Albumdoppel: The Beatles / Black America
John Lennon hatte es angekündigt: „Die nächste LP wird sehr anders werden“, sagte er.
Die Beatles waren 1966 von der Psychedelik-Welle gepackt. Sie experimentierten mit LSD, schwärmten von Asien, erforschten die Londoner Avantgarde-Kunstszene. Bei den Aufnahmen zu ihrem neuen Album wollten sie grenzenlos experimentell sein, im Studio alles Mögliche ausprobieren – neue Tonband-Techniken, neue Musikinstrumente, neue Aufnahmeverfahren, Klangverfremdungen und Effektgeräusche. Ein Klavier sollte nicht mehr wie ein Klavier klingen, eine Gitarre nicht mehr wie eine Gitarre. An die Live-Umsetzung ihrer Musik auf der Konzertbühne wollten sie dabei keinen Gedanken verschwenden – es ging ihnen nur ums Album. Drei Monate lang waren sie im Studio, allein für die Aufnahmen brauchten sie 220 Stunden. „Wir schufen Sounds, wie sie noch niemand vorher gemacht hat“, sagte Paul McCartney.
Da ist zum Beispiel „Eleanor Rigby“, diese heute weltberühmte Ballade, auf der die Beatles kein einziges Instrument spielen – nur eine Streichergruppe begleitet. Oder „I’m Only Sleeping“ mit einem rückwärts abgespielten Gitarrensolo von George Harrison. Dann der Song „Love You To“, den Sitar, Tambura und Tabla begleiten und der wie ein Miniatur-Raga aufgebaut ist – mit Rubato-Einleitung und schnellem Schlussteil. Oder „Yellow Submarine“, das fröhliche, kinderliedartige Gesangs-Feature für Ringo Starr, bei dem man alle möglichen Utensilien aus der Abstellkammer des Tonstudios hören kann. Die Meeresgeräusche entstehen übrigens in der Badewanne, die Brassband kommt von einer alten Schallplatte. Im Durcheinander der Hintergrundstimmen mischen auch ein paar illustre Gäste mit, darunter Brian Jones und Marianne Faithfull. Dann gibt es noch „For No One“, wo ein Hornsolo klingt, als würde es auf einer Pikkolotrompete gespielt – das Stück wurde nämlich per „Varispeed“ beschleunigt, bevor McCartney seinen Part dazu sang. Und den psychedelischen Höhepunkt liefert das abschließende „Tomorrow Never Knows“ – ein halluzinatorischer Soundtrip, eine wild-visionäre Collage aus diversen Tonbandschleifen, Mellotron-Schichten, Tambura- und Sitartönen, eine Mixtur aus Drogenrausch und Meditationsritual. Seltsam nur, dass auch dieses avantgardistische, grenzensprengende Stück bereits an der Drei-Minuten-Grenze verebbt (wie alle anderen auf dem Album), als wäre das Radioformat ein ewiges Gesetz.
Manche Kritiker halten Revolver dennoch für das größte Album aller Zeiten. Das Plattencover jedenfalls wurde schon 1967 mit einem Grammy ausgezeichnet. Gestaltet hat es Klaus Voormann, der Intimfreund der Beatles, der damals in der Londoner WG von George und Ringo lebte. Voormann war sowohl studierter Grafikdesigner als auch leidenschaftlicher Musiker. Sein Bassspiel ist auf vielen Alben zu hören, bei Manfred Mann, Lou Reed, B.B. King oder Carly Simon sowie auf Soloplatten der Beatles. Zum Revolver-Cover inspirierte ihn die fein ziselierte Zeichenkunst von Aubrey Beardsley, einem früh verstorbenen Künstler aus dem späten 19. Jahrhundert, der seinerseits von japanischen Holzschnitten angeregt war. Zwischen die kunstvoll gezeichneten, irgendwie „psychedelisch“ wirkenden Köpfe der vier Beatles packte Voormann – mit Schere und Klebstoff bewaffnet – noch eine Collage aus kleinen Porträtfotos der Musiker.
Ein Kritiker hat die Klangexperimente auf Revolver einmal als „Avantgarde-R&B“ bezeichnet. Klar, die Beatles haben auch Rhythm & Blues gehört, Rock’n’Roll und die schwarze Soulmusik. In ihren Anfangsjahren haben sie viele Songs von schwarzen Künstlern gecovert, darunter Chuck Berry, Little Richard, Carl Perkins und die Isley Brothers. Als die Beatlemania ab 1964 die USA überrollte, begannen aber umgekehrt afroamerikanische Bands und Sänger, ihrerseits die Songs der Beatles zu covern. Ella Fitzgerald und die Supremes waren unter den Ersten. Eine kleine, aber beeindruckende Auswahl von Beatles-Coverversionen durch das „Black America“ versammelt die Compilation Come Together.
Es sind 24 Songs, aufgenommen zwischen 1965 und 1976. Das Albumcover von Niall McCormack (einem Iren!) ersetzt die Köpfe der Beatles von der Revolver-Hülle durch gezeichnete Porträts afroamerikanischer Künstler – Little Richard, Billy Preston, Aretha Franklin und (vermutlich) Otis Redding.
Das ist beinahe durchgängig der klassische Motown-Sound: rhythmusbetont mit starkem Backbeat. Die fetzige Bläsersection, die bluesige Gitarre, ein pochendes Piano oder eine Hammondorgel fehlen fast nie. Im Vergleich zu den Beatles-Originalen mit ihren hohen, hellen Stimmen und Chorstellen klingen die schwarzen Versionen erfrischend bodennah, hart und eigenständig. Manche Gesangsmelodie findet hier auch einen direkteren, einfacheren Weg. In den Balladen wie „Yesterday“ oder „Let It Be“ ist Platz für ein Streichorchester und für die fantasievollen Flexionen des Soulgesangs (Aretha Franklin, Linda Jones u. a.). Vom Revolver-Album sind nur zwei Songs mit dabei: „Eleanor Rigby“ mit Gene Chandler (tänzerisch, modern, psychedelisch) und „Good Day Sunshine“ mit Roy Redmond (deutlich relaxter als das Original, von einer südlicheren Sonne beschienen). In den Liner Notes heißt es: „Viele Songs auf ‚Revolver‘ waren so komplex, dass nur wenige von ihnen eine Transformation in den Soul erlaubten.“
The Beatles: Revolver (Parlophone/EMI)
Black America Sings Lennon & McCartney: Come Together (Ace Records Ltd.)
Revolver auf www.thebeatles.com
Come Together: Black America Sings Lennon & McCartney auf jpc.de