Supertramp – Crime Of The Century
Sie waren eine Zwei-Bandleader-Band, eine Zwei-Sänger-Band.
Auf der einen Seite: Rick Davies, hauptsächlich Pianist – er hatte diese raue, bluesrockige, „amerikanische“ Gesangsstimme. Auf der anderen Seite: der sechs Jahre jüngere Roger Hodgson, hauptsächlich Gitarrist – er besaß die hohe, interessant nasale, „englische“ Pop-Stimme. Auch was ihre Herkunft anging, ihre Persönlichkeit, ihre musikalische Orientierung: Davies und Hodgson hätten kaum unterschiedlicher sein können. „Ricks erdige Art zu schreiben, ziemlich nah am Rock’n’Roll, bildet ein Gegengewicht zu meinem leichteren, melodischen Stil“, sagte Hodgson. Als Team funktionierten sie gut, und dem ordneten sie alles unter. Wie Lennon und McCartney ließen sie ihre Songs durchweg als Gemeinschaftswerke registrieren. Auf Crime Of The Century stammen aber tatsächlich vier Songs von Davies und vier von Hodgson. Die Stücke wurden so angeordnet, dass sich die beiden als Schreiber und als Sänger immer abwechseln, ganz paritätisch. Nur in die Rahmenstücke – „School“ und „Crime Of The Century“ – ist etwas mehr Mithilfe vom jeweils anderen eingeflossen.
Begonnen hatten sie 1970 als Progrock-Band, ganz im Geist der Zeit. Dank einem Sponsor hatten sie zwei Platten gemacht, die sich aber schlecht verkauften. 1973 wollten Davies und Hodgson Supertramp schon auflösen. Als aber der Sponsor ausstieg und die Plattenfirma eine jüngere, poppigere Ausrichtung nahelegte, ließen sie sich dann doch zu einem dritten Versuch überreden – mit frischen, unverbrauchten Mitmusikern und ohne auf die Konkurrenz zu schielen. In einem englischen Farmhaus aus dem 17. Jahrhundert erarbeiteten sie, umgeben von ihren Frauen, Kindern, Hunden, sage und schreibe 42 Demo-Songs. Dann ging es ins Studio, und alles fühlte sich diesmal anders an. Die Band arbeitete in ihrem eigenen Mikrokosmos, schuf eine Mixtur aus Prog, Rock und Pop, mit Jazz-Momenten und Music-Hall-Einsprengseln, mit Chören und Saxofon, pochenden Klavierakkorden und Streichern – und mit diesem elektrischen Wurlitzer-Piano, das Hodgson schon im Elternhaus gespielt hatte.
Als 1990 die Compilation The Very Best Of Supertramp erschien, stammten vier Prozent der Titel vom Album Crime Of The Century. Fast jedes Stück auf Crime wurde ein Supertramp-Klassiker, der in keinem Konzert fehlen durfte. Dougie Thomson, der Bassist, sagt: „Crime ist mein Lieblingsalbum. Es war der Anfang, alles war neu und geheimnisvoll.“
Aufnahme: Februar bis Juni 1974
Veröffentlichung: Oktober 1974
Label: A&M
Produktion: Ken Scott & Supertramp
Titel
- School 5:35
- Bloody Well Right 4:32
- Hide In Your Shell 6:49
- Asylum 6:45
- Dreamer 3:31
- Rudy 7:17
- If Everyone Was Listening 4:04
- Crime Of The Century 5:36
Musiker
Rick Davies – Gesang, Keyboards, Mundharmonika
Roger Hodgson – Gesang, Gitarren, Keyboards
John Helliwell – Saxofon, Klarinette, Keyboards, Begleitgesang
Dougie Thomson – Bassgitarre
Bob Siebenberg – Schlagzeug
Hintergrundsänger und -sängerinnen
Streicher (Arrangements: Richard Hewson)
- Das Album beginnt mit Davies’ Mundharmonika – sie erinnert hier ein wenig an Spiel mir das Lied vom Tod. Da ahnt man schon: „School“ ist keine fröhliche Hymne auf die Schulzeit. Der instrumentale Höhepunkt des Songs ist allerdings Davies’ Klaviersolo.
- „Dreamer“ wird auch als Single ausgekoppelt: Platz 13 im UK. Der Song macht Hodgsons Nasalgesang und den galoppierenden Wurlitzer-Piano-Sound berühmt. Eine spätere Live-Version wird sogar Nummer eins in Kanada. Hodgson schrieb das Stück mit 19 Jahren – eine Demo-Aufnahme von damals dient der Band im Studio als Vorlage.
- In den USA mag man die B-Seite der Single lieber: das angejazzte „Bloody Well Right“ mit der raueren Stimme von Davies, mit Saxriff und Rockriff, Saxsolo und Gitarrensolo – und mit Davies’ mächtig swingender Wurlitzer-Improvisation.
- Fünf der acht Stücke sind länger als fünf Minuten. Denn auf die „progressiven“ Stilmittel will die Band nicht ganz verzichten: Rhythmuswechsel, Brüche, Episoden, Stilzitate, Soundeffekte, dramatische Steigerungen und viele zusätzliche Klangfarben, darunter auch Orgel, Chöre, Synthesizer, Glockenspiel. Der Kritiker Nick DeRiso schwärmt von Supertramps „free-form creativity“.
- Im längsten Song, dem melancholischen, teils bluesigen „Rudy“, verdichten sich die Botschaften des Albums. Der fiktive Rudy hatte eine schwere Schulzeit, bekam wenig Liebe, ist einsam und orientierungslos, „on a way to nowhere“. Rudy ist die heimliche Hauptfigur hinter allen Songs des Albums.
- Das Album trägt die Widmung „To Sam“. Sam – das ist der Millionär Stanley Miesegaes, der die Band anfangs finanziell unterstützt hat. Miesegaes und das Albumcover von Breakfast In America (1979) werden nach 9/11 (2001) zum Thema kruder Verschwörungstheorien.
- Das Album Crime Of The Century ist der Durchbruch für Supertramp: Top Five im UK, in Deutschland, in Kanada. Danach bleibt die Band zehn Jahre lang ohne Umbesetzung zusammen.
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