The Village Vanguard gilt als eines der wichtigsten Livealben der Jazzgeschichte.
Hypnotisierender Trip-Hop
Auch Jay-Jay Johanson ist Jazzfan, aber das hört man nicht unbedingt. Der schwedische Sänger hat eine weiche, hohe Stimme, schreibt einfache Melodien und melancholische Texte und spielt auch Keyboards. Sein Gesang tönt sanft und klar über einem dezenten Elektronik- und Keyboard-Teppich, das Schlagzeug begleitet zwischen housig und jazzig. Mit dieser einfühlsam-hypnotisierenden Mischung wird er gewöhnlich dem Trip-Hop zugeordnet. Zu Beginn seiner Karriere Ende der 1990er Jahre betonte Johanson auch seine Verbundenheit mit dem Film Noir – damit war er vor allem in Frankreich erfolgreich. Später klang er etwas aggressiver und punkiger.
Mit dem Album The Long Term Physical Effects Are Not Yet Known kehrte Johanson 2006 zu seinen sanft-triphoppigen Wurzeln zurück. Die Stücke werden nur von einer kleinen Besetzung begleitet, zu der auch der Jazzbläser Magnus Lindgren gehört (Klarinetten, Flöten, Baritonsax). Passend zu seinem unaufdringlichen Minimalismus liebt Johanson schlichte Albumcover mit seinem Porträt darauf. Häufig zitiert er dabei berühmte Plattenhüllen. Das nüchterne, fast traurige Foto des subtilen Klavierspielers Bill Evans im weißen Hemd, die Pianistenhände auf einer weißen Tischplatte, war da eine willkommene Bildvorlage.
Bill Evans Trio: Sunday At The Village Vanguard (Riverside, 1961)
Jay-Jay Johanson: The Long Term Physical Effects Are Not Yet Known (EMI, 2006)
Bill Evans Trio – Sunday At The Village Vanguard auf jpc.de
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